Wenn Parteien ihre Listen für die kommenden Wahlen aufstellen, schlägt immer wieder die Stunde der Wahrheit. Alte oder neue Feindschaften brechen offen aus, es gibt überraschende Niederlagen und auch das Gegenteil davon, unerwartete Aufstiege.

Bei der CDU verzichtete die schon seit Wochen für den Listenplatz eins gehandelte und sogar offen von Parteichef Bernd Althusmann als „wahrscheinliche Spitzenkandidatin“ genannte Juristin Silvia Breher aus Cloppenburg, seit 2017 Bundestagsabgeordnete und Landesvorsitzende der Oldenburger CDU, überraschend auf eine Verankerung vorn auf der Landesliste. Damit brachte sie kurzfristig, einen Tag vor der Versammlung am Wochenende, das vorher sorgfältig ausgetüftelte und nach regionalem Proporz gewichtete Tableau ins Wanken. Sie ebnete so aber auch den Weg für Neuerungen.

Das Duo Hendrik Hoppenstedt und Silvia Breher mit Niedersachsens CDU-Landeschef Bernd Althusmann – Foto: kw

Für Breher selbst bedeutet der Rückzug keinen Verlust an Chancen und Profil – denn zum einen ist ihr Wahlkreis Cloppenburg-Vechta derjenige in Deutschland mit dem höchsten CDU-Stimmenanteil, mit großer Wahrscheinlichkeit wird sie ihn auch wieder direkt gewinnen. Zum anderen, und das ist neu, will die CDU die 47-jährige alleinerziehende Mutter, die Modernität verkörpert, auch ohne Wahlkreis als Spitzenkandidatin im Wahlkampf herausstellen – und zwar neben Kanzleramts-Staatsminister Hendrik Hoppenstedt (48) aus Burgwedel (Region Hannover), der die Landesliste anführt.


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Auswirkungen hat Brehers Listen-Abstinenz allerdings für die weitere Reihenfolge und damit vor allem die Kombination von Regionalproporz und Geschlechterquote. In der CDU gilt nämlich das „Frauenquorum“, das besagt, dass unter je drei Plätzen mindestens eine weibliche Bewerberin sein soll. Da nun die Oldenburger auch unter den ersten zehn Rängen vertreten sein mussten, nominierte Brehers Landesverband eine Newcomerin, die 38-jährige Grundschullehrerin Anne Janssen, für den sicheren Platz sechs. Sie tritt im Wahlkreis Friesland-Wilhelmshaven an. Das Nachsehen hat nun ein anderer Oldenburger, der Bundestagsabgeordnete Stephan Albani aus Oldenburg, der 2017 noch auf Platz sechs gewesen war und jetzt mit 11 Vorlieb nehmen muss – wobei 11 als nicht sicher gilt.

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Man kann den „Breher-Trick“ also so interpretieren: Mit ihrem Verzicht auf den ersten Listenplatz unter Wahrung des Titels „Spitzenkandidatin“ hievt die CDU die junge, bisher weitgehend unbekannte Anne Janssen in den Bereich der sicheren Listenplätze – und sorgt so für Erneuerung. Das Nachsehen hat hier ein altgedienter Bundestagsabgeordneter, nämlich Albani. Auf einen Schlag wird damit allerdings auch der Wettbewerb im Wahlkreis Friesland-Wilhelmshaven, der Heimat von Umweltminister Olaf Lies (SPD), hoch interessant. Für die SPD will Siemtje Möller (37) den Wahlkreis gegen die gleichaltrige Janssen verteidigen, Möller ist bundesweite Sprecherin des Seeheimer Kreises, also der Rechten in der SPD – und sie ist nun ebenfalls auf der Landesliste ihrer Partei gut abgesichert. Denn in SPD-Kreisen gilt es längst nicht mehr als ausgemacht, diese Hochburg Friesland tatsächlich in diesem Jahr wieder halten zu können.

Zwei weitere Überraschungen auf der Liste

Zwei weitere Überraschungen hält die CDU-Landesliste noch parat. Tilman Kuban, der Bundesvorsitzende der Jungen Union, erhält mit Platz sieben einen sicheren Platz – obwohl er laut Bezirksproporz seines Heimatbezirks Hannover erst viel später an der Reihe gewesen wäre.

Das gilt auch für Mareike Wulf (Platz 9), die aus Hannover kommt und sich in Hameln bewirbt, sie erhält nun einen Bonus, da sie neue Landesvorsitzende der Frauen-Union werden soll. Wulf setzt sich damit gegen andere Frauen aus teilweise ebenfalls unsicheren Wahlkreisen durch, die vermutlich gern weiter vorn berücksichtigt worden wären – etwa Ute Bertram (Platz 14) aus Hildesheim oder Ingrid Pahlmann (Platz 12) aus Gifhorn-Peine, die dort gegen Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) antritt.

Außerdem hat die neue CDU-Landesliste die Folge, dass einige profilierte männliche Bewerber etwas zurückstecken müssen – so Fritz Güntzler (Platz 10) aus Göttingen, Finanzexperte seiner Partei im Bundestag, oder auch Maximilian Oppelt (Platz 15), Chef des CDU-Kreisverbandes Hannover-Stadt. Er steht in seinem Wahlkreis direkt dem Unterbezirkschef der SPD Hannover-Stadt, Adis Ahmetovic, gegenüber. Das wird das Duell der jungen Stadt-Parteivorsitzenden werden. Sollten Oppelt und Diana Rieck-Vogt (Platz 16) in ihren beiden Stadt-Hannover-Wahlkreisen unterliegen, würde die CDU keinen Bundestagsabgeordneten aus der Landeshauptstadt mehr stellen. Auch Carsten Büttinghaus (Heidekreis) und Eckhard Pols (Lüneburg) müssen ihre für die CDU alles andere als sicheren Wahlkreise direkt gewinnen, denn ihre Listenplätze liegen zu weit hinten, um erfolgversprechend zu sein. (kw)