Europaministerin Birgit Honé spricht im Rundblick-Interview über den Brexit, Reisebeschränkungen und nervige bürokratische Hürden. | Foto: Lada

Lange hat Birgit Honé, die niedersächsische Ministerin für Europa, Bundes- und Regionalangelegenheiten, für einen möglichst milden und verträglichen Austritt Großbritanniens aus der EU gestritten. Gekommen ist es anders, aber auf der anderen Seite sind die Folgen für Niedersachsens Wirtschaft wohl weniger krass als befürchtet. Die SPD-Politikerin äußert sich im Interview mit der Redaktion des Politikjournals Rundblick.

Rundblick: Hand aufs Herz: Wie stark belastet der Brexit die niedersächsische Wirtschaft nach bisherigem Stand tatsächlich? Sind nicht manche Befürchtungen unberechtigt oder überzogen gewesen?

Honé: Dass wir in Niedersachsen keine größeren Verwerfungen erlebt haben, verdanken wir vor allem unserer Wirtschaft: Die Unternehmen haben sich – auch mit unserer Beratung – jahrelang vorbereitet. Dass ein ungeregelter Brexit am Ende verhindert werden konnte, war ebenfalls hilfreich. Trotzdem sind die Folgen erheblich, vor allem auf lange Sicht: Seit 2015 geht der Handel ins Vereinigte Königreich (VK) kontinuierlich zurück, in diesem Jahr dürfte das Land erstmals seit 1950 aus der Top 10 der deutschen Handelspartner fallen. Niedersächsische Unternehmen berichten von vielen bürokratische Hürden und Rechtsunsicherheiten. Und bei vielen Themen, unter anderem bei der Anerkennung von Qualifikationen, warten wir noch immer auf substanzielle Regelungen

Birgit Honé im Gespräch mit den Rundblick-Chefredakteuren Klaus Wallbaum (links) und Christian Wilhelm Link. | Foto: Lada

„Mittel- und langfristig könnte die Bürokratie noch deutlich zunehmen.“

Rundblick: Gibt es besondere Branchen, die stärker als andere betroffen sind? Gibt es vielleicht Entwicklungen, die sich erst mittel- und langfristig negativ für Niedersachsen auswirken werden – und welche wären das?

Honé: Nach Zahlen der IHK Nord hat sich der Brexit 37 Prozent der norddeutschen Unternehmen negativ ausgewirkt, manche haben sogar ihre Geschäftstätigkeit im Vereinigten Königreich eingestellt. Die Probleme treffen nicht nur unsere exportstarken Industrien wie die Fahrzeug- und die Lebensmittelwirtschaft, sondern zahlreiche Branchen. Insbesondere im Dienstleistungssektor gibt es Probleme – beim Aufenthalt für Montagearbeiter, bei der Mitnahme von Werkzeug und vielem mehr. Mittel- und langfristig könnte die Bürokratie noch deutlich zunehmen, zumal die Briten jetzt gerade erst ein eigenes Zollsystem eingerichtet haben.

Birgit Honé leitet seit 2017 das Ministerium für Bundes- und Europaangelegenheiten und Regionale Entwicklung. | Foto: Lada

Rundblick: Wie ist die Situation der niedersächsischen Fischer – leiden sie besonders unter dem Brexit, oder hat sich die Situation entspannt? Wie viele Menschen sind hier betroffen?

Honé: Leider hat sich die Lage nicht entspannt. Auf der einen Seite sind die ausgehandelten Fischquoten nur vorübergehend, zudem hat der Brexit Auswirkungen auf Vereinbarungen der EU mit anderen Staaten, wie zum Beispiel Norwegen. Direkt trifft es zwei Unternehmen in Brake und Cuxhaven. Wegen wegfallender Fangquoten werden in diesem Jahr wohl zwei Schiffe in Cuxhaven stillgelegt werden. Das trifft auch die Fischverarbeitung, weswegen wir in Niedersachsen von etwa betroffenen 1500 Arbeitsplätzen ausgehen. Um diesen Zusammenhang deutlich zu machen, habe ich die Vertretung der EU-Kommission eingeladen, sich vor Ort ein Bild zu machen.

Rundblick: Wie viele Briten, die in Niedersachsen wohnen, sind hier deutsche Staatsbürger geworden? Wie viele von denen, die diesen Schritt hätten gehen können, haben darauf verzichtet?

Honé: Zwischen dem Jahr des Brexit-Referendums 2016 und 2020 haben wir sich von den 10.250 damals hier lebenden Britinnen und Briten, die nicht zugleich Deutsche waren, 4206 einbürgern lassen. Ende 2020 – aktuellere Zahlen haben wir noch nicht – lebten in Niedersachsen 6180 Britinnen und Briten, die keine Deutsche waren.

„Ich plane seit mehr als zwei Jahren einen Besuch im Vereinigten Königreich – aber bisher kam jedes Mal Corona dazwischen.“

Rundblick: Wie ist Ihre Einschätzung: Hat der Streit über den Brexit und seine Verwicklungen das Verhältnis der Niedersachsen zum Nachbarland abgekühlt? Sind kulturelle Bezüge, etwa auch aus der Tradition der Verbindung von Hannover zu Großbritannien, verloren gegangen? Oder hat es im Gegenteil eine gezielte Stärkung solcher Kontakte gegeben, um damit befürchtete Nebenwirkungen des Brexit abzuwehren?

Honé: Unsere Beziehungen sind älter und vielfältiger, als dass sie mit dem Brexit abgeschnitten worden wären. Es gibt viele intensive Kontakte – unter anderem zwischen der Leuphana in Lüneburg und der University of Glasgow. Doch eine kulturelle Entflechtung droht schon, wenn sich die Zahl der deutschen Studierenden im Vereinigten Königreich binnen eines Jahres halbiert. Oder wenn Künstlerinnen und Künstler ihre Auftritte wegen Zollformalitäten absagen. Besonders ärgert es mich für die jungen Menschen, die in Großbritannien ja mehrheitlich gegen den Brexit gestimmt haben und nun Probleme bei Auslandsaufenthalten haben. Wir versuchen, den Kontakt zu verstärken. So plane ich seit mehr als zwei Jahren einen Besuch im Vereinigten Königreich – aber bisher kam jedes Mal Corona dazwischen.

Rundblick: Wie beurteilen Sie die derzeitige Situation im Kontakt zwischen der britischen Regierung und der EU? Wie steht es um die Aussichten, die negativen Folgen des Brexit abzumildern? Ist hierfür noch Zeit, oder ist bereits Hopfen und Malz verloren?

Honé: Zeit ist immer, denn ein Handelsabkommen ist dynamisch und wird immer wieder überprüft und ergänzt. Dazu brauchen wir aber auch Verlässlichkeit in der Zusammenarbeit. Leider gibt es hier auf britischer Seite noch deutliche Probleme. Vor allem beim für den gesamten EU-Binnenmarkt wichtigen Irland-Nordirland-Protokoll ist London gefordert, sich zu bewegen.

Rundblick: Ist die EU ohne Großbritannien für Niedersachsen angenehmer und pflegeleichter – oder überwiegen die Nachteile? Welche Vor- und Nachteile des Ausscheidens Großbritanniens aus der EU gibt es für Niedersachsen?

Honé: Ich sehe keine Vorteile im Brexit. Die EU hat einen nicht nur wirtschaftlich wichtigen Partner verloren. Großbritannien mag oft ein unbequemer und eigenwilliger Partner in der EU gewesen sein. Doch dies kann auch ein Ansporn sein, sich zu reformieren. Der Brexit ist für die 27 EU-Staaten nun der Weckruf, diese Reform umso entschlossener anzugehen.