„Der Kampf gegen Gewalt ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe“, betont Daniela Behrens bei der Vorstellung der Kriminalitätsstatistik mit Axel Brockmann. | Foto: Link

Der Aufwärtstrend nach der Corona-Pandemie ist vorbei: Das Kriminalitätsgeschehen in Niedersachsen ist 2024 zum ersten Mal seit drei Jahren wieder zurückgegangen und befindet sich deutlich unter dem langjährigen Durchschnitt. „Wir leben in Niedersachsen in einem sicheren Land. Die Panikmache, die wir im Landtag erleben, geht völlig an der Realität vorbei“, stellte Innenministerin Daniela Behrens gestern bei der Vorstellung der polizeilichen Kriminalitätsstatistik in Hannover klar. Die SPD-Politikerin räumte aber auch ein, dass es „Problembereiche“ gibt, in denen die Polizei noch mehr tun muss. Dazu zählt vor allem der Bereich der Gewaltdelikte, die mit 97.869 Fällen auf einem Höchststand angekommen sind. „Besonders besorgniserregend ist für mich der Anstieg bei der häuslichen Gewalt. Die gefährlichste Umgebung für eine Frau sind die eigenen vier Wände, und das ist nicht zu ertragen“, sagte die Innenministerin und kündigte an: „Die Polizei wird sich im Umgang mit häuslicher Gewalt weiter professionalisieren.“ Außerdem setzt Behrens große Erwartungen in die Reform des Niedersächsischen Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes (NPOG), das unter anderem den Weg für Fußfesseln nach dem spanischem Modell freimachen soll. Der Gesetzentwurf liege mittlerweile vor, sagte die Ministerin. André Bock (CDU) rügte, dass Behrens das ursprünglich von Rot-Grün versprochene „Vorziehen“ einer Fußfessel-Vorschrift im Gesetz nicht anstrebe. Das habe zur Folge, dass es bis zum Landtagsbeschluss über die Generalreform des NPOG vermutlich noch lange dauern werde. „Betroffene Frauen werden aufs Wartegleis geschickt, das ist unverantwortlich“, meinte Bock.

Viel zu viele Messerangriffe: Insgesamt 32.545 Fälle von häuslicher Gewalt (plus neun Prozent) wurden der Polizei im vergangenen Jahr bekannt – in 60 Prozent der Fälle handelt es sich um Körperverletzungen. 83 Mal ging es dabei um Leib und Leben, 29 Menschen starben. 70 Prozent der Tatverdächtigen sind deutsche Staatsbürger, die Aufklärungsquote liegt bei 90 Prozent. „Statistisch gesehen passiert alle fünf Tage ein Tötungsdelikt“, sagte Landespolizeipräsident Axel Brockmann und betonte: „Die Tötungsdelikte mittels Messer passieren überwiegend im häuslichen und partnerschaftlichen Bereich.“ Die Zahl der Messerangriffe stagnierte im Jahr 2024 – allerdings auf Rekordniveau: 3055 Fälle erfasste die Polizei, wobei es sich bei der Hälfte um Bedrohungen und nicht um tatsächliche Attacken handelt. 18 Menschen wurden durch Messerstiche getötet, davon elf als Opfer häuslicher Gewalt. „Die Zahl der Messerangriffe ist immer noch viel zu hoch“, kommentierte Behrens und gab als Ziel aus: „Mehr Sicherheit im öffentlichen Bereich.“ In diesem Zusammenhang will die Polizei in diesem Jahr auch die Einrichtung der vier Waffenverbotszonen in Hannover, Braunschweig, Osnabrück und Wolfsburg evaluieren. Behrens betonte, dass es in diesen Bereichen nicht nur um das Verbot von Waffen, sondern immer auch um eine verstärkte Polizeipräsenz geht. Der Einrichtung weiterer Waffenverbotszonen in Niedersachsen steht die Innenministerin offen gegenüber.

Quelle: MI

Ärger über das Cannabisgesetz: Für den Rückgang der landesweiten Kriminalitätszahlen ist vor allem der Bereich der Drogenkriminalität verantwortlich: Die Zahl der Cannabisdelikte halbierte sich auf 10.142 Fälle, und auch andere Rauschgiftdelikte gingen teilweise deutlich zurück. Polizeichef Brockmann freute sich zwar über die damit verbundene Entlastung für die Beamten, beklagte aber auch, dass durch die Legalisierung des Konsums die Ermittlungsarbeit der Polizei schwerer geworden sei. „Uns fehlt nun sehr häufig der Verfahrenseinstieg“, sagte Brockmann. Bislang seien die Ermittler den illegalen Drogenhändlern vor allem durch eine Befragung der Konsumenten auf die Schliche gekommen. Weil Drogenkonsumenten nun seltener von der Polizei verhört werden, bleiben damit auch die Hintermänner im Verborgenen. „Das Cannabisgesetz hat keines seiner Ziele erreicht“, kritisierte Behrens und forderte Nachbesserungen – unter anderem bei der Verfügbarkeit von Drogen. „Der Erwerb von Cannabis über den legalen Weg wurde nicht einfacher, deswegen ist der Schwarzmarkt überhaupt nicht zurückgedrängt worden“, so Behrens. Außerdem müsse beim Kinder- und Jugendschutz nachgebessert werden, und die Polizei müsse mehr Instrumente im Kampf gegen den Drogen-Schwarzmarkt erhalten.

Trügerischer Rückgang bei Kinderpornographie: Erfreuliches konnte Brockmann im Kampf gegen Geldautomatensprenger berichten: Mit nur noch 19 Delikten (minus 51 Prozent) gab es so wenige Fälle wie seit 2017 nicht mehr. Trotzdem sagte der Landespolizeipräsident: „Jede Sprengung ist eine zu viel, wir werden nicht nachlassen und die Anstrengungen aufrechterhalten.“ Für den Rückgang macht er neben der Polizeiarbeit auch die besseren Sicherheitsvorkehrungen der Banken und Sparkassen verantwortlich, auf die Innenministerin Behrens gedrängt hatte. Die geringeren Fallzahlen im Bereich Kinderpornographie von nur noch 14.792 Delikten (minus fünf Prozent) bezeichnete Brockmann als „trügerisch“, weil sich aktuell 1400 Delikte noch in der Bearbeitung befinden und nicht in der Statistik auftauchen. Eindeutig sei dagegen der Rückgang bei den Wohnungseinbrüchen auf 7203 Delikte – niedriger waren die Zahlen nur in der Corona-Pandemie.