Wenn Carolin Grieshop fünf Jahre in die Zukunft schaut, dann möchte sie Schlagzeilen lesen wie: „Jede zweite Betriebskantine hat Bio-Essen“ oder „Algen und Fische als neue Bio-Betriebszweige“ oder auch „Oldenburger Grünkohlessen zum ersten Mal Bio“. Ob das wohl so kommt? Grieshop ist zumindest zuversichtlich, denn der Trend geht in diese Richtung. „Wir sehen, dass der Markt wächst“, sagte Grieshop gestern bei einer Veranstaltung des niedersächsischen Agrarministeriums. Derzeit stellen zahlreiche Betriebe um auf ökologische Produktion. Das Kompetenzzentrum Ökolandbau Niedersachsen (KÖN), dessen Geschäftsführerin Grieshop ist, hat mit der Beratung zur Umstellung von Betrieben von konventionell auf Bio alle Hände voll zu tun.

Wer selber kocht, achtet auf beste Qualität

Grieshops optimistische Erwartung, in ein paar Jahren die angekündigten Überschriften lesen zu können, baut auch auf den Entwicklungen des vergangenen Jahres auf. Der Bio-Sektor gehört nämlich in gewisser Weise zu den Krisengewinnern der Corona-Pandemie. Im ersten Halbjahr 2020 sei der Umsatz mit Bio-Lebensmitteln im Vergleich zum Vorjahresquartal um 26 Prozent gestiegen, weiß die KÖN-Geschäftsführerin zu berichten. Dass der Umsatz steigt, sei zwar nicht ungewöhnlich, denn das tut er seit Jahren. Doch das Corona-Jahr habe einen Sprung von mehr als zehn Prozentpunkten gebracht.

Die Ursache dafür erkennt Grieshop im Lockdown, dem damit verbundenen Homeoffice und der vielen Zeit, die die Menschen plötzlich hatten, um sich mit ihrer Essensaufnahme gedanklich auseinanderzusetzen. Zum Mittag gab es nun nicht mehr das belegte Brötchen vom Bäcker oder einen Snack aus der Kantine. „Die Menschen hatten Zeit, sich Essen zuzubereiten und sie haben gekocht“, schildert Grieshop. „Dabei haben sie auf Qualität und Geschmack geachtet. Wer selbst kocht, schätzt gute Zutaten und das ist für viele Bio.“

Öko-Modellregionen sollen Betriebe und Markt zusammenführen

Obwohl die Nachfrage nach Bioprodukten boomt, ist Niedersachsen beim Ökolandbau aber noch nicht dort, wo es sein möchte. Die aktuelle Statistik verrät, dass nur knapp 5,2 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche in Niedersachsen ökologisch bewirtschaftet wird. Der Bundesdurchschnitt liegt bei etwas über zwölf Prozent, die Bundesregierung möchte den Anteil bis 2030 auf 20 Prozent erhöhen. Niedersachsens Agrarministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) hat im vergangenen Jahr das Ziel den Startbedingungen angepasst und plante, bis zum Jahr 2025 den Anteil hierzulande zu verdoppeln, also auf etwa zehn Prozent zu bringen. Der „niedersächsische Weg“ sieht nun einen Anteil von 15 Prozent ökologisch bewirtschafteten Flächen bis 2030 vor.


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Eines der Vehikel, um dieses Ziel zu erreichen, sollen die sogenannten Öko-Modellregionen sein. Den Anfang machten im Februar 2020 die ersten drei Regionen in Goslar, Holzminden und Uelzen. Drei weitere Modellregionen sind gerade in der Vorbereitung und sollen bald bekanntgegeben werden. Das Land investiert dabei in die Förderung tragfähiger Netzwerke, damit Verarbeitung, Vermarktung und Gemeinschaftsverpflegung in einem Gesamtkonzept so miteinander verzahnt werden, dass sich der Ökolandbau langfristig für die Landwirte lohnt. „Als wir beim niedersächsischen Weg davon gesprochen haben, dass wir den Anteil vom Ökolandbau steigern wollen, zuckte gerade die Öko-Seite immer zusammen“, erzählte Otte-Kinast gestern von ihren Erfahrungen im vergangenen Jahr. „Denn ohne einen Markt, der die Produkte aufnimmt, lohnt es sich nicht. Diese Märkte müssen wir eben erschließen.“

Die Bauordnung steht Veränderungen im Weg

Doch reicht das schon aus? Nachdem bei zahlreichen Branchengesprächen immer wieder der Ökolandbau und die Hürden bei der Umgestaltung der Betriebe zum Thema wurden, hat Ministerin Otte-Kinast zu dem offenen Austausch gestern auch Experten aus der Praxis geladen. Was ist bislang schon passiert? Und wenn es noch nicht vorangeht: Woran hakt es?

Wir wollten raus aus dem Hamsterrad: immer mehr Masse, immer größer.

Das Ehepaar Kerstin und Stephan Klünemann hat seinen Betrieb im Emsland seit 2018 auf Bio umgestellt. Ursprünglich haben sie 2015 mit zwei konventionellen Putenmastbetrieben begonnen, die jetzt auch ökologisch sind. Ergänzend kam noch der Anbau von Bio-Chicorée hinzu. „Wir wollten raus aus dem Hamsterrad: immer mehr Masse, immer größer“, schilderte Kerstin Klünemann. „Mit dem Bio-Gemüse haben wir eine Nische gefunden, in der wir auch als relativ kleiner Betrieb so viel erwirtschaften können wie nötig.“ Beim Gemüse lief alles ganz einfach, doch bei der Umstellung des Mastbetriebs taten sich Hürden auf. Die bisherige EU-Verordnung sah nämlich vor, dass Ställe im Bio-Standard einen barrierefreien Auslauf für die Tiere bereithalten müssen. Die alten konventionellen Ställe der Klünemanns standen aber auf einem großen Betonsockel und waren deshalb nicht ebenerdig. Erst die Novellierung der EU-Verordnung brachte aufgrund einer Konkretisierung die Lösung: Nun heißt es dort, dass auch Rampen angebracht werden können, falls der ebenerdige Ein- und Ausgang nicht gewährleistet werden kann.

Viele Betriebe stellen auf Bio um, aber schmeißen dann die Tiere raus.

Auch Johannes Blanke, Landwirt aus dem Heidekreis, weiß um diese Probleme bei der Umstellung von tierhaltenden Betrieben. „Viele Betriebe stellen auf Bio um, aber schmeißen dann die Tiere raus“, sagte er und erläuterte, dass etwa bei Bio-Kühen nach der Umstellung auf einen Schlag Weidehaltung mit einer sehr großen Auslauffläche vorgeschrieben wäre, die sich viele Betriebe nicht leisten könnten. Für Blanke, der seinen Betrieb seit dieser Woche komplett auf Bio umgestellt hat, liegt hier der Schlüssel in der Förderung, die seiner Ansicht nach wieder deutlich wachsen müsste.

Der Markt will es, der Bauer will es, aber es gibt keine Genehmigung, eine Wand einzureißen.

Die baurechtlichen Vorgaben und auch die Einschränkungen im Bereich der Luft- und Lärmreinheit hemmen die Modernisierungsprozesse in der Landwirtschaft schon seit langem. Davon wusste auch KÖN-Geschäftsführerin Grieshop zu berichten. Wenn Tierhaltungsbetriebe bei der Umstellung auf Öko-Standard bei der Umgestaltung der Ställe ankämen, gehe es häufig nicht weiter, führte sie aus: „Der Markt will es, der Bauer will es, aber es gibt keine Genehmigung, eine Wand einzureißen.“

Das Problem ist auch in der Politik längst bekannt, doch noch lange nicht gelöst. „Wir kommen da seit Jahren nicht weiter“, räumte Ministerin Otte-Kinast gestern ein und gab zu bedenken, dass das Baurecht an dieser Stelle auf nationaler Ebene Regelungen trifft. Doch noch im Juni möchte Niedersachsen den nächsten Vorstoß im Bundesrat wagen, kündigte sie an. Die Initiative sei noch in der Abstimmung mit dem ebenfalls beteiligten Umweltministerium, Details konnte sie deshalb noch nicht berichten.

Von Niklas Kleinwächter