Politik hat viel mit Psychologie zu tun, vor allem in Wahlkampfzeiten. Wer dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil in den vergangenen Wochen begegnet ist, erlebt einen ausgeglichenen, meistens gut gelaunten und redseligen Mann, der stets zu Scherzen aufgelegt ist. Nichts scheint seine Seele zu belasten. Noch zu Jahresbeginn wirkte Weil weit weniger gelöst als heute. Ob das der Schulz-Effekt ist?

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Das bundesweite Umfragehoch der Sozialdemokraten, ausgelöst durch die Entscheidung von Sigmar Gabriel, zugunsten von Martin Schulz auf eine Kanzlerkandidatur zu verzichten, verleiht offenbar auch dem niedersächsischen Ministerpräsidenten einen neuen Schwung. Rein rational bestünde für ihn gar kein Grund zur Freude, denn ein – nach momentanem Stand – möglicher SPD-Sieg bei der Bundestagswahl könnte ein paar Monate später bei der für Weil so wichtigen Landtagswahl einen Gegeneffekt auslösen und der CDU neue Zustimmung bescheren. So etwas droht vor allem dann, wenn ein neuer Kanzler Schulz sich auf Rot-Rot-Grün stützen würde und die ersten Wochen eines solchen neuen Bündnisses in Berlin holprig verlaufen sollten. Aber in dieser Rechnung ist recht viel Wenn und Aber enthalten, und die Psychologie funktioniert anders, sie hat viel mit gegenwärtigen Stimmungen und Gefühlen zu tun.

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Im Kontrast zu Weils sichtbarem Frühlingserwachen steht eine zuweilen erkennbare Anspannung beim Herausforderer Bernd Althusmann. Der neue CDU-Landeschef ist rege und aktiv, eilt von Gesprächstermin zu Gesprächstermin. Nach außen ist das kaum sichtbar, denn viele dieser Unterhaltungen mit Verbänden, Organisationen und Firmen sind intern. Einige seiner Mitstreiter meinen, Althusmann solle die Sache ruhiger angehen, sich „Zeit für Kreativität“ nehmen und lieber versuchen, seinen Bekanntheitsgrad zu steigern – mit einer lockeren Geste zum Beispiel, mit spielerischen Aktionen oder mit überraschenden Auftritten. Doch der immer schon etwas steife und verkrampft wirkende 50-Jährige, der peinlich darauf bedacht ist, bloß keinen Fehler zu begehen, traut sich das nicht zu. Er wirkt momentan eher wie einer, der den perfekten Überblick über jedes Detail der Politik haben will – als wie einer, der mit Weitblick und Großzügigkeit führen möchte.

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Gerade jetzt, da Althusmann Pannen vermeiden will, passieren welche. Wie neulich, bei der Präsentation des Sozialpapiers, als er bei der Schätzung der minderjährigen Ausländer, die ihre Altersangabe verschleiern, eine offenbar viel zu hohe Zahl nannte. Oder der Umstand, dass er zu dieser Pressekonferenz just für den Tag einlud, an dem CDU und FDP im Untersuchungsausschuss den Präsidenten des Landeskriminalamtes in die Zange nahmen. Auf manche Mitstreiter in der CDU wirkt das irritierend. Einer sagt, das Althusmann-Team in der CDU-Zentrale kreise „wie ein Satellit“ um die Landtagsarbeit, eine echte Verzahnung gebe es nicht. Dabei täuscht der Eindruck, denn längst agiert eine „Viererbande“, die sich eng abstimmt, neben Althusmann sind es CDU-Generalsekretär Ulf Thiele, CDU-Fraktionschef Björn Thümler und Jens Nacke, der Parlamentarische Geschäftsführer der Landtagsfraktion. Thümler ist als Schatten-Minister gesetzt, beim Innenpolitiker Nacke wird der Weg zu einem Ministeramt dadurch versperrt, dass er – wie Thümler – aus dem Oldenburger Land kommt. Zwei Oldenburger in einem Althusmann-Kompetenzteam aber sind unwahrscheinlich.

Die große Frage, die in der CDU diskutiert wird, lautet so: Ist es richtig, dass Althusmann in diesen Tagen stärker nach innen wirkt als mit öffentlichen Aktionen Aufmerksamkeit zu erheischen? Der Kandidat selbst meint, der Zeitpunkt für die Image-Kampagne sei noch zu früh – gerade jetzt, da die Bundespolitik vom Schulz-Effekt der SPD geprägt ist, könne man sich abstrampeln und doch wenig ausrichten. „Alles, was man täte, würde ungehört verhallen“, sagt ein Insider. Hier gibt es übrigens eine auffällige Nähe zu Ministerpräsident Weil, der es als Amtsinhaber zwar viel leichter hat als der Herausforderer, da er schon von einem Amtsbonus zehren kann. Aber auch Weil steht der politischen Stimmungslage eher distanziert gegenüber – und auch er meint wohl, dass man derzeit kaum mit einer landespolitischen Kampagne punkten könnte. Die nationale Lage enthält so viele offene Fragen, dass Weil davon ebenso eingeschüchtert zu sein scheint wie Althusmann: Was bringen die Landtagswahlen in Kiel, Saarbrücken und Düsseldorf? Wie entwickelt sich die AfD? Hält der SPD-Höhenflug an? Können Angela Merkel und die Union wieder Punkte machen? Da bleibt in der politischen Wahrnehmung gegenwärtig wenig Platz für hannöversches Lokalkolorit.

Allerdings ist diese Haltung auch gefährlich, denn auch für Weil läuft, realistisch betrachtet, gegenwärtig nicht alles rund. Ist es bei Althusmann eher der Angriff, über dessen Performance intern diskutiert wird, so kann Weils Problem die fehlende Geschlossenheit in der Verteidigung werden. Denn in der Landesregierung sind Absetzerscheinungen spürbar, die mit der gewohnten Reaktion des Ministerpräsidenten, alle hätten sich lieb und würden sich sehr schätzen, kaum noch zu übertünchen sind. Bei der Autobahnplanung und bei Umweltauflagen für Landwirte knirscht es zwischen SPD und Grünen, die Minister Stefan Wenzel (Umwelt) und Olaf Lies (Wirtschaft) gehen öffentlich auf Konfrontation. Jeder Ärger bei Volkswagen kann zudem zum Problem für den Ministerpräsidenten werden, der als Aufsichtsratsmitglied ganz oben in dem Weltkonzern steht – und zur Verschwiegenheit verpflichtet ist. Weil sagt scherzhaft, er würde sich am liebsten die Landtagswahlen schon am nächsten Wochenende wünschen. Das klingt glaubwürdig: Denn dann hätte er sie sehr schnell hinter sich. (kw)