Boris oder nicht Boris? Frau oder nicht? Die Bundestagswahl wirft Schatten voraus
In den ersten Wahlkreisen sind die Kandidaten schon aufgestellt. Dagegen warten die Parteistrategen in anderen Gegenden noch. Wer weiß, wer sich noch meldet… Die Bundestagswahl am 28. September 2025 wirft schon ihre Schatten voraus. Aber erst ganz, ganz allmählich.
Im Vordergrund des Interesses stehen einige Detailfragen, die politisch aber höchst brisant sein können. So ist immer noch nicht klar, wie die Zukunft von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius, dem derzeit beliebtesten Politiker Deutschlands, aussehen wird. Am 30. August teilte er knapp mit, nicht in seiner Heimat Osnabrück für den Bundestag kandidieren zu wollen. Was aber heißt das: Bewirbt sich Pistorius, der dem SPD-Bezirk Weser-Ems angehört, in einem anderen Wahlkreis in Weser-Ems? Sinnvoll ist der Verzicht in Osnabrück schon, da der dortige, relativ junge Abgeordnete Manuel Gava auf jeden Fall weiter im Parlament arbeiten will und das auch schon sehr früh kundgetan hat. Diesem Konflikt des jungen Abgeordneten, der vom erfahrenen Politprofi verdrängt wird, weicht die SPD nun auf jeden Fall aus. Es wird auch spekuliert, Pistorius könne dann in Hannover-Stadt antreten, dort ist der Wahlkreis von Yasmin Fahimi (inzwischen DGB-Vorsitzende) frei und muss neu besetzt werden. Schon vor Monaten hatte die SPD Hannover Pistorius diesen Wahlkreis angedient, doch zugegriffen hat der Bundesminister nicht. Inzwischen heißt es in der SPD, drei Optionen seien im Gespräch: Der Bundeswehr-geprägte Wahlkreis Celle-Uelzen, ein Wahlkreis in Brandenburg oder eben doch Hannover-Stadt. Wenn er für den früheren Fahimi-Wahlkreis absagen sollte, dürfte die SPD auf die Suche nach einer Frau gehen, die auch im grünen Milieu ankommt – denn 2021 war ein Grünen-Sieg in diesem Wahlkreis zum Greifen nah. Der damalige Grünen-Bewerber Sven-Christian Kindler tritt nun nicht mehr an. Für die Grünen läuft sich der frühere Grüne-Jugend-Bundessprecher Timon Dzienus warm – ein Bewerber, der wegen seiner teilweise radikalen Ansichten auch intern umstritten ist. Auch die Grünen wissen, dass dieser frühere Fahimi-Wahlkreis für sie schicksalhaft sein kann. Ein guter, in die politische Mitte hineinragender Bewerber muss also her.
Was die Pistorius-Frage angeht, dürften die Würfel nach der Landtagswahl in Brandenburg fallen. Konzentriert sich Pistorius tatsächlich auf Brandenburg, dann wäre er neben Kanzler Olaf Scholz das zweite Mitglied der Bundesregierung, das ganz oben auf der Landesliste der SPD Brandenburg stünde. In Niedersachsen laufen derweil schon die Vorarbeiten für die Bundestagswahl. Die bisherigen Aufstellungen waren noch nicht spektakulär. Die SPD muss einige Wahlkreise neu besetzen, da zwei Bundestagsabgeordnete in die Landespolitik gewechselt und Landesminister geworden waren – Andreas Philippi (Kreis Göttingen) und Falko Mohrs (Wolfsburg). In Wolfsburg möchte die SPD einen bisherigen Mitarbeiter von VW verpflichten, in Göttingen läuft sich der Chemiker Thorsten Heinze (59) warm. Die Abgeordnete Dunja Kreiser (Wolfenbüttel) wird herausgefordert von Michael Letter (Salzgitter). Im Wahlkreis Hannover-Stadt-Nord tritt der Vorsitzende der Stadt-SPD, Adis Ahmetović, wieder an, die Aufstellung ist aber erst 2025. Der Wahlkreis Hildesheim könnte noch interessant werden, dort ist unter den SPD-Interessenten auch Daniela Rump, die Landesvorsitzende des Kinderschutzbundes. Sie könnte als neues Gesicht die Bundes-SPD auffrischen. Mit Pistorius, Arbeitsminister Hubertus Heil (Peine-Gifhorn) und SPD-Parteichef Lars Klingbeil (Heidekreis) stehen nun gleich drei prominente Niedersachsen bereit, die auf der SPD-Landesliste zur Bundestagswahl einen Platz ganz oben beanspruchen könnten. Vor der Wahl 2021 war Heil hier noch völlig unangefochten gewesen, jetzt wird es möglicherweise anders sein. Oder ist dieses Gedränge bei den möglichen Spitzenkandidaten jetzt vielleicht ein Grund, weshalb Pistorius am Ende doch nicht in Niedersachsen für die Bundestagswahl antritt?
Bei der CDU ist inzwischen fraglich, ob die Landesliste zur Bundestagswahl sich am Vorbild der Landesliste zur Landtagswahl orientiert – und abwechselnd nach Geschlechtern besetzt wird. Diskutiert wird eine andere Vorgabe wie etwa diese: Unter den ersten zehn Plätzen müssen fünf Frauen rangieren. Eigentlich war eine strenge Parität erwartet worden, doch es gibt unter den bisherigen Abgeordneten viele, die auf einen guten Listenplatz setzen und andernfalls abzurutschen drohen. Zudem ist fraglich, ob sich genügend Frauen in den Wahlkreisen durchsetzen. In Hildesheim hatte sich die JU-Landesvorsitzende Karoline Czychon beworben, geriet aber in einen scharfen Hildesheim-internen Wettstreit dreier Männer und zog wieder zurück. In Stade/Rotenburg bewerben sich zwei Männer und zwei Frauen, darunter die Landtagsabgeordnete Birgit Butter. Wie es heißt, ist der parteiinterne Vorwahlkampf dort mit sehr harten Bandagen geführt worden – was in der CDU bereits einige Diskussionen ausgelöst hat. In Osnabrück-Land ist der Landtagsabgeordnete Thomas Uhlen unter den Interessenten, in Lüchow-Dannenberg der Landtagsabgeordnete Uwe Dorendorf. Das Gedränge bei einigen CDU-Kandidaturen ist auch eine Folge des Umstands, dass die CDU derzeit in den Umfragen weit vorn liegt, vor allem weit vor der SPD. Dass dies umgekehrt für die SPD gerade nicht so aussieht, scheint die Nachfrage bei den Sozialdemokraten gegenwärtig gerade etwas zu dämpfen. Aber die Aufstellungen sind ja erst ganz am Anfang, die letzten Wahlkreis-Termine sind erst im nächsten Jahr. Die CDU in der Landeshauptstadt Hannover etwa will sich erst in der zweiten Oktoberhälfte entscheiden. Spannend wird die Frage sein, ob Kreischef Maximilian Oppelt erneut für den Bundestag antritt – und auch die Frage, wer sich in dem zweiten städtischen Wahlkreis für die Christdemokraten bewerben wird. Überraschungen sind nicht ausgeschlossen. In Hannover-Land sind mit Hendrik Hoppenstedt und Tilman Kuban die Namen bereits gesetzt.
Für die kleineren Parteien spielen die Wahlkreis-Nominierungen nicht die entscheidende Rolle, zumal bisher auch in Niedersachsen SPD und CDU die 30 Bundestagswahlkreise unter sich ausgemacht hatten. Mit Blick auf Hannover, aber auch Lüneburg und Oldenburg könnte das diesmal anders werden, denn die Grünen sind in diesen Städten recht stark. Spannender ist bei den Grünen jedoch die Frage, wie die Landesliste aufgestellt wird – ein Schritt, der erst im nächsten Jahr geklärt wird. Da nach aktuellen Umfragen erwartet wird, dass die Grünen bei der nächsten Bundestagswahl weit schlechter abschneiden könnten als bei der von 2021, denkt der Landesverband über eine Änderung der Regeln nach: Bisher sieht die „Neuen-Quote“ vor, dass jeder dritte Listenplatz an einen Kandidaten gehen muss, der bisher noch nicht auf der Liste gestanden hat. Würde man das konsequent durchziehen, müssten viele bisherige Abgeordnete auf einen wenig aussichtsreichen Listenplatz herabgestuft werden. Um das zu vermeiden, könnte die „Neuen-Quote“ entschärft werden – nicht alle drei, sondern alle fünf Plätze müsste dann ein Newcomer aufgestellt werden. Ob das so passieren wird, ist allerdings noch unklar. Der Landesvorstand lotet gerade alle Möglichkeiten aus.
Dieser Artikel erschien am 20.09.2024 in der Ausgabe #164.
Karrieren, Krisen & Kontroversen
Meilensteine der niedersächsischen Landespolitik
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