Rein förmlich sieht das, was heute in der Sondersitzung des Landtags geschieht, erwartungsgemäß aus: Die Regierungskoalition aus SPD und CDU beantragt, nach Paragraph 28a des Bundesinfektionsschutzgesetzes (InfSG) eine „konkrete Gefahr der epidemischen Ausbreitung“ festzustellen. Sobald das geschieht, dürften das Land und Kommunalbehörden Versammlungen beschränken und den Zugang zu bestimmen Einrichtungen regulieren. Dass Grüne und FDP als Oppositionsfraktionen dieser Linie zumindest im Groben zustimmen werden, ist auch anzunehmen. Sie haben sich im Vorfeld entsprechend eingelassen.

Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) verteidigt seine Corona-Politik im Landtag (Archivbild) | Foto: Kleinwächter

Und doch herrscht heute, einen Tag vor der geplanten Kanzlerwahl im Bundestag, eine knisternde Stimmung. Die Ampel-Verhandlungen auf Bundesebene werfen ihre Schatten auf die niedersächsische Landespolitik. So wirken gegenwärtig zuweilen SPD, Grüne und FDP in der Corona-Politik näher beieinander als SPD und CDU, die Regierungsfraktionen. Gibt es de facto schon eine Niedersachsen-Ampel neben der Bundes-Ampel, die de jure gerade ihren Vertrag unterschrieben hat? Einige Indizien untermauern diesen Eindruck:

Streit über den rechtlich richtigen Weg:

Die CDU hatte sehr früh vorgeschlagen, nach dem Niedersächsischen Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst (NGöD) die „epidemische Lage von landesweiter Tragweite“ festzustellen. So hätten Katastrophenschutzhelfer für Test- und Impfaktionen eingesetzt werden können, die Kommunen hätten freier Geld für solche Vorhaben ausgeben, eine Not-Infrastruktur (Impfzentren) aufbauen und die Bezahlung der so aktivierten Kräfte unkompliziert regeln können.

Die SPD bremste, sah keine Notwendigkeit für den besseren Katastrophenschutz – und so verständigte sich Koalition auf den alternativen Weg nach Paragraph 28 InfSG. Dieser gibt dem Land nun Mittel, den Zugang zu Einrichtungen und zu Versammlungen zu regulieren – ein Verbot etwa von Gaststättenbetrieb, Schul-Präsenzunterricht oder auch Ausgangssperren sind aber ausdrücklich über diese Variante nicht erlaubt.

In dieser Debatte steht die CDU jetzt allein, wird auch von der FDP und den Grünen angegriffen. Dadurch verfestigt sich eine ungewöhnliche neue Schlachtordnung im Landtag – hier die De-facto-Ampel, dort die zunehmend einsam wirkende CDU.

Streit über das Notlage-Desaster im Bundestag:

Die heutige Landtagssitzung wird nur deshalb nötig, weil die Entscheidung der Ampel-Koalition im Bundestag Mitte November, die „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ aufzuheben, zu Unmut und massivem Handlungsbedarf geführt hat. Schließungen von Einrichtungen, auch in Einzelfällen, sind bisher gar nicht mehr statthaft, obwohl sie – vor allem in Süddeutschland – zwingend geboten sind. Die CDU ist empört über diese Festlegung der Ampel-Koalition im Bundestag und hält dies für einen gravierenden Fehler.

Gibt es im Landtag bereits jetzt eine Niedersachsen-Ampel aus SPD, Grünen und FDP? | Foto: Kleinwächter

SPD, Grüne und FDP erklären, das sei alles gar nicht so dramatisch. Diese Gefechtslage des Bundestages dürfte heute auch auf den Landtag übertragen werden. FDP-Chef Stefan Birkner sagte gestern, auch ohne die „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ werde die Ampel-Koalition im Bund „den Ländern alle nötigen Mittel einräumen, die diese für erforderlich halten“. Allerdings wäre das wohl erst über eine Gesetzesänderung im Bundestag zu erreichen, denn das bisherige InfSG gibt einen solchen Weg noch nicht her.

FDP und Grüne lassen Angriffsmodus fallen:

Noch vor ein paar Wochen ließen Freie Demokraten und Grüne im Landtag keine Gelegenheit aus, die SPD/CDU-geführte Landesregierung in Hannover für ihre Corona-Politik scharf zu attackieren. Inzwischen färbt sich die neue Mitverantwortung von Grünen und FDP auf Bundesebene zumindest auf den Stil der politischen Debatte im Landtag ab. FDP-Chef Birkner sagte am Montag, die aktuelle Corona-Verordnung der Landesregierung sei „eigentlich das, was die FDP immer gefordert hat“, er trage sie mit.

Die Grünen im Landtag lobten die von der Großen Koalition geplante Reform der Kommunalverfassung mit dem dauerhaften Recht auf Videoteilnahme an Ausschusssitzungen. Das sind neue Töne, weil es noch vor wenigen Wochen keine Pressemitteilung der beiden Oppositionsfraktionen gegeben hatte, die nicht mindestens an einer Stelle heftige Attacken auf die SPD/CDU-geführte Regierung beinhaltete.