Seit wenigen Tagen ist klar: Gorleben, das vor 43 Jahren als Standort für das erste deutsche Atommüllendlager ausgewählt wurde, ist aus Sicht der Geologen nicht geeignet für diesen Zweck – denn das Deckgebirge oberhalb des Salzstocks ist nicht sicher genug. Diese Entscheidung der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) zum Auftakt des offiziellen staatlichen Suchprozesses hat im Kreis Lüchow-Dannenberg Jubel ausgelöst, im Landtag aber wird die Entwicklung durchaus geteilt gesehen.

Zwar fordert kein Redner eine weitere Erkundung von Gorleben, alle Fraktionen und auch der fraktionslose Stefan Wirtz (AfD) akzeptieren die neue Vorfestlegung. Aber zwei Themen führen im Parlament zu Streit: Wie soll man, erstens, auf die Gorleben-Diskussion in den vergangenen vier Jahrzehnten zurückblicken? Und wie soll man zweitens heute Äußerungen von Politikern bewerten, die ihre Heimatregion jetzt schon als ungeeignet für ein künftiges Endlager bezeichnen?

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Zu Beginn stellt der zuständige Umweltminister Olaf Lies (SPD) klar: Nach der ersten Stufe der BGE-Pläne sind 80 Prozent der Fläche Niedersachsens noch im Rennen um den Endlager-Standort, der nach mehreren Stufen der Auswahl 2031 festgelegt werden soll. Das gelte aber auch für 70 Prozent der Fläche Bayerns und die Hälfte der Fläche Baden-Württembergs. In Niedersachsen, so betont Lies, sind alle Kreise und kreisfreien Städte noch betroffen. Mehr Klarheit wird es frühestens Mitte nächsten Jahres geben, wenn nach weiteren Hinweisen, etwa der Nähe zur Besiedlung, die möglichen Flächen weiter eingegrenzt und mache Orte wieder gestrichen werden.

Lies befürwortet eine sehr intensive Prüfungen, die auch in Niedersachsen mit Informations- und Diskussionsveranstaltungen begleitet werden sollen. „Heute festgelegte Zeitpläne können kein Diktat für die Ewigkeit sein. Auf der anderen Seite dürfen wir dieses Thema aber auch nicht unseren Kindern als ungelöstes Problem hinterlassen“, hebt der Minister hervor. Der Suchprozess dürfe „nicht kurzfristigen politischen Interessen untergeordnet werden“.

Kritik übt Lies in diesem Zusammenhang am Kreistag im Emsland – der hatte erst zu Beginn dieser Woche einstimmig beschlossen, in seinem Gebiet könne keine Fläche als geeignet für Atommüll-Entsorgung angesehen werden. Immerhin räumt der Minister die Vorgeschichte ein: Das Emsland sei schon 1973 erstmals in Betracht gekommen – und der entschlossene Protest der Region hatte in den Folgejahren zur Abkehr vom Emsland und in der Folge zur Auswahl von Gorleben geführt.

Staudte: Gorleben war schon immer ungeeignet

An dieser Stelle setzt nun Miriam Staudte (Grüne) an. Sie stellt die vergangenen Abläufe der siebziger Jahre so dar: Am Kernkraftwerk Brokdorf sei ein Baustopp verhängt worden, weil die Entsorgung der Brennstoffe nicht geregelt gewesen sei. Dies habe dann einen überstürzten Suchprozess nach einem Endlager in Gang gesetzt. Staudte sagt, auf Bundesebene sei Gorleben schon damals in der ersten Stufe wegen der geologischen Nachteile herausgefallen, die emsländischen Orte seien hingegen bereits als geeignet erkannt worden – ebenso Flächen in Nienburg und Celle.

Daraufhin sei die Regierung von Ernst Albrecht intern unter Druck geraten „unter anderem von den beiden Remmers-Brüdern aus dem Emsland“. Im Wirtschaftsministerium in Hannover sei dann ein Standort in Lüchow-Dannenberg, also Gorleben, zunächst handschriftlich und kurz danach in Reinform in die Konzepte eingefügt worden – und Anfang 1977 sei entsprechend beschlossen worden. Noch 2010 sei dieser Weg, den Staudte für höchst unseriös hält, von der Landesregierung noch einmal als „wissenschaftlich begründet“ dargestellt worden.

Der gesamte Landkreis Lüchow-Dannenberg wurde kriminalisiert.

Was von Staudte folgt, ist eine düstere Beschreibung der Verhältnisse in Gorleben: Viele, die in den Jahren danach gegen das Endlager in Gorleben demonstrierten, hätten „den Staat von der unangenehmen Seite kennengelernt“, seien etwa mit Pfefferspray auf Distanz gehalten worden. Jeder Castor-Transport habe mindestens 100 Verletzte gefordert, darunter seien auch Schädelbrüche gewesen.

Vor Jahren habe ein Polizist einem protestierenden Bauern eine Pistole an den Kopf gehalten. Demonstranten seien vom Verfassungsschutz beobachtet worden, in Wohngemeinschaften mit Atomkraftgegnern seien Spitzel eingesetzt worden. „Das waren Methoden, die viele von uns nur in der DDR vermutet hätten“, betont die Grünen-Politikerin und fügt hinzu: „Der gesamte Landkreis Lüchow-Dannenberg wurde kriminalisiert.“

Heftiger Widerspruch an Staudtes Darstellung

Diese Bilanz der engagierten Grünen-Politikerin, die aus der Region Lüneburg kommt, löst im Parlament heftigen Widerspruch aus. Der SPD-Abgeordnete Marcus Bosse sagt, er finde es nicht richtig, „in die Mottenkiste der Geschichte aus den siebziger Jahren zu greifen“, Staudte habe ihre Rede „gespickt mit Schuldvorwürfen“. Ja, es seien rund um Gorleben Fehlentscheidungen getroffen worden, das aber gehöre nun der Vergangenheit an.

Bitte hüten Sie sich davor, den Protest gegen Gorleben zu glorifizieren.

Der FDP-Fraktionsvorsitzende Stefan Birkner meint, die Darstellung von Staudte sei „sehr einseitig“: „Bitte hüten Sie sich davor, den Protest gegen Gorleben zu glorifizieren.“ Zur Wahrheit gehöre aber auch dazu, dass bei den Castor-Transporten Polizisten von radikalen Kräften angegriffen und verletzt worden seien. Martin Bäumer (CDU) erklärt, bei Gorleben-Protesten sei immer auch der „schwarze Block“ von Linksextremisten aktiv geworden, viele von ihnen hätten sich bei einem Stahlunternehmer mit Eisenstangen versorgt, die sie dann in kleine Stücke gesägt und als Munition für ihre Schleudern verwendet hätten.


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Jenseits von Gorleben dreht sich die Debatte im Landtag noch um die Frage der lokalen Belastungen. Gleich zwei Vertreter aus der Region Wolfenbüttel nutzen die Gelegenheit, die von Lies zunächst so gelobte Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) zu rüffeln. Es geht dabei um die Frage, wo das Zwischenlager für die Atommüllfässer entstehen soll, die aus dem maroden Lager Asse II geborgen werden sollen. Schon der Schacht Konrad, der schwach-radioaktive Abfälle aufnehmen soll, befinde sich in einem relativ dicht besiedelten Gebiet, sagt Bosse und fügt hinzu, beim Zwischenlager für die Asse-Bergung habe sich die BGE „nicht mit Ruhm bekleckert“.

In einer Art der „Basta-Politik“ habe die BGE einen Standort in Asse-Nähe einfach festgelegt. Björn Försterling (FDP) moniert, dass „die BGE und das Bundesumweltministerium einen Spalt in die Gesellschaft treiben“ wollten. Mit der Weigerung, bei der Suche nach einem Asse-Zwischenlager auch einen weiter entfernt liegenden Standort zu prüfen, habe man die Bevölkerung im Raum Wolfenbüttel „vor den Kopf gestoßen“.

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Nicht nur der Kreis Emsland, der das Endlager für sein Areal schon mal vorsorglich per Kreistagsbeschluss ausgeschlossen hat, erntet Kritik. „Daran haben auch einige Kreistagsmitglieder mitgewirkt, die hier auch Landtagsabgeordnete sind“, meint FDP-Chef Birkner.

Er rügt zudem den Grünen-Abgeordneten Volker Bajus, der per Twitter-Nachricht die Region Osnabrück als ungeeignet dargestellt haben soll. Der CDU-Abgeordnete Bäumer kritisiert ähnlich klingende Stimmen aus der CSU-geführten Landesregierung in Bayern, wo sich Spitzenpolitiker der Freien Wähler ähnlich eingelassen hatten. „Das ist ein Sankt-Florians-Theater“, schimpft Bäumer. (kw)