Fuest gegen Fratzscher, Hilbers gegen Lies – und die Sparsamen und Vorsichtigen auf der einen Seite, während die Ausgabefreudigen auf der anderen Seite stehen. Die finanzpolitische Auseinandersetzung vor der Bundestagswahl in gut drei Monaten beginnt in Niedersachsen mit einem volkswirtschaftlichen Dialog und damit auf einem hohen wissenschaftlichen Niveau. Den Auftakt lieferte Niedersachsens Finanzminister Reinhold Hilbers (CDU) in dieser Woche, als er zunächst ein Positionspapier verfasste, das ihn als Anhänger der Schuldenbremse, einer Verringerung der Staatsaktivitäten und einer Belebung der privaten Initiativen outete.

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Zur Verstärkung zog er zu einer Online-Diskussionsveranstaltung am Mittwoch prominente Professoren hinzu, auch der Nord/LB-Vorstandsvorsitzende Thomas Bürkle gab eine Einschätzung ab. Am Donnerstagabend reagierte die andere Seite, die Keynes-Gesellschaft, die zusammen mit dem DGB und dem von Arno Brandt geleiteten „Forum für Politik und Kultur“ die andere Seite darstellte – unterstützt von Umweltminister Olaf Lies (SPD) und der Grünen-Fraktionschefin im Landtag, Julia Hamburg. Sie plädierten, unterstützt von mehreren Gewerkschaftern, für eine erhebliche Stärkung der jahrelang vernachlässigten öffentlichen Investitionen – und zwar auch über das Mittel einer zusätzlichen Kreditaufnahme.

Zusammengefasst lauten die Positionen der beiden Lager so:

Die „Staats-Drossler“:

Hilbers hält „schlanke Strukturen“ und weniger Verrechtlichung für erforderlich. Die staatlichen Abläufe seien zu kompliziert, alles dauere viel zu lang. Privatinitiative sei gefragt, und diese brauche einen Freiraum zur Entfaltung und weniger Vorgaben. Klimaschutz sei vor allem über den Preis, etwa für Kohlendioxid-Emissionsrechte, zu regeln. Prof. Clemens Fuest, Präsident des Ifo-Institutes, sieht die Ausweitung der Staatsverschuldung skeptisch. In Deutschland wäre seinen Berechnungen zufolge schon vor der Pandemie ein 80-Milliarden-Sparprogramm nötig gewesen, wenn man für die vielen Versprechungen für die Zukunft (vor allem für Renten und Pensionen in der alternden Bevölkerung) vernünftige Vorsorge hätte schaffen wollen.


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Gegen die These, dass steigende Nettokreditaufnahme durch noch stärker steigendes Wirtschaftswachstum aufgezehrt werde und die Verschuldung so auf Dauer geringer werde, hat Fuest einen Einwand: In den vergangenen Jahrzehnten sei das in Deutschland nie so gelaufen, der Trend der Verschuldung habe beständig nach oben gewiesen. Der Professor warnt vor einer Vermögensteuer, die Investitionen beispielsweise in neue Mietshäuser unwirtschaftlich machen könne. Prof. Johanna Hey, Steuerrechtsexpertin aus Köln, hält das Steuerrecht für viel zu kompliziert – und damit für zu abschreckend für Investoren. Außerdem sei es „verlustfeindlich“ und bestrafe jene, die etwas Neues ausprobieren und das Scheitern einkalkulieren müssen. Eine Reform von Gewerbe- und Körperschaftsteuer sei ratsam, auch mit dem Ziel von mehr Transparenz.

Die „Staats-Expansionisten“:

Prof. Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung sieht ebenso wie Fuest die Alterung der Gesellschaft und erwartet, dass die Wachstumsraten in einigen Jahrzehnten stark zurückgehen werden. Man dürfe in Vorbereitung darauf aber nicht die Ausgaben kürzen, sondern müsse „die Erwerbsarbeit produktiver machen“. Zunächst gehe es darum, die Rückständigkeit Deutschlands bei Digitalisierung und technologischer Innovation abzubauen. Sinnvoll seien Innovationsfonds, damit neben der Schuldenbremse noch investiert werden kann. Auch eine Steuerreform sei nötig: „Wir müssen die Arbeit steuerlich entlasten und die Vermögen stärker belasten.“

Chance für Hochschul- und Wohnungsgesellschaft?

Konkret wird der Konflikt der beiden Lager beispielsweisebeim Streit über die von SPD, Grünen und Gewerkschaften geforderte Landes-Hochschulgesellschaft, die – mit einem Basiskapital ausgestattet – eigenständig Kredite für die Aufgabe einer Gebäudesanierung und besseren technischen Ausstattung aufnehmen könnte. Die „Staats-Expansionisten“ loben das Modell, Hilbers aber weist es zurück: „Die Hochschulen müssten die Gebäude dann vom Land anmieten, das wäre eine Umgehung der Schuldenbremse und damit unzulässig.“ Dass CDU/CSU-Kanzlerkandidat Armin Laschet mit der Idee eines „Deutschland-Fonds“ eine ähnliche Idee vertrat, bringt Hilbers dazu, einen aus seiner Sicht sehr wichtigen Unterschied zu betonen: „Wenn sich an solchen Investitionsgesellschaften auch private Finanziers beteiligen, etwa für eine Autobahn, für die es Maut-Einnahmen gibt, ist das schon vorstellbar.“

Hilbers‘ Kollege Lies sieht das etwas anders und preist das Modell einer Landeswohnungsgesellschaft an, die Wohnungen baut und erwirbt. Dies könne über die N-Bank geschehen, mit dem Basiskapital von 400 Millionen Euro solle die N-Bank „neue Kredite dafür aufnehmen“, betont Lies. Er fügt hinzu: „Nach der Sommerpause muss die Wohnungsgesellschaft in der Koalition entschieden werden. Wenn es mit der CDU nicht machbar ist, sollte das ein Startsignal sein für eine neue Koalition nach der Landtagswahl, die das dann gleich umsetzt.“ Bei Hilbers sieht Lies „einen marktwirtschaftlichen Sozialstaat“, der die Rolle des Staates stark zurückdreht. Dieses Modell lehne er strikt ab. „Wir werden erheblich darüber streiten“, sagt Lies voraus.