Rebecca Harms, Grünen-Abgeordnete im Europaparlament, setzt sich mit den scharfen Tönen mancher Parteifreunde im aufkeimenden Wahlkampf auseinander. Ohne einen Konsens in wichtigen Fragen, etwa zum Asylrecht, komme die deutsche und europäische Politik nicht mehr weiter, meint im Interview bei einem Besuch der Rundblick-Redaktion.

Die Grünen-Europaabgeordnete Rebecca Harms (Mitte) beim Rundblick mit Klaus Wallbaum und Isabel Christian. Foto: Gartz

Rundblick: Frau Harms, Sie werden dem Realo-Flügel der Grünen zugeordnet. Stört es Sie nicht manchmal, wie einige „Linke“ in Ihrer Partei Wahlkampf treiben?

Harms: Unsere Partei muss Oppositions- und Regierungsverantwortung unter einen Hut bringen. In vielen Ländern regieren wir mit, die Landespolitiker sind auf Kompromisse ausgerichtet und versuchen, mit pragmatischen Lösungen die besten Ergebnisse zu erreichen. Im Bundestag sind wir in der Opposition, wo es einfacher ist auf Prinzipien zu beharren. Auch ich stehe für Prinzipientreue ein. Aber Offenheit für Lösungen brauchen wir auch.

Rundblick: Warum?#ltw

Harms: Einige politische Herausforderungen sind so, dass nur im Konsens gute Lösungen erreicht werden können. Das gilt in Deutschland bestimmt für eine dauerhafte Zustimmung zu einer großzügigen Aufnahme von Flüchtlingen. Angesichts von 60 Millionen Menschen auf der Flucht ist klar, dass nur ein kleinerer Teil in die EU kommen wird. Deshalb ist es so wichtig, dass Deutschland oder noch besser die Europäische Union sich stärker bemüht, dass die Bedingungen etwa in Nordafrika oder südlich der Sahara besser werden, damit sich die Menschen nicht auf den gefährlichen und oft aussichtslosen Weg nach Norden machen. Wir brauchen Abkommen mit den Ländern, die direkt an die Krisengebiete angrenzen und bereits die meisten Flüchtlinge beherbergen. Aber sie müssen so sein, dass sie Schutz, Rechte und bessere Perspektiven für die Menschen schaffen, die ihre Heimat verlassen mussten.

Rundblick: Meinen Sie Sammellager an den EU-Außengrenzen – oder vor den EU-Außengrenzen? Und was ist mit Abschiebungen nach Nordafrika?

Harms: Wir müssen in der EU gemeinsam auf die Entwicklung der globalen Flucht Einfluss nehmen. Wichtige Aufgaben bleiben die Bekämpfung der Ursachen und besserer Schutz und Perspektiven in den Zentren der Flucht außerhalb der EU.  Und dazu gehören die Sicherung der EU-Außengrenzen und gleichzeitig eine großzügige EU-Quoten für die Umsiedlung zum Beispiel für Kriegsflüchtlinge aus Syrien.  Dringend ist auch neben einem starken Asylrecht ein Einwanderungsgesetz. Und zu besseren Regeln und Gesetzen gehört auch, dass diejenigen wieder gehen müssen, deren Asylantrag scheitert.

Rundblick: Aber viele Grünen-Politiker, die darüber debattieren, bringen diese Differenzierung gegenwärtig nicht auf…

Harms: Wir müssen neue Verunsicherung und Ängste ernst nehmen. Das heißt nicht, den Rechten und Nationalisten hinterherzulaufen. Es hilft aber auch nicht nur, zu unterstellen, der eigentliche Grund für die Vorbehalte von Bürgern gegen Einwanderung liege in der sozialen Ungerechtigkeit, und wir müssten nur für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen. Auch wir Grünen müssen uns fragen, wie wir dazu beitragen können, dass die Ängste der Menschen geringer werden. Dazu gehört für mich, für Ausgleich und Verständigung einzutreten.

Rundblick: Können die Grünen das überhaupt? Auf Verständigung setzen?

Harms: Wir Grünen waren und bleiben eine Partei, die auf Veränderung der Gesellschaft setzt. In einer Zeit mit mehr Verunsicherung ist das schwieriger und Verständigung noch wichtiger.

Rundblick: Müssen die Grünen sich also verändern?

Harms: Wir müssen das tun, was wir im jahrzehntelangen Streit um die Energiepolitik gelernt haben. Die Menschen ernst nehmen und sie dafür gewinnen, sich auf vernünftige Veränderungen einzulassen. Die Flüchtlingspolitik ist nur ein Beispiel, ein anderes ist der ökologische Wandel: Es ist richtig, aber reicht nicht, sich nur vehement für die Umstellung auf Elektroautos einzusetzen. Wir müssen den Arbeitern im VW-Werk, die an den Verbrennungsmotoren arbeiten, auch eine Antwort darauf geben, wie es weitergeht, wenn diese Motoren eines Tages nicht mehr gebraucht werden. Die Zukunft der Arbeit muss ein wichtiger Teil unserer Szenarien zum Klimaschutz sein.

Rundblick: Gehört dazu auch eine neue Offenheit in der Wahl der möglichen Koalitionspartner?

Harms: Was Niedersachsen angeht ist mein Eindruck, dass SPD und Grüne gut zusammen arbeiten. Was die nächste Bundesregierung angeht: Wir dürfen keinen Hehl daraus machen, dass die erfolgreichste grüne Programmatik die ist, die in einem Regierungsprogramm umgesetzt wird. Gerade wenn wir wollen, dass Deutschland wieder ehrgeizig die ökologisch-soziale Erneuerung betreibt. Trotz aller Präferenzen für rot-grüne Bündnisse ist auch klar, dass Angela Merkel die CDU in die Mitte geführt hat, dass wir in den Ländern auch grün-schwarze Erfahrungen machen und andere Optionen so vorstellbar geworden sind.

Rundblick: Und Rot-Rot-Grün? Sie haben sich doch im EU-Parlament intensiv mit der Außen- und Verteidigungspolitik beschäftigt – und mit den Kontakten zur Ukraine.

Harms: Früher war die Präsenz von Nato-Truppen in Osteuropa fast nur symbolisch, heute ist sie groß und hilft, die Sicherheit zu gewährleisten. Das ist leider wieder notwendig geworden.  Aber es ist die Realität – auch wenn manche Politiker in Deutschland das nicht einsehen wollen. Wir und die Nato haben uns diese Situation nicht ausgesucht, es war nicht unsere Entscheidung. Vielmehr ist das die Reaktion auf die neue aggressive und antieuropäische Außenpolitik des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Zwischen der Linkspartei und den Grünen liegen in der Außen- und Verteidigungspolitik Welten, übrigens auch zwischen SPD und Linkspartei. Wegen der Sicherheitspolitik aber schon wegen des tiefen EU-Skeptizismus der Linken kann ich mir Rot-Rot-Grün nicht wirklich vorstellen.