Hans-Joachim Lenke | Foto: Diakonie Niedersachsen

Angesichts des drohenden Pflegenotstands richtet der Vorstandssprecher der Diakonie Niedersachsen, Hans-Joachim Lenke, einen mahnenden Appell an die künftige Landesregierung. Diese solle in Zukunft jene Einrichtungen, die gezielte Pflegefachkräfte im Ausland anwerben, in ihren Bemühungen unterstützen. Allein mit einheimischen Fachkräften sei die Lücke, die durch den Renteneinstieg zahlreicher Pflegekräfte in den kommenden Jahren entsteht, nicht zu schließen. Deshalb müssten die Anstrengungen beim Anwerben im Ausland intensiviert werden. „Wenn wir kein attraktives Land für Einwanderung in diese Berufe sind, werden wir das Problem nicht bewältigen – mit allen Folgen für die Gesellschaft“, sagt Lenke im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick.

„System ist schon jetzt auf Kante genäht“

Dabei liegen diese Folgen nicht mal mehr in einer nebulösen Zukunft verborgen. Schon jetzt kommt es immer häufiger dazu, dass ganze Stationen in Krankenhäusern geschlossen werden oder Patienten nach einer Operation das Krankenhaus nicht verlassen können, weil die ambulante Pflege nicht in ausreichendem Maße angeboten werden kann. Durch Personalausfälle im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie werde dieses Phänomen verstärkt, meint Lenke. Eigentlich seien die derzeitigen Zustände aber nur Ausdruck der ohnehin angespannten Lage in den Pflegeeinrichtungen: „Das System ist schon jetzt auf Kante genäht. Wir werden Probleme beim Leistungserbringen kriegen.“

Headhunter suchen Pflegekräfte in Südamerika

Weil die Not wächst, haben sich unterschiedliche Träger von Pflegeeinrichtungen bereits in den vergangenen Jahren auf den Weg gemacht, Fachkräfte im Ausland anzuwerben. Die Diakonie spricht sich dabei insbesondere für eine „ethisch verantwortbare Einwanderung“ aus. Gemeint ist damit, dass man die Pflegekräfte nicht etwa in Osteuropa anwirbt, auch wenn das räumlich und kulturell vielleicht näher an Deutschland liegt. Stattdessen gehen die Pflege-Headhunter in Ländern auf die Suche, in denen die Alterspyramide noch intakt ist, beispielsweise auf den Philippinen, in Jordanien oder Südamerika. Diese Prozesse sind aber langwierig, mühsam und teuer. Nach Auskunft der Diakonie Niedersachsen fielen gleich zu Beginn rund 5500 Euro Vermittlungsgebühr an. Hinzu kämen zahlreiche weitere Ausgaben für das Flugticket, Integrations- und Sprachkurse, bezahlte Freistellungen oder auch die Fahrprüfung für die Anerkennung der Fahrerlaubnis. Von der ersten Kontaktaufnahme bis zum Einsatz der vollexaminierten Fachkraft vergingen mitunter zweieinhalb Jahre – wenn alles gut geht.



Diakonie-Chef Lenke fordert nun von der neuen Landesregierung, sich zum einen an den entstehenden Kosten zu beteiligen. Zum anderen solle das Land dafür sorgen, dass die bürokratischen Hürden bei der Einbürgerung abgebaut würden. Die Abläufe sollten „geschmeidiger gestaltet“ werden, sagte er im Rundblick-Gespräch. Das betreffe beispielsweise die kommunalen Ausländerbehörden aber auch strikte Vorgaben beim Familiennachzug, der an bestimmte sprachliche Qualifikationen geknüpft wird. Im Ausland erworbene Qualifikationen sollten leichter anerkannt werden. Insgesamt brauche es einen Perspektivwechsel in der Verwaltung aber auch in der Gesellschaft, damit ein Klima geschaffen wird, dass die Menschen einlädt, die hier arbeiten sollen, sagt Lenke.

Darüber hinaus formulierte der Vorstandssprecher der Diakonie Niedersachsen weitere Erwartungen an die neue Landesregierung:

Klarheit bei Entlastungen: Die enorm gestiegenen Energiekosten sind für Lenke das unmittelbar drängende Thema dieser Tage. Doch der Diakonie-Sprecher vermisst die Klarheit bei den von der Bundesregierung angekündigten Entlastungen. „Ich habe bis heute nicht verstanden, wie genau der sogenannte ‚Doppelwumms‘ nun helfen soll“, sagte er und schilderte von großer Verunsicherung bei den Menschen, die sich an die Beratungsstellen der Diakonie wenden. Vom Land fordert er, rasch zielgerichtete Hilfen auf den Weg zu bringen, die Privatpersonen, Unternehmen aber auch sozialen Einrichtungen sicher durch die Heizperiode brächten.

Landeshilfe für pflegende Angehörige: Pflegebedürftigkeit ist zu einem der größten Armutsrisiken geworden, sagt Lenke. Von der Landesregierung erwartet er deshalb zum einen, sich auf Bundesebene für eine Pflegereform einzusetzen, die den Versichertenschutz deutlich ausweitet. Darüber hinaus regt er an, ein Landespflegegeld auf den Weg zu bringen – sowie ein Pflegewohngeld.