Müssen wir uns auf eine neue Corona-Welle im Herbst einstellen? Reichen die Schutzvorkehrungen aus? Soll man mit der nächsten Auffrischungsimpfung auf den neuen Impfstoff warten? Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat sich den Fragen der Redaktion des Politikjournals Rundblick gestellt.

Foto: Lada

Rundblick: Wenn man die Corona-Politik seit 2020 beleuchtet – was war in dieser Zeit das größte Versäumnis der Bundesregierung?

Lauterbach: Ich würde nicht gern auf Versäumnisse zu sprechen kommen, insbesondere möchte ich keine Versäumnisse meines Vorgängers erwähnen. Wir haben Höhen und Tiefen gehabt, das ist ganz klar, aber insgesamt haben wir das gut bewältigt. Gemessen an der Sterblichkeitsrate und am hohen Durchschnittsalter der deutschen Bevölkerung, sowie auch an der hohen Zahl von vulnerablen Gruppen sind wir einigermaßen gut durchgekommen. Wir haben jetzt aber einen schweren Herbst vor uns, darauf müssen wir uns gut vorbereiten – und daran wird gerade gearbeitet.

„Ich bin zufrieden mit dem, was wir gemeinsam im Kabinett vereinbart haben.“

Rundblick: Wie beurteilen Sie die regierungsinternen Gespräche. War das für Sie frustrierend, dass Bundesjustizminister Marco Buschmann von der FDP die Lage nicht so einschätzt wie Sie?

Lauterbach: Die FDP ist ein Koalitionspartner, der in mancherlei Hinsicht in der Corona-Politik andere Grundsätze in den Vordergrund stellt und auch andere Ziele verfolgt. Das ist ganz natürlich. Aber ich bin zufrieden mit dem, was wir gemeinsam im Kabinett vereinbart haben. 

Rundblick: Wieso wird die Lage im Herbst schwieriger als momentan?

Lauterbach: Die Fallzahlen werden voraussichtlich steigen, und hinzu kommt die steigende Grippewelle sowie die steigende RSV-Viren-Welle. Das führt zu mehr Ausfällen in den Kliniken und so werden wir dann voraussichtlich in eine schwierige Lage kommen. Es gibt noch eine kleine Chance, dass diese Welle nicht so groß ausfällt. Das Ausmaß dieser Welle hängt davon ab, wie stark die Immunität für die BA-5-Variante in Deutschland ausgeprägt sein wird. Wir müssen aber davon ausgehen, dass wir im Herbst eine sehr schwierige Situation vorfinden werden. Auf diese sind wir allerdings mit unserem Vorschlag für das Infektionsschutzgesetz gut vorbereitet.

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Rundblick: Glauben Sie, dass die Bevölkerung nach mehr als zwei Jahren Pandemie geschult genug ist, um mit diesem Virus umzugehen – oder gibt es inzwischen eine Sättigung?

Lauterbach: Jetzt im Sommer ist tatsächlich eine Sättigung spürbar. Ich muss aber dennoch mit meinem Sieben-Punkte-Programm den Herbst vorbereiten und außerdem eine Impfkampagne gestalten. Vor allem ist wichtig, dass die Pflegeeinrichtungen geschützt sind und dass die vulnerablen Gruppen schneller mit verfügbaren Medikamenten versorgt werden können. Mit einem besseren Digitalangebot muss die Pandemie überwacht werden, ein Pandemie-Radar ist in Vorbereitung. Zudem werden wir Abwasseruntersuchungen zur Früherkennung durchführen. An all diesen Dingen arbeite ich persönlich ohne Urlaub gemeinsam mit meinem Haus. Aktuell wollen viele Leute es zwar nicht hören, aber ich bin davon überzeugt: Wenn im Herbst die Not wieder gespürt wird, dann sind die Menschen auch wieder bereit, mitzuziehen und sich an die Regeln, wie etwa das Tragen der Masken, zu halten. 

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Rundblick: Die Menschen über 60 sollen sich eine neue Auffrischungsimpfung holen, so der Rat der Ständigen Impfkommission. Aber ist das nicht problematisch, wenn demnächst ein neuer, besserer Impfstoff kommen soll – und die Älteren nun erst einmal den älteren aufbrauchen sollen?

Lauterbach: Nach unseren Erkenntnissen ist der Schutz vor schwerer Krankheit und vor Tod auch bei dem alten Impfstoff komplett gegeben. Dass die neuen Impfstoffe in dieser Hinsicht besser wären, können wir nicht sagen. Wofür die neuen Impfstoffe dann vermutlich besser schützen werden, ist vor der Ansteckung. Daher empfehle ich den älteren Menschen und denen mit Vorerkrankungen, nicht zu warten. Ich war am Montag im Krankenhaus Siloah in Hannover und habe eine Leukämie-Patientin gesehen, die jetzt Covid hatte und sie rang um ihr Leben. Das ist so ein Fall, in dem eine vierte Impfung vermutlich geholfen hätte. Bei Älteren und bei Menschen mit Begleiterkrankungen wird Corona oft unterschätzt, daher halte ich eine vierte Impfung für unbedingt empfehlenswert. Ich rate, das nicht zu verzögern.

Rundblick: Wie sieht es bei der Kontakt-Nachverfolgung aus, die ist zuletzt ja doch etwas ins Hintertreffen geraten…

Lauterbach: Die Kontaktnachverfolgung ist von den Gesundheitsämtern kaum zu leisten. Was die Infektionsketten angeht, ist die Kontaktnachverfolgung nicht vorrangig. Wir sind besser beraten, darauf zu achten, dass die Isolation der Infizierten auch stattfindet, angeordnet und eingehalten wird – und dass wir die Menschen zur Impfung bewegen. Die Impfung selbst trägt zu einer Entschleunigung der Pandemie bei. Hier werden wir ansetzen und bereiten aktuell eine Kampagne für den Herbst vor.

Rundblick: Wer führt die Impfung durch, die Arztpraxen oder die Impfzentren?

Lauterbach: Impfungen werden in Impfzentren, Arztpraxen oder von mobilen Impfteams in den Pflegeeinrichtungen angeboten werden. Auch Pflegekräfte in den Pflegeeinrichtungen selbst sollen impfen können. 

Rundblick: Wir haben keine Impfzentren in Niedersachsen…

Lauterbach: Die Impfzentren können jederzeit wieder aufgebaut werden. Das kann jedes Bundesland für sich entscheiden. Auf jeden Fall ist das eine wichtige Struktur – und die Kostenübernahme hatte der Bund den Ländern zugesagt.

„Eine Steigerung der Immunität durch Ansteckung ist nicht feststellbar.“

Rundblick: Noch eine Frage zum Datenschutz. In der Pandemie war es kaum möglich, Gesundheitsdaten auszutauschen oder überhaupt auch nur zu analysieren, in welchen Gruppen und unter welchen Bedingungen sich das Virus ausbreitete. Ist es jetzt nicht an der Zeit, den übertriebenen Datenschutz abzubauen?

Lauterbach: Ich glaube nicht, dass wir einen übertriebenen Datenschutz haben. Wir haben tatsächlich Daten nicht genutzt, die wir hätten nutzen können. Im Pandemie-Radar, den ich jetzt einführe, sind erstmals alle Krankenhäuser an ein digitales System angeschlossen. Die Auslastung der Kliniken bekommen wir auf diesem Wege mitgeteilt. Wir werden damit feststellen können, ob Menschen wegen oder mit Covid ins Krankenhaus kommen. Diese und andere Daten hätten wir schon viel früher gebraucht. Ab diesen Herbst und Winter werden wir sie nun endlich haben. Das ist nie am Datenschutz gescheitert, das wird oft nur vorgeschoben. 

Die Rundblick-Redaktion traf Gesundheitsminister Karl Lauterbach am Rande einer Veranstaltung im Hannover Congress Centrum | Foto: Lada

Rundblick: Der dritte Corona-Herbst naht, was raten Sie den Menschen, die jetzt eine gewisse Müdigkeit bei dem Thema verspüren?

Lauterbach: Die Antwort ist klar: Ehrlichkeit. Bei Corona ist es nicht so, dass mit wachsender Häufigkeit der Erkrankung ein milderer Verlauf zu erwarten wäre. Eine Steigerung der Immunität durch Ansteckung ist nicht feststellbar. Die Wahrheit ist vielmehr: Jedes Mal, wenn ich neu erkranke, ist das Risiko groß, dass ich schwer erkranke. Wer es häufiger gehabt hat, hat auch ein höheres Risiko, an Long Covid zu erkranken. Hier gilt bei dieser Krankheit: Je häufiger ich es gehabt habe, desto schlechter ist das für mich.