Der Mann, so scheint es, genießt die vielen kleinen Raufereien. Er freut sich, wenn er gekonnt auf die immer zahlreicheren Anfeindungen reagiert. Stefan Homburg (59), Wirtschaftswissenschaftler aus Hannover und Direktor des Instituts für öffentliche Finanzen, ist seit ein paar Wochen eine der Hauptzielscheiben jener, die für seine scharfe Kritik an der Corona-Politik gar kein Verständnis aufbringen wollen. Das trifft ihn nun nicht unvorbereitet. Homburg kennt sich aus im Geschäft der politischen Kommunikation. Deshalb weiß er auch, wann er welche Botschaften setzt, um Aufmerksamkeit zu erzeugen – und wie aus einer Mischung aus Eskalation und anschließender Relativierung seiner Aussage eine Debatte am Kochen gehalten werden kann. Es ist ein Kampf, den er gerade ausführt. Vielleicht sein letzter großer Kampf?

Prof. Stefan Homburg – Foto: Uni Hannover

Homburg, ein hochbegabter Wissenschaftler, hat es geschafft, in wenigen Wochen zu einer Leitfigur der Gegner der Anti-Corona-Politik der Bundes- und Landesregierungen zu werden. Er hat seine Kritik zugespitzt und mit Zahlen begründet, in Interviews Vorwürfe ausgesprochen und ist auf Versammlungen aufgetreten, auf denen nach ihm auch Extremisten zu Wort kamen. Der Wissenschaftler, der über Jahrzehnte die Arbeit der Politiker häufig kritisch begleitet hatte, dabei zumeist aber nur im fachlich interessierten Publikum Aufmerksamkeit erntete, kann sich auf einmal vor Journalistenanfragen nicht mehr retten.


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Das Interview, das eine Youtuberin mit ihm führte, wurde mehr als eine Million mal angeklickt. Fernsehsender reißen sich mittlerweile um ihn, andere wiederum meiden ihn bewusst, da sie ihn in einer extremen Ecke vermuten. „Die Stimmung kippt“, sagt er und lächelt. Er meint, dass sich seine Auffassung immer stärker verbreite und immer klarer werde, welch ein „Unsinn“ die Politiker beschlossen hätten, als sie das öffentliche Leben heruntergefahren hatten. „Vielleicht werde ich bald auch in die Talkshows eingeladen, in der bisher nur die Befürworter der Beschränkungen zu Wort kommen – die vehementen und die etwas weniger vehementen Befürworter. Gegner, wie ich es bin, habe ich dort bisher noch nicht gesehen.“

Eine Karriere in der Politik? Auf keinen Fall

Was treibt diesen Mann an, plant er eine neue, zweite Karriere, etwa in der Politik? „Nein, auf keinen Fall“, sagt Homburg. Die Politik sei nichts für ihn, dazu liebe er sein selbstbestimmtes Leben zu sehr. Sichtlich gefällt es ihm, den Wissenschaftler, der häufig für ein sprödes Aufgabengebiet kaum Interesse gewinnt, plötzlich im Zentrum eines politischen Taifuns zu stehen. Es ist ein weiterer Aufstieg nach Jahren, in denen es eher ruhig um ihn war. Aber euphorisiert wirkt er nicht, eher etwas nachdenklich und erschöpft. Er habe diesen Weg begonnen „und durchaus die Risiken gesehen, die damit verknüpft sind“, sagt er.

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Aber er nimmt die verbalen Angriffe seiner Gegner, auch an der Uni Hannover, doch in Kauf. Homburg geht gegen seiner Ansicht nach falsche Behauptungen über ihn an, wehrt sich gegen Artikel, in denen er eine Verleumdung erkennt – und sieht als großen Vorteil, mit scharfen Erwiderungen auf Kritik an ihm noch mehr Interessierte anzulocken. Denn in Wahrheit, betont er, gehe es ihm um seine wissenschaftlichen Thesen: Dass nämlich die Begründung, mit der Bundes- und Landesregierung im März das öffentliche Leben in Deutschland heruntergefahren hatten, nicht überzeugend sei. Dass kritische Stimmen in der Wissenschaft, wie die des US-Gesundheitsexperten John Ioannidis, von anderen Medizinern ausgegrenzt worden seien. Dass wenige Virologen, deren Arbeit er durchaus kritisch bewertet, der Politik gegenwärtig die Richtung vorgäben. Die Professoren Drosten und Kekulé zählten dazu.

Kluger Kopf und Regierungs-Berater

Hinter dem Streit um die Corona-Auflagen sieht Homburg nach eigenen Worten einen Streit um die Freiheit der Wissenschaft, oder genauer: für die Haltung von Professoren, die als zu unbequem gelten. Das passt zu Homburg, hat er doch in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder quer gelegen zu politischen Entscheidungen. Er war gegen die Einführung des Euro, gegen die Griechenland-Rettung beim Euro und gegen eine ausufernde Staatsverschuldung. Der gebürtige Sauerländer, der schon mit 29 Professor war und als ausgesprochen kluger Kopf gilt, manche sagen „ein Überflieger“, war Anfang des Jahrtausends in Beratergremien der Bundesregierung aktiv und in der Föderalismuskommission.

In all den Jahren schärfte er seine Fähigkeit, mit zugespitzten Formulierungen eine Debatte anzustoßen. Diese blieben aber immer in einem überschaubaren, begrenzten Rahmen. Jetzt ist es irgendwie anders, viel schärfer, es klingt fast wie existentieller Kampf. Begonnen hatte er am 2. April mit einem Interview im Politikjournal Rundblick. Das sollte der Auftakt werden für eine Serie von Gastbeiträgen, Aufsätzen und Gesprächen, die ihn von mal zu mal einer breiteren Öffentlichkeit bekannt machten. Inzwischen muss er sich wohl manchmal wie ein Superstar fühlen.

Ihm fehlt die Achtung vor der Wissenschaft

Noch einmal gefragt: Was treibt ihn eigentlich an? Fast beiläufig erzählt er, im nächsten Jahr, wenn er 60 wird, seinen Vorruhestand zu beantragen. Als emeritierter Professor könnte er dann weiter wirken, aber aus dem offiziellen Dienst wird er ausscheiden. Vielleicht will er die Aufmerksamkeit noch einmal nutzen, um seine Botschaften zu vermitteln – vor allem diejenigen, die sich in vielen Jahren angestaut haben. Homburg sagt, es seien drei Dinge gewesen, die ihn angestachelt hätten für seine gegenwärtige Schlacht: Erstens die mangelnde Achtung der Politik vor der Wissenschaft – dass nämlich nur handverlesene Wissenschaftler die Bundesregierung beraten würden, und dass die Masse der Medien das treu akzeptiere. Zweitens die Berichte von Bekannten, die keinen Termin für Operationen in Kliniken bekommen hätten, weil die Betten für Corona-Patienten freigehalten wurden, die dann doch nicht kamen.

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Drittens der enorme Zuspruch über Mails, die vor allem von Medizinern stammten und die ihn bestärkten. Homburg sieht gegenwärtig „vier Rebellen“ in Deutschland, die gegen die aktuelle Politik aufbegehrten – neben ihm noch Klaus Püschel aus Hamburg, Sucharit Bhakdi aus Mainz und Wolfgang Wodarg aus Itzehoe. Für alle gelte, dass sie entweder schon im Ruhestand sind oder kurz davor, sich also auch trauen könnten, unangenehme Wahrheiten auszusprechen.

Dann antworte ich: Wenn fast alle es so sehen, muss es trotzdem nicht richtig sein.

Unangenehme Wahrheiten? Für Homburg ist das eine ganze Menge. Er meint zunächst, das Herunterfahren von Wirtschaft und Gesellschaft habe gar keinen entscheidenden Effekt auf die Infektionszahlen gehabt. Eine These, die heftigen Widerspruch erregt. Homburg meint weiter, dass der Wissenschaftsbetrieb viel zu sehr von Drittmitteln abhängig sei und daher die Wirtschaft – oder auch die EU – bestimme, welche Fragestellungen erforscht werden und welche eben nicht. Drittens rügt er, dass im politischen Diskurs, auch wegen einer von ihm bemerkten Eintönigkeit der Medien, bestimmte Positionen ausgeblendet würden und die Meinungsvielfalt darunter leide. „Oft fragen mich Journalisten: Wenn das stimmt, was Sie sagen, warum handeln dann fast alle Staaten auf der Welt mit einem ,Lockdown‘, so wie es in Deutschland geschehen ist? Dann antworte ich: Wenn fast alle es so sehen, muss es trotzdem nicht richtig sein“, sagt Homburg.

Ist Homburg ein NS-Verharmloser?

Dann ist da auch noch der Nazi-Vergleich, den Homburg im Laufe einer Twitter-Unterhaltung äußerte und der bisher den größten Wirbel auslöste. „Das hier ist 1933. Damals gab es keinen Krieg und keine Lager. Es wurde erst die Demonstrations- und Meinungsfreiheit abgeschafft, dann das Rechts-, Presse- und Wissenschaftssystem gleichgeschaltet“, schrieb er zur Untermauerung seiner Position, es gebe keinen offenen Diskurs über die gegenwärtige Politik. Die Aussage führte sogar dazu, dass die Leitung der Uni Hannover von Homburg abrückte, ihm „Verharmlosung der NS-Zeit“ vorhielt und daran erinnerte, dass nach Beginn der Nazi-Herrschaft kritische Professoren aus der Universität gedrängt wurden. Etwa zur gleichen Zeit wurde auch eine Erklärung des Allgemeinen Studentenausschusses der Uni Hannover bekannt. Darin heißt es: „Es ist inakzeptabel, dass Professor Homburg weiterhin die Lehrverantwortung für Studierende trägt.“ Ob diese Reaktion des AStA jetzt klug war, scheint doch sehr fraglich zu sein. (kw)