„Die Landesbeteiligung an Volkswagen ist wichtig für die Zukunftsfähigkeit“
Der IG-Metall-Bezirksleiter Thorsten Gröger hat vor Weihnachten die schwierigen Tarifgespräche mit Volkswagen hinter sich gebracht. Wie schätzt er die Tragfähigkeit der Einigung ein? Droht bei der Salzgitter AG eine Übernahme, die nicht gut wäre für das Unternehmen? Was erwartet die Gewerkschaft von der nächsten Bundesregierung? Gröger äußert sich im Gespräch mit der Rundblick-Redaktion.

Rundblick: Herr Gröger, wie nachhaltig ist denn die Tarifeinigung, die Sie kurz vor Weihnachten mit dem VW-Vorstand erreicht haben?
Gröger: Der Abschluss war abschließend – und doch sind noch einige Handlungsaufträge vorhanden, die uns weiter beschäftigen. Das betrifft etwa das neue Entgeltsystem, das wir in den nächsten zwei Jahren entwickeln müssen. Die Prozesse und die Parameter dafür sind allerdings schon festgelegt. Dabei geht es um die Bewertung der einzelnen Tätigkeiten. Unterm Strich sind wir zufrieden. Begonnen hatte der Konflikt mit der Aussage der VW-Spitze, man könne sich ohne betriebsbedingte Kündigungen und Standortschließungen keine Lösung der Probleme vorstellen. Wir haben erreicht, dass alle Standorte erhalten bleiben – und dass bis 31. Dezember 2030 keine betriebsbedingten Kündigungen drohen.
Rundblick: Ist das eigentlich eine Null-Runde für die Mitarbeiter von VW?
Gröger: Nein, ist es nicht. Wir haben eine Entgelterhöhung um 5,5 Prozent vereinbart, die dann erst zum 1. Januar 2031 kommt. Sie ist also nur verschoben. Ab 2027 können übrigens neue Entgeltsteigerungen verhandelt werden. Ein Teil der Ergebnisbeteiligung wird nicht ausgezahlt. Natürlich wird es auch ohne die betriebsbedingten Kündigungen einen Personalabbau geben, deshalb löst der Abschluss bei uns auch keine Jubelstürme aus. Dieser geschieht aber ohne betriebsbedingte Kündigungen. Wichtig ist vor allem, dass VW sich gut für die Zukunft aufstellt. Das heißt: Ein bezahlbares E-Auto im unteren Preissegment muss angeboten werden. Auch modernere Produktionsverfahren sind nötig, Stichwort Aluminiumgroßgießerei. Hier steht die Unternehmensführung in der Verantwortung.
Rundblick: Wie schauen Sie auf diesen Tarifkonflikt zurück?
Gröger: Das war sicher sehr anstrengend. Aber von Anfang an haben wir eine große Solidarität der Beschäftigten an den verschiedenen Standorten gespürt. Ich bin auch froh darüber, dass die Landesregierung von Anfang an den Prozess konstruktiv begleitet hat.
Rundblick: Manche Stimmen gab es, die meinten: Es liege am VW-Gesetz, an der Landesbeteiligung und am hohen Stellenwert der Mitbestimmung, dass VW zu nötigen echten Reformen nicht in der Lage sei…
Gröger: Das Gegenteil ist der Fall. Volkswagen war in der Vergangenheit nicht trotz, sondern wegen seiner starken Mitbestimmung und der starken IG Metall so erfolgreich. Und im Dezember konnten wir verhindern, dass ganze Standorte von der Karte radiert werden – was einmal weg ist, ist dauerhaft weg. In unserem Tarifkampf wussten wir auch die Landesregierung an der Seite der Beschäftigten.
Rundblick: Apropos Landesbeteiligung: Der hannoversche Bauunternehmer Günter Papenburg und ein Recycling-Konzern haben ein Angebot für die Übernahme der Salzgitter AG abgegeben. Sehen Sie bei Salzgitter die Landesbeteiligung in Gefahr?
Gröger: Bei der Salzgitter AG muss die Eigenständigkeit gewahrt bleiben, außerdem darf die Mitbestimmung nicht angegriffen werden. Mit Salzgitter in Verbindung steht das Zukunftsprojekt Salcos, die Produktion von „grünem Stahl“. Dafür sind riesige Investitionen erforderlich. Wir wollen diesen Weg konsequent fortsetzen. Ich sehe im Übrigen auch nicht, dass die wichtigen politischen Kräfte in Niedersachsen bereit wären, die Landesbeteiligung zu opfern.
Rundblick: In gut drei Wochen ist Bundestagswahl. Was sind Ihre wichtigsten Wünsche an die nächste Bundesregierung?

Gröger: Die Transformation der Industrie zu mehr Klimafreundlichkeit muss begleitet werden, wir brauchen auch mehr Digitalisierung. Dafür sind optimale Rahmenbedingungen erforderlich. Ich nenne mal drei Punkte: Es geht um den Ausbau der Erneuerbaren Energien, dafür brauchen wir leistungsfähige Netze. Dann sind für die Verkehrsinfrastruktur erhebliche Summen an öffentlicher Investition nötig – etwa für Autobahnbrücken oder für die Eisenbahn. Schließlich geht es um einen Strompreis, der verlässlich sein muss und Investitionen der Industrie nicht mehr im Wege steht. Eine Deckelung des Industrie-Strompreises auf 5 Cent wäre sinnvoll, um die Sicherheit der Kalkulation für Investoren zu gewährleisten. Wenn wir fünf bis zehn Jahre diese Verlässlichkeit hätten, so lange, bis Erneuerbare Energien eine noch größere Rolle spielen, dann wäre das gut.
Rundblick: Soll es bestimmte Kaufanreize geben?
Gröger: Ja, wir brauchen auch dringend ein Konjunkturprogramm für die E-Mobilität. Ein Teil davon kann ein Steuer-Abschreibungsprogramm für private Käufer sein. Eine stumpfe Kaufprämie wird wohl eher nicht die Lösung sein. Für kleine Einkommen kann es ein vergünstigtes Leasing-Programm für Kleinwagen mit E-Antrieb sein. Natürlich muss auch die Lade-Infrastruktur in der Fläche verbessert werden – und an den Ladesäulen darf der Strompreis nicht zu hoch sein.
Rundblick: Das ist ein sehr klares Bekenntnis zur E-Mobilität. Wie stehen Sie zu Plug-in-Hybriden, Wasserstoffautos und klimafreundlichen E-Fuels?
„Deutschland muss bei allen Technologien vorne dabei sein – das muss unser Anspruch sein.“
Gröger: Deutschland muss bei allen Technologien vorne dabei sein – das muss unser Anspruch sein. Wichtig ist, dass Verlässlichkeit für Verbraucher sowie Unternehmen und die Zulieferkette besteht. Für die Elektromobilität sind hohe, aber notwendige Investitionsbedarfe erforderlich. Es ist unrealistisch, gleichzeitig in mehrere technologische Pfade für einzelne Anwendungsfälle zu investieren. Vor diesem Hintergrund ist klar: Für den überwiegenden Individualverkehr werden E-Fuels keine Rolle spielen. Der Wirkungsgrad ist hier schlicht ineffizient. Einsatzszenarien in anderen Sektoren wie der Luftfahrt oder im Schienenverkehr sind realistischer.

Rundblick: Klingt alles sehr schön, wer soll es bezahlen?
Gröger: Was die Investitionen in die Infrastruktur angeht, belaufen sich die Schätzungen auf 600 Milliarden Euro in zehn Jahren. Das geht nicht mit der Schuldenbremse in der Form, wie wir sie heute haben. Was die Investitionen der Wirtschaft anbelangt: Das Vorteilhafte am deutschen Industriemodell ist die Tatsache, dass es relativ geschlossene Wertschöpfungsketten gibt. Wenn wir vermeiden wollen, dass Teile davon herausbrechen, muss etwa über den Strompreis die Industrie unterstützt werden. Denn die intakte Industrie ist die Quelle unseres Wohlstandes.
Rundblick: Wie wird die IG Metall ihre Position verdeutlichen?
Gröger: Wir planen für den 15. März einen bundesweiten Aktionstag, einer der Schwerpunkte ist in Hannover – just zu der Zeit, in der vermutlich über die Bildung der nächsten Bundesregierung nach der Bundestagswahl verhandelt wird. Was wir auf keinen Fall hinnehmen, wäre der Versuch, die Zukunftsinvestitionen gegen die Ausgaben für die soziale Sicherheit auszuspielen. Das wäre eine vorsätzliche Gefährdung des gesellschaftlichen Zusammenhalts.
Dieser Artikel erschien am 30.01.2025 in der Ausgabe #019.
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