Der Angstforscher Borwin Bandelow plädiert für eine neue Sprache in der Politik. „Wenn eine Rede schon mit ‚Liebe Bürgerinnen und Bürger‘ beginnt ist das eine Sprache, die ich nicht auf der Straße spreche“, sagte Bandelow dem Rundblick. „Politiker wollen politisch korrekt sein und langen dadurch mit ihrer Sprache voll daneben.“ Im Kern gehe es dabei um den Konflikt zwischen Emotionen und Intellekt. Viele Menschen hätten unrealistische emotionale Befürchtungen, das könne ebenso eine Angst vor Fremden sein wie auch vor dem Wolf. „Das primitive Schwarz-Weiß-Denken ist bei jedem Menschen bereits von Geburt an in einem einfach gestrickten Teil des Gehirns abgespeichert.“ Menschen reagierten dann wütend und emotional. Sie könnten nicht mehr mit Statistik und intellektuellen Argumenten erreicht werden. „Man kann den Populismus deshalb nicht mit Fakten bekämpfen“, sagte Bandelow.

Als Beispiel nennt Bandelow den US-Präsidenten Donald Trump, der die Menschen mit kurzen und knappen Sätzen zu erreichen versuche. „Das gelingt ihm mit seinen Fünf-Wort-Sätzen offenbar auch.“ Bandelow appelliert deshalb an die Politik, ebenfalls eine klare Sprache zu sprechen – das gehe auch mit anderen, nicht-populistischen Inhalten. Der Angstforscher war am Freitag zu Gast auf einer Konferenz der Grünen-Fraktionsvorsitzenden im Land und in den Kommunen. In der Veranstaltung in Hannover mit rund 100 Teilnehmern ging es auch um die Kommunikation der Grünen. „Sie wollen immer die Welt erklären. Das kommt bei bestimmten Menschen nicht an. Da gehen Wähler verloren“, meinte Bandelow.

Für Grünen-Fraktionschefin Anja Piel sollten in Zukunft stärker Bürgerversammlungen und Ortstermine anstatt Frontalveranstaltungen in den Vordergrund rücken. „Wir müssen aus der Paternalismusfalle heraus“, sagte Piel im Gespräch mit dem Rundblick. „Es geht nicht darum, dass wir uns in der Politik kümmern, sondern dass wir hinschauen und uns mit den Ängsten auseinandersetzen.“ Im Anschluss müsse man gemeinsame Lösungen entwickeln und die Leute dabei auch einbinden. „So denken Politiker eigentlich nicht, meint Piel und erkennt in der Politik auch eine völlig andere Sprache. „Wir erklären immer gleich und dozieren, anstatt zuzuhören, worum es eigentlich geht. Das ist wie ein Reflex. Wir erzählen uns bei Veranstaltungen gegenseitig, wie sich die Welt sich dreht.“

Ihr sei bei der Veranstaltung noch einmal deutlich geworden, dass beunruhigte Menschen nicht auf Zahlen reagieren. „Wenn man die Angst vor dem Wolf mit der statistisch viel größeren Gefahr durch Verkehrsunfälle vergleicht, dann ist der einzelne nicht beruhigt. Das eignet sich nicht.“ Ihr sei es mit der Veranstaltung auch genau darum gegangen, ob die Politik den richtigen Umgang mit solchen Situationen finde. Auch in der Onlinekommunikation müsse sich die Politik auf Veränderungen einstellen. „Wir müssen in kurzen Videos mehr erklären. Dazu halten wir auch die Abgeordneten an.“