Im Landtag gärt das Thema schon länger, doch der Protest blieb bisher unterschwellig. Jetzt könnte sich das ändern: Am späten Donnerstagabend hatte es im Landkreis Verden zwei Erdstöße gegeben, die zwar als „leichteres Erdbeben“ eingestuft, aber dennoch unzweifelhaft mit der Erdgasförderung in der Region in Verbindung gebracht werden. Das Gas lagert in sehr tiefen Schichten, es entstehen Hohlräume und es kommt zum Druckausgleich. Dreimal wackelten Gebäude zwischen 18.30 und 22.30 Uhr – die Stärke wird mit Stufe 3 angegeben. Der AfD-Landtagsabgeordnete Klaus Wichmann, der an diesem Tag daheim krank in seinem Bett in Verden lag, berichtet, dass sich „plötzlich sein Sofa bewegte“. Viele seiner Nachbarn seien stark erschrocken, sie hätten Angst.

Dieses Ereignis geschah in einer Phase, in der in Hannover – hinter den Kulissen – über Auflagen und Chancen der Erdgasförderung heftig gerungen wird. In mehreren Landtagsfraktionen, auch bei Koalitionären von SPD und CDU, gibt es vehemente Gegner einer weiteren Erdgasförderung. Sie stehen daheim unter Druck starker Bürgerinitiativen. Die SPD-Politikerin Dörte Liebetruth erklärte gestern: „Es reicht. Es müssen endlich Konsequenzen gezogen werden.“


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Doch dieses Ansinnen ist schwer umzusetzen, denn auch in der niedersächsischen Koalition prallen verschiedene Ansichten aufeinander. Dabei werden die Rahmenbedingungen brisanter: Erst im September hatten die Niederländer den schnelleren Ausstieg aus der Erdgasförderung in der Provinz Groningen beschlossen – 2022 und nicht, wie bis dahin geplant 2030, soll die Ausbeute enden.

Das wiederum hat deutsche Energieversorger wie EWE alarmiert, da drei Millionen Haushalte in Norddeutschland bisher Groninger Gas erhalten. Die Holländer begründen ihren Schritt mit den Erdbeben, allerdings sind diese in Groningen weit schlimmer und viel häufiger als in Niedersachsens Fördergebieten.

Erdgasförderung – als nationale Reserve

Aus dem Wirtschaftsministerium in Hannover heißt es, die Erdgasförderung sichere hierzulande 8300 Arbeitsplätze, während der Energiewende brauche man noch mindestens zehn Jahre Erdgas als Übergangstechnologie – auch als „als nationale Reserve“, da sich 94 Prozent des deutschen Erdgases auf niedersächsischem Gebiet befänden, wie Minister Bernd Althusmann vor dem Landtag erklärte. Gleichwohl sind in den Kreisen Verden, Rotenburg, Vechta und Diepholz viele Bürgerinitiativen aktiv, und mit der Erdgasförderung gehen verschiedene Besorgnisse einher, das Erdbeben ist nur eines.

Nach der Häufung von Krebsfällen in Rotenburg wurde ein Zusammenhang zu den Bohrungen vermutet, aber nicht belegt. Auch über Trinkwasserbeeinträchtigungen wurde debattiert. Da kausale Zusammenhänge zu Schäden oder Gefahren auch hier nicht zweifelsfrei festgestellt wurden, könnte ein Stopp der Förderung – wie in Groningen geschehen – hierzulande hohe Entschädigungsforderungen der Erdgasindustrie nach sich ziehen.

Will die Erdgas-Industrie Umweltverträglichkeitsprüfungen umgehen?

Doch hier droht sich der Konflikt zuzuspitzen: In den Koalitionsfraktionen von SPD und CDU werden die Stimmen derer lauter, die zumindest in Trinkwasserschutzgebieten (das ist ein Drittel der Förderfläche) eine verpflichtende „Umweltverträglichkeitsprüfung“ (UVP) verlangen. Staatskanzlei und Wirtschaftsministerium, die im Kontakt mit der Erdgasindustrie stehen, reagieren darauf bisher hinhaltend.

Womöglich hängt das noch mit einem anderen Thema zusammen, der Förderabgabe. In diesem Jahr kassiert das Land von den Erdgasunternehmen 135 Millionen Euro, das ist eine Abgabe von 29 Prozent auf den Marktpreis. Nach einem Bundesverwaltungsgerichtsurteil von 2018 wären aber nur zehn Prozent angemessen, und in einem vertraulichen Gespräch trafen sich Ministerpräsident, Wirtschafts- und Finanzminister und die Gasindustrie Anfang November.

Gemutmaßt wird, dass die Industrie bei der Gelegenheit ihren Wunsch vorgetragen haben könnte, die Gasförderung nicht durch eine zusätzliche UVP zu erschweren – und im Gegenzug bei der Förderabgabe nicht auf allzu schnelle Änderungen zu pochen. Eine Bestätigung dafür gibt es bislang nicht. Tatsache ist allerdings, dass Niedersachsen ein Gesetz über die UVP-Regeln bis Jahresende beschlossen haben muss, da sonst EU-Strafzahlungen drohen könnten.

Die aktuellen Erdbeben könnten nun dieser Debatte neue Fahrt verleihen. Im Landtag sagte Imke Byl (Grüne), das Bergrecht ordne gegenwärtig „die Menschen der Erdgasförderung unter“. Der AfD-Politiker Wichmann meinte: „Seit Jahren fordert der Kreistag Verden ein Stopp der Probebohrungen, aber in Hannover wird das nicht gehört.“ Marcus Bosse (SPD) und Martin Bäumer (CDU) mahnten, das jüngste Erdbeben „sehr genau zu überprüfen und dann Konsequenzen zu ziehen“.