Heute, am 1. November, wird Niedersachsen 70. Das Rentenalter ist lange erreicht. Was steht uns in 30 Jahren bevor, im Herbst 2046? Dann gehört das Land zu den Hundertjährigen. Der Rundblick wagt, in einer Fiktion, den Blick voraus. Hier der vierte und letzte Teil.

Die Landtagswahl im Herbst 2027 bringt noch einmal eine klare Mehrheit für ein Bündnis der beiden Parteien, die man damals, 2018, noch als „Große Koalition“ bezeichnete. Maximilian Schmidt (SPD) aus Celle wird Ministerpräsident, sein Stellvertreter und Innenminister wird Sebastian Lechner (CDU) aus Neustadt, das Finanzministerium übernimmt Ansgar Focke (CDU) aus dem Oldenburger Land. Gern hätten sich die Grünen unter Gerald Heere (Braunschweig) und Julia Hamburg (Hannover)  noch beteiligt oder die FDP unter dem Wolfenbütteler Björn Försterling, doch es reichte für SPD und CDU allein – gerade noch so. Dabei wachsen links und rechts die Populisten an. Die AfD will die Grenzen noch stärker abdichten und ist gegen die Aufnahme von ausländischen Fachleuten. Lieber, sagt sie, sollten die Deutschen qualifiziert werden. Die Linke warnt ebenso vor der Globalisierung von fordert eine Reichensteuer – außerdem will sie eine „Internationale aller Benachteiligten auf der Welt“ gründen. In Bezug auf die die Absicherung der Grenzen ist sie mit der AfD einig. Das färbt auf die politische Stimmungslage insgesamt ab.

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Überhaupt: Globalisierung wird immer mehr zum Schimpfwort, und so trägt Maximilian Schmidts Regierungserklärung den Titel „Wir besinnen uns auf unsere Stärken“. Die Koalition warnt vor dem „Protektionismus von rechts und links“ und fordert wieder eine vorsichtige Öffnung für den weltweiten Handel – natürlich nur „begleitet von einem stärkeren Schutz im Innern“. Seit die AfD 2018 in den Landtag kam, ist das Thema Überfremdung und Abschottung immer wichtiger geworden in Niedersachsen. Die Polizei wurde aufgestockt, die Sicherheitsgesetze wurden – in krasser Umkehr der rot-grünen Politik zwischen 2013 und 2018 – wieder verschärft. Soziologen sagen, dass die zunehmende Digitalisierung nicht nur zu einer Vereinzelung der Menschen geführt hat, die nur noch mit ihrem Computer kommunizieren, sondern auch zu einer Verrohung der Umgangsformen. In den gängigen Kommentaren der sozialen Netzwerke konnte man das schon 2016 ablesen, und eine Studie von 2030 zeigt, wie viel stärker sich die Leute auf der Straße anrempeln, achtlos an Hilfsbedürftigen vorbeigehen und egoistisch agieren. Die ehrenamtliche Mitarbeit in Vereinen und Verbänden hat stark nachgelassen, immer mehr Menschen sterben einsam in ihren Wohnungen – ohne dass die Nachbarn etwas davon mitbekommen.

2046 Ministerpräsident? Der SPD-Abgeordnete Maximilian Schmidt - Foto: M. Schmidt

2046 Ministerpräsident? Der SPD-Abgeordnete Maximilian Schmidt – Foto: M. Schmidt

2031 überstürzen sich die Ereignisse. Die Koalition in Hannover wollte eigentlich eine Kreisreform verabschieden, ein lange überfälliger Plan, doch Bedenkenträger setzen sich durch: Das dürfe man nicht, damit gefährde man doch die Wiederwahl bei der Landtagswahl 2032. Doch diesmal kommt Druck von unten: Der Strukturwandel in der Fahrzeugindustrie und Landwirtschaft verunsichert viele Leute, besonders gilt das für die Digitalisierung, die viele Behördenstandorte überflüssig macht. Wo werden die Behörden künftig angesiedelt sein? In vielen Landkreisen hat man Angst davor, dass die Regierung Schmidt zu viele Dienststellen in Hannover konzentrieren wird. Es entsteht eine „Anti-Hannover-Bewegung“, die dazu führt, dass sich überall im Land Landkreise zusammenschließen – in Braunschweig und Oldenburg, Ostfriesland und Göttingen, Cuxhaven und Stade. Das Bremen-Gesetz (die Aufnahme des bis 2025 selbstständigen Landes Bremens in das Land Niedersachsen) verschärft die Debatte noch. Die Oldenburger einigen sich mit den Bremern und bilden zwei Regionen im Norden – eine rund um Bremen, eine andere rund um Oldenburg. Die Regierung Schmidt kann nicht anders und muss sich mit den Reforminitiativen überall im Land zusammensetzen. Da Schmidt das Heft des Handelns in der Hand behalten will, kommt es bald darauf tatsächlich zu einer großen Verwaltungsreform: Anstelle von 45 Einheiten (37 Kreisen und acht kreisfreien Städten) entstehen zehn Großkreise, die vom Land viele Kompetenzen übernehmen – darunter auch die Zuständigkeit für die geschrumpfte Schulverwaltung. Spötter von Grünen und FDP sagen, das Land sei jetzt ja nur noch ein „Dachverband“ für die starken Regionen. Immerhin: Die Regionen konnten die Zentralisierung von Zuständigkeiten in Hannover verhindern, überall im Lande sind jetzt landesweite Einrichtungen angesiedelt. Aber wird damit das drohende Stadt-Land-Gefälle verhindert? AfD und Linke nutzen den nächsten Wahlkampf, um vehement gegen die „bürgerferne Reform“ zu wettern. Am Ende ohne Erfolg. Bei der Landtagswahl 2032 reicht es für SPD und CDU zwar nicht mehr für eine gemeinsame Regierung – aber Grüne und FDP kommen als Juniorpartner hinzu. AfD und Linke, obwohl gestärkt, bleiben in der Opposition. Es ist noch einmal gut gegangen.

Aber die bange Frage herrscht im Landtag rund um das Jahr 2035: Werden SPD, CDU, Grüne und FDP noch stark genug sein, ohne Mitwirkung von AfD oder Linken regieren zu können?  (kw)