Von Isabel Christian

Die Frage ist so simpel wie selten: „Wo und wie kann man eigentlich am besten einen wilden Wolf sehen?“ Nicht nur der 16-jährige Junge, der die Frage gestellt hat, will das wissen. Auch die Köpfe der anderen jungen Zuhörer rucken plötzlich hoch. Konstantin Knorr, der Wolfsexperte, muss grinsen. „Um ehrlich zu sein, dafür muss man ganz schön viel Glück haben.“ Wenn es im Landtag um den Wolf geht, gewinnt man eher den Eindruck, das Tier lauere überall. Die Kritiker argumentieren mit Hunderten verletzter und getöteter Weidetiere und fordern den Abschuss von Tieren, die sich Menschen und Ortschaften nähern. Die Befürworter halten dagegen, dass der Wolf vom Artenschutzgesetz als besonders bedrohte Tierart eingestuft wird und deshalb gehegt werden muss.

Das Interesse war groß, die Neugier auch: In der Jugendakademie wurde über den Wolf diskutiert – Foto: isc

Doch wie denken junge Niedersachsen über die Rückkehr des Wolfes? Haben sie Angst, allein in den Wald zu gehen? Sorgen sie sich um die Tiere des Nachbarschäfers? Oder finden sie es gut, dass es in Niedersachsens Wäldern wieder Wölfe gibt? Das Umweltministerium hat den Wolf zum Thema der dritten Ausgabe seiner Jugendakademie gemacht und Jugendliche zur Diskussion eingeladen. Das Interesse war groß, die Neugierde auch.

Paulina und Sophie sind Tierfreunde. Sie haben schon Geld fürs Celler Tierheim gesammelt und an einem Info-Stand Passanten über Bienen aufgeklärt. „Nee, vor dem Wolf habe ich keine Angst“, sagt Sophie und nippt an ihrer Bionade. „Ich glaube, der ist ziemlich scheu.“ Paulina pflichtet ihr bei. „Der hat bestimmt mehr Angst vor uns als wir vor ihm.“ Doch das wollen die beiden 14-Jährigen genauer wissen. Denn wie Wolfsexperte Knorr glauben die Mädchen daran, dass der Wolf künftig wieder fest zur Tierwelt im Land dazugehören wird. „Wir müssen deshalb wieder lernen, mit dem Wolf zu leben“, sagt Knorr.

Allerdings hat sich Niedersachsen in den vergangenen Jahrzehnten ohne Wolf sehr gewandelt. Statt großer Wälder, in denen die Tiere teilweise ungestört lebten, prägen nun Felder, Ortschaften, Straßen und Wiesen die Landschaft. „Wölfe haben ein Territorium, das zwischen 200 und 300 Quadratkilometer groß ist. So groß also wie die Stadt Hannover“, erklärt Knorr. Das liefen sie immer wieder ab. „Da kommen sie zwangsläufig durch Ortschaften oder überqueren Straßen.“ Allerdings hätten Wölfe eine andere Einstellung zu Häusern als zu Menschen. „Wenn ihr mit dem Auto durch einen Safaripark fahrt, bleiben die Tiere nah bei euch. Steigt ihr aber aus, wittern sie euch und laufen weg“, sagt Knorr. So sei es bei Wölfen auch. Autos und Gebäude werden nicht als Bedrohung wahrgenommen.

Nicht in Panik verfallen

„Aber was ist denn, wenn man im Wald auf einen Wolf trifft und der läuft nicht weg?“, will ein Junge wissen. Nicht in Panik verfallen, rät Knorr. Denn das heiße nicht, dass der Wolf sich untypisch verhält. „Wölfe haben Respekt vor Menschen, aber keine Angst.“ Vor allem junge Wölfe seien neugierig und beäugten das unbekannte Wesen gern aus wenigen Metern Entfernung. „Das heißt aber nicht, dass sie zahm sind. Locken darf man sie auf keinen Fall“, sagt Knorr. Wer sich dennoch fürchtet, sollte Lärm machen, das verschrecke den Wolf. „Lautes Klatschen und Rufen oder sich mit einer Jacke groß machen hilft am besten, das verjagt sogar ein Rudel.“ Und wenn der Wolf immer noch zögert, könne man Stöcke oder kleine Steine nach ihm werfen. „Dann haut er eigentlich immer ab.“

Ein anderer junger Zuhörer möchte wissen, was für einen Nutzen der Wolf eigentlich hat. „Ich meine, tut er was Gutes für den Wald oder schadet er?“ Das müsse man aus zwei Perspektiven sehen, sagt Knorr. Dem Wald helfe die Anwesenheit des Wolfes, der ja ein natürlicher Teil der Tierwelt sei. „Er jagt alte und kranke Tiere“, sagt Knorr. Zudem verhindere er, dass es zu viele Rehe gibt. Denn diese fressen mit Vorliebe junge Bäume, wodurch der Wald nicht weiterwachsen kann. Doch die Halter von Rindern, Schafen und Ziegen seien zu Recht nicht gut auf den Wolf zu sprechen. Durch ihn hätten sie Mehraufwand. Sie müssten Zäune ziehen und genau darauf achten, dass nirgendwo ein Schlupfloch ist. „

Wölfe sind kluge Tiere. Wenn sie auf einer Weide Beute gefunden haben, kommen sie immer wieder und suchen nach Schwachstellen im Zaun, durch die sie zu den Tieren gelangen können“, sagt Knorr. Dabei sind sie auch oft erfolgreich. Doch ihre Bedrohung für Weidetiere sei kein Grund, die Wölfe wieder zu vertreiben. „Wir setzen uns für Löwen in der Savanne ein, aber welches Recht haben wir zu entscheiden, dass der Wolf, der hier bei uns schon immer gelebt hat, nicht mehr hier sein darf?“ Um es den Landwirten leichter zu machen, gebe es die Förderung für den Zaunbau und eine Entschädigung für Tiere, die Opfer von Wölfen geworden sind. Sophie findet das gut. „Ich wusste gar nicht, dass es das gibt. Weil sich doch immer alle darüber aufregen, dass der Wolf so viel Schaden anrichtet.“

Wölfe in freier Wildbahn sehen? Am ehesten in der Lüneburger Heide

Doch sie will noch etwas anderes wissen: „Wie viele Wölfe gibt es denn in Niedersachsen?“ Momentan seien es zwölf Rudel, insgesamt etwa 100 Tiere. „Es ist eine sehr kleine Population, deswegen muss sie streng geschützt werden“, sagt Knorr. Auf dem Balkan dagegen lebten etwa 4000 Wölfe. „Dort dürfen sie auch gejagt werden, das richtet keinen großen Schaden an.“ Dass es in Niedersachsen mal so viele Wölfe geben wird, hält der Experte für ausgeschlossen. Zu einem Rudel gehören für gewöhnlich etwa acht Tiere. Zwei Eltern, mehrere Jährlinge und Welpen. „Erinnert euch, dass die in riesigen Territorien leben, die sie streng gegen Eindringlinge verteidigen.“ Werden die Jungtiere erwachsen, verlassen sie das Rudel und suchen sich ein eigenes Revier. So verteilten sich die Wölfe zwar immer weiter, doch die Zahl in einem Gebiet bleibe immer annähernd gleich.

Aber wie bekommt man einen Wolf nun in freier Wildbahn zu Gesicht? „Am höchsten ist die Chance in der Lüneburger Heide“, sagt Knorr. Dort könne man an einer Wolfswanderung teilnehmen und fände mindestens Pfotenabdrücke oder Reste von Mahlzeiten. „Ansonsten sollte man viel draußen unterwegs sein und auf das Glück hoffen.“