Die CDU-Landtagsfraktion hat in ihrer gestrigen Klausurtagung einen parlamentarischen Vorstoß beschlossen, den sie nun mit SPD, FDP und Grünen erörtern will. Darin geht es um eine Distanzierung von einer kulturpolitischen Bewegung, die mit den Begriffen „Cancel Culture“ oder auch „Identitätspolitik“ umschrieben wird.

Cancel Culture: Menschen mit unliebsamen Meinungen wird das Wort verboten – Foto: GettyImages/wildpixel

Konkret greift die CDU dabei zwei Vorfälle auf, die in den vergangenen Wochen in Hannover passiert sind und nicht nur lokal Aufsehen verursacht hatten. Der Afrika-Forscher Helmut Bley, der eigentlich in der „Woche gegen Rassismus“ in einer Veranstaltung der Stadt auftreten sollte, wurde kurzfristig ausgeladen, weil eine Anti-Rassismus-Initiative ihm das Recht zur Diskussion über die deutsche Kolonialpolitik absprach – denn er sei ja ein „alter weißer Mann“.

Die Landeshauptstadt, vertreten durch Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) an der Spitze, war daraufhin eingeknickt und hatte die Veranstaltung verschoben. Auch die SPD, größte Fraktion im Rat der Stadt Hannover, kritisierte das Verhalten der Stadtverwaltung anschließend in einer öffentlichen Diskussion als unangemessen. CDU-Fraktionsvize Uwe Schünemann schlägt jetzt im Namen seiner Fraktion vor, der Landtag solle die Ausladung von Bley offiziell missbilligen.

Schünemann sieht Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit bedroht

Das bezieht die CDU-Landtagsfraktion auch auf einen zweiten Vorfall. In einem Seminar der Uni Hannover war der Soziologe und Polizist Frank-Holger Acker gebeten worden, eine kriminologisch-soziologische Einführung zum Thema Polizei und Kriminalität zu halten. Der AStA als Studentenvertretung und der Fachschaftsrat als studentische Vertretung der Fakultät wandten sich dagegen – da es falsch sei, einem Vertreter der Polizei ein solches Forum zu geben. Nachdem die Reifen am Wagen des Polizisten beschädigt worden waren, stellte dieser nach der aufkeimenden öffentlichen Debatte seine Dozententätigkeit ein.


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Schünemann äußert sich empört über diese Vorfälle und viele Vorläufer, die derzeit vor allem in den USA und in Großbritannien zu beobachten sind, aber auch in der Bundesrepublik bemerkbarer werden: „Wenn sich nur noch Personen aus homogenen Gruppen zu Fragen und Problemen dieser Gruppen äußern dürfen, werden durch diese Ausgrenzung die individuellen Menschenrechte und somit die Würde des Menschen, vor allem die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit, jede Form von Gemeinsinn und Zusammenhalt eines demokratischen Gemeinwesens nachhaltigen Schaden nehmen.“

Man bedient sich rassistischer Deutungsmuster unter umgekehrten Vorzeichen.

Nicht mehr die Qualität des Arguments zähle dann, sondern nur noch, wer der Absender ist. „Man bedient sich rassistischer Deutungsmuster unter umgekehrten Vorzeichen“, heißt es im Beschluss der CDU. Der gesellschaftliche Diskurs werde so ausgehebelt – und die soziale Frage werde ausgeblendet. Die Landesregierung solle die „Identitätspolitik aufmerksam beobachten“ und „durch Aufklärung aktiv entgegenwirken“. Die Hochschulen sollten für das Thema sensibilisiert werden.

Außerdem schlägt die CDU vor: „Der Landtag bittet die Landesregierung, mit allen Mitteln des demokratischen Rechtsstaates sowohl linke als auch rechte Identitäre zu bekämpfen.“ Der Verfassungsschutz solle prüfen, ob auch linksidentitäre Bewegungen – wie die rechtsidentitären – als Beobachtungsobjekt eingestuft werden sollen.

Wie reagieren die anderen – vor allem die Grünen?

Mit Spannung kann erwartet werden, wie die anderen Fraktionen – vor allem die Grünen – auf den CDU-Vorstoß reagieren werden. Interessant ist auch, dass die CDU ihre Argumentation auf zwei Fälle in Hannover beschränkt, andere Vorfälle an Universitäten aber unerwähnt lässt. Vor anderthalb Jahren war eine Lesung des früheren Bundesinnenministers Thomas de Maizière in Göttingen von linken Aktivisten gestört worden, zur gleichen Zeit wurde der Niedersachse Bernd Lucke bei seiner Antrittsvorlesung an der Uni Hamburg von linken Gegnern niedergebrüllt.

Im April dieses Jahres sollte der Althistoriker Egon Flaig an der Uni Osnabrück auftreten, der AStA boykottierte das mit Hinweis auf eine angebliche AfD-Nähe von Flaig. Der frühere mecklenburgische Bildungsminister Mathias Brodkorb (SPD), der jetzt journalistisch tätig ist, wies daraufhin nach, dass die Vorwürfe gegen Flaig gar nicht zutreffen, dass man ihm falsche Positionen unterstelle. 125 Hochschullehrer solidarisierten sich in diesem Streit mit Flaig.