Viele Landkreise und Gemeinden sehen sich vom Tempo des Ausbaus der Windenergie massiv überfordert. In einer Veranstaltung der CDU-Landtagsfraktion berichtete der Landrat von Rotenburg/Wümme, Marco Prietz, seine Verwaltung könne die Auflagen gar nicht vernünftig abarbeiten. Im Vorschlag von Umweltminister Christian Meyer (Grüne) für neue Windkraft-Vorranggebiete war der Kreis Rotenburg mit 4,89 Prozent der Kreisfläche angegeben worden. „Bisher habe ich in meinem Kreisgebiet 15 Vorranggebiete für Windenergie, nach den Vorschlägen des Umweltministers müssten es künftig 100 sein, jedes im Durchschnitt etwa 100 Hektar groß. Das ist kaum zu schaffen“, betonte Prietz.

„Das kann doch keine Kreisverwaltung leisten“: Marco Prietz, Landrat von Rotenburg/Wümme, kritisiert den von der Landesregierung angestrebten Windkraftausbau. | Foto: CDU, Canva, Montage: Rundblick

Eine EU-Notfallverordnung, die bis Juni 2024 gilt, sieht die Einbeziehung der Artenschutzprüfung in die Raumplanung vor. „Woher soll ich nun für 100 Vorranggebiete, die parallel geplant werden müssen, ausreichend Fachleute für die artenschutzrechtliche Begutachtung finden. Das kann doch keine Kreisverwaltung leisten.“ Der Rotenburger Landrat hat, wie er sagt, drei zusätzliche Mitarbeiter für die Aufgabe eingestellt. Wenn nun in der „Task-Force“ des Landes landesweit acht neue Stellen geschaffen werden, mit denen die Kommunen unterstützt werden sollen, dann helfe das wenig. „Es wird doch sowieso der Effekt eintreten, dass sich alle auf wenige spezialisierte Planungsbüros stürzen werden“, ergänzt der Geschäftsführer des Niedersächsischen Landkreistages (NLT), Joachim Schwind.

In den Vorschlägen des Umweltministeriums ist eine große Spannweite der Planung von Windkraft-Vorranggebieten vorgesehen. Entlang der Weser liegen die Anforderungen an die dortigen Kreise bei weniger als einem Prozent, in Ostfriesland sind sie ebenfalls sehr gering. Mit hohen Werten über 4 Prozent ragen neben Rotenburg noch die Kreise Uelzen, Lüneburg, Gifhorn und Helmstedt heraus, das Emsland liegt bei 3,7 Prozent. Landrat Prietz und andere treibt die Sorge um, die hohe Anforderung an die Planung kaum bewältigen zu können. Scheitert die Aufgabe bis 2026, so dürften Investoren auch außerhalb von Vorranggebieten, also auf sämtlichen Flächen Anträge für neue Windräder durchsetzen können, dann droht ein „Wildwuchs“.

„Wenn wir in Bockenem am Ende 50 Windräder stehen haben, wären das 8,3 Prozent der Gemeindefläche. Das wäre entschieden zu viel!“

Rainer Block, Bürgermeister von Bockenem

Wie Rainer Block erklärt, Bürgermeister von Bockenem (Kreis Hildesheim), ist das jetzt schon der Fall: „In meinem Kreis gibt es 19 Kommunen, nur drei davon haben einen gültigen Flächennutzungsplan – alle anderen sind beklagt und verworfen worden. Auch mein Plan in Bockenem ist nicht gültig. Das heißt nun, dass überall im Außenbereich neue Windräder gebaut werden können. Zwei Windkraftanlagen sind da, sieben im Genehmigungsverfahren. Fünf Investoren für bis zu 40 weitere Anlagen stehen Schlange. Wenn wir in Bockenem am Ende 50 Windräder stehen haben, wären das 8,3 Prozent der Gemeindefläche. Das wäre entschieden zu viel!“ Der Bürgermeister von Wietze (Kreis Celle), Wolfgang Klußmann, sieht noch eine andere Gefahr: Windräder würden künftig verstärkt auch für Waldflächen vorgesehen – obwohl das zunächst doch nur ausnahmsweise der Fall sein sollte. Block aus Bockenem rät dem Land, den Kommunen Zeit für die Planung zu lassen – und Investoren in dieser Zeit nicht zu ermutigen, sondern eher zu bremsen.



In der CDU-Veranstaltung wurde der Vorschlag des NLT diskutiert, eine Obergrenze für die Windkraftplanung festzulegen. „Dann müssten die, die mehr als 4 Prozent ausweisen müssen, weniger planen – und die, die weniger als 3 Prozent haben, etwas mehr. Das wäre ein Signal der Solidarität“, sagt NLT-Geschäftsführer Schwind. Auch Marco Trips vom Städte- und Gemeindebund unterstützt die Idee. Zweifel haben beide, ob das Gutachten, das Grundlage der Vorschläge des Umweltministeriums ist, überhaupt schon fertiggestellt ist. „Es muss jetzt auf den Tisch gelegt werden, denn spätestens bei Klagen vor dem Verwaltungsgericht wird das Gutachten sowieso angefordert werden – weil die Richter wissen wollen, welche Kriterien den Planungsvorgaben zugrunde liegen“, betont Schwind. Trips und er vermuten, dass bis zur tatsächlichen Festlegung der Planungsziele in einem Landesgesetz noch Bewegung erkennbar sein wird – so dürften Hubschrauber-Anflugkorridore und Luft-Signalanlagen vermutlich weniger Abstandszonen erhalten.

Gemeinden an Windkraft beteiligen?

Landkreistag und Städte- und Gemeindebund empfehlen, dass das Land Niedersachsen Windkraft-Investoren gesetzlich zwingen soll, einen Anteil der Einnahmen (etwa 0,2 Cent je Kilowattstunde) an die Gemeinde abzutreten. Die Alternative wäre, dass Investoren eine Projektgesellschaft gründen und die jeweilige Gemeinde Miteigentümer der Firma wird, die das Windrad betreibt.

CDU unterstützt Windkraft-Kurs

CDU-Fraktionschef Sebastian Lechner erklärte, seine Fraktion unterstütze den Kurs zum verstärkten Ausbau von Windkraft-Anlagen. „Das muss dann aber auf der Basis nachvollziehbarer Studien geschehen – und noch liegt uns diese Studie des Umweltministeriums nicht vor“, betonte Lechner. Aus seiner Sicht gebe es die Alternative, anstelle eines Flächenzieles für jeden Kreis eine bestimmte Energieleistung anzugeben. „Das ist nicht gewählt worden, nun haben wir die Flächenziele – dann muss es auch ehrlich umgesetzt werden.“