Sie ist die Kreisvorsitzende aus Hannover – und tritt für ihre Partei nun an bei der Oberbürgermeisterwahl in Hannover. Jessica Kaußen, Maschinenbau-Studentin aus Laatzen, möchte künftig das Rathaus in der Landeshauptstadt leiten. Sie setzt klare politische Schwerpunkte, für die Förderung von mehr genossenschaftlichem Eigentum und für eine viel größere Transparenz politischer Entscheidungen. Kaußen äußert sich im Interview mit dem Politikjournal Rundblick.

Jessica Kaußen beim Besuch der Rundblick-Redaktion.

Rundblick: Frau Kaußen, eine Linke als Oberbürgermeisterin in Hannover – meinen Sie nicht, dass das vielen Leuten Angst einjagt?

Kaußen: Ich will doch nicht die Weltrevolution anzetteln, sondern gute Arbeit für die Menschen leisten. Dazu gehören ein gutes Wohnungsangebot, ein funktionsfähiges Netz an Bussen und Bahnen und die Chance für möglichst viele Menschen, auf die Entscheidungen in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft Einfluss nehmen zu können.

Rundblick: Wo setzen Sie im Wohnungsbau neue Akzente?

Kaußen: Wichtig ist für mich, dass der Genossenschaftsgedanke nicht in Vergessenheit gerät. Diese alte Vorstellung, dass sich Menschen auch mit niedrigem Einkommen in einer Gemeinschaft zusammenschließen und dann Zugang zu erschwinglichen Angeboten bekommen, ist leider zu sehr in Vergessenheit geraten. Ich werbe dafür, sie wieder zu beleben. Denn in einer pfiffig organisierten Genossenschaft wird vieles – über die Selbstverwaltung – möglich sein, das derzeit so gefragt ist. Wenn etwa eine Oma in einer Dreizimmerwohnung lebt und gern in eine kleinere Wohnung umziehen möchte, während eine kleine Familie lange vergeblich darauf wartet, in eine etwa größere Wohnung wechseln zu können. In einer Genossenschaft wären solche Probleme recht einfach zu lösen.

Selbst wenn wir alle Wohnungsbesitzer enteignen würden, hätten wir mit diesem Schritt nicht mehr Wohnraum geschaffen.

Rundblick: Müssten Sie nicht erst die Genossenschaften wieder stärken? Wie könnte das geschehen?

Kaußen: Da gibt es viele verschiedene Wege. Zum Beispiel die Grundsteuer. Sollten die Kommunen mit dem künftigen gesetzlichen Regelwerk zur Grundsteuer die Chance erhalten, Ausnahmen zu regeln, so wäre es doch etwa denkbar, dass man Genossenschaften geringer besteuert. Daneben könnte die Stadt für den Eintritt in die Genossenschaften werben – und es wäre möglich, dass Menschen Einlagen zeichnen, die nicht unbedingt das Ziel haben, auch selbst Wohnrechte zu nutzen. Das Prinzip muss klar sein – jeder, der in einer Genossenschaft mitwirkt, hat eine Stimme, gleich, wie hoch seine Einlage ist. Aber es wäre ja denkbar, dass reiche Leute ihr Geld hier anlegen. Außerdem müsste man ausloten, inwieweit die Stadt neue Baugrundstücke vorzugsweise an Genossenschaften vergibt. Der Preis muss ja nicht das entscheidende Kriterium sein, wenn ein Kaufvertrag mit der Stadt abgeschlossen wird. Denkbar wäre ein Punktesystem, in dem auch das Angebot an günstigen Unterkünften hoch gewichtet wird. Das könnte dann die Genossenschaften begünstigen.

Rundblick: Wie soll das gehen?

Kaußen: Indem die Stadt grundsätzlich ihr Vorkaufsrecht nutzt und bei jedem Verkauf von Flächen, die später bebaut werden sollen, erst einmal als Käufer auftritt. Im nächsten Schritt könnten dann Genossenschaften als Käufer auftreten.

Ich würde viel stärker die Möglichkeit nutzen, die Leute nach ihrer Meinung zu bestimmten Vorhaben zu fragen.

Rundblick: Das klingt nicht so ganz nach Enteignung, wie es von anderen Politikern ihrer Partei mitunter zu hören ist…

Kaußen: Selbst wenn wir alle Wohnungsbesitzer enteignen würden, hätten wir mit diesem Schritt nicht mehr Wohnraum geschaffen. Vielleicht könnten wir so dafür sorgen, dass die Mieten nicht zu hoch sind, mehr aber nicht. Der Genossenschaftsgedanke scheint mir überzeugender zu sein.

Rundblick: Der allein reicht doch aber nicht für das Kernprofil ihres OB-Wahlkampfs, oder?


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Kaußen: Nein, da sind noch andere Aspekte. Mehr Wohnungen zu schaffen steht ganz oben. Ich bin auch für raschere Baugenehmigungen und für den Verzicht auf Vorgaben, die nicht mehr zeitgemäß sind. Wieso soll man, wenn man das Dachgeschoss ausbaut, einen Stellplatz nachweisen müssen – in einer Zeit, in der wir die Verkehrswende brauchen und den Umstieg auf mehr Öffentlichen Personen-Nahverkehr? Was Busse und S-Bahnen angeht, glaube ich, dass die Taktzeiten der veränderten Lebenswirklichkeit der Menschen angepasst werden müssen. Die starren Arbeitszeiten von 8 bis 17 Uhr gelten für viele Leute heute nicht mehr – sie wollen auch spätabends noch mit der Bahn nach Hause kommen wollen. Ich selbst habe eine Zeitlang bei Rewe an der Kasse gearbeitet, das Geschäft hatte erst um 22 Uhr abends geschlossen. Es war dann oft schwer, von dort noch eine Bahn zu bekommen.

Rundblick: Was wollen Sie anders machen, falls die Oberbürgermeisterin werden?

Kaußen: Mehr Transparenz steht ganz oben auf meiner Liste. Als Oberbürgermeisterin würde ich viel stärker die Möglichkeit nutzen, die Leute nach ihrer Meinung zu bestimmten Vorhaben zu fragen – und sie zu bitten, eigene Vorschläge zu unterbreiten. Wichtig dabei ist, dass dies keine Einbahnstraße sein darf. Politik darf nicht so abgehoben sein. Wer eine Idee zur Entwicklung eines Stadtteils äußert, zu einer neuen Verkehrsführung oder zu Lärmschutzvorhaben, der verdient auch eine Rückmeldung von der Stadt. Die Menschen mit ihren Ansichten, Bedenken und Bedürfnissen sollen ernst genommen werden – und sie sollen das auch spüren. Alles andere wäre nur geeignet, die Politikverdrossenheit zu verstärken.