Darum geht es: Der neue Landtag hat gestern zum ersten Mal getagt und ebenfalls zum ersten Mal eine Frau zur Landtagspräsidentin gewählt. Dennoch ist der Frauenanteil im Parlament deutlich gesunken. Das ist eine schlechte Entwicklung, die korrigiert werden muss, meint Martin Brüning.

Auch in schwarz-weiß sind auf dem Bild nicht mehr Frauen zu sehen – Foto: MB.

Es war gut, dass die neue Landtagspräsidentin Gabriele Andretta gestern noch einmal auf ein irritierendes Ungleichgewicht im Parlament hingewiesen hat. Während in Niedersachsen mehr als die Hälfte der Bevölkerung weiblich ist, liegt er im Landtag deutlich darunter und ist in dieser Legislaturperiode sogar gesunken. Nicht einmal mehr ein Drittel der Abgeordneten sind Frauen. Auch im Bundestag ist der Frauenanteil wieder so niedrig wie vor zuletzt vor 19 Jahren. Das ist keine gute Entwicklung für die Parlamente. Nicht nur, weil damit das Geschlechterverhältnis in der Bevölkerung nur schlecht repräsentiert ist, wobei die Frauen auch noch häufiger an Wahlurne gehen als die Männer. Die Anzahl und Anwesenheit der Frauen hat auch Einfluss auf die Diskussionskultur -– und meistens keinen schlechten.

Die aktuelle Entwicklung dürfte auch Gegner einer Frauenquote zum Nachdenken bringen.

Niedersachsen ist mit dem überaus niedrigen Frauenanteil bei weitem kein Einzelfall. Den geringsten Frauenanteil gibt es mit 24,5 Prozent im baden-württembergischen Landtag, den höchsten mit 40,6 Prozent in Thüringen. Im Durchschnitt sind etwa ein Drittel der Abgeordneten in Länderparlamenten Frauen. Hier in Hannover ist es nur ein schwacher Trost, dass in Niedersachsen zum ersten Mal eine Frau zur Landtagspräsidentin gewählt worden ist und dass drei der fünf Fraktionsvorsitzenden Frauen sind. Frauen und Politik – das läuft irgendwie nicht rund. Es reicht nicht, wenn man nur auf die wenigen Frauen in den Führungspositionen schaut. Die aktuelle Entwicklung dürfte auch Gegner einer Frauenquote zum Nachdenken bringen.

Die reflexhafte Forderung nach einer Quote ist zumeist die erste Antwort, die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf die zweite. Über die erste muss man inzwischen wohl in allen Parteien nachdenken, die zweite sollte sowohl in der Politik als auch der übrigen Berufswelt heute eine Selbstverständlichkeit sein. In der Politik geht das Problem allerdings tiefer. Nach wie vor sind viele Parteien in den Gliederungen männerdominiert, einige Parteien sind davon besonders betroffen. Auf dem Landeskongress der niedersächsischen Jungen Liberalen vor etwa zwei Wochen konnte man sich die im Saal anwesenden Frauen an zehn Fingern abzählen.

Je später der Abend, desto zotiger die Herrenwitze

Es sind in der Politik inzwischen keine verrauchten Hinterzimmer mehr, aber es sind immer noch Hinterzimmer. In den Ortsverbänden führen häufig Männer das große Wort. Die Tonalität schreckt oftmals nicht nur Frauen, sondern auch jüngere Politikinteressierte ab. Je später der Abend, desto zotiger die Herrenwitze. Dasselbe Problem kennt man auch in Wirtschaft und Medien. Im Parlament, dem Herzstück der Demokratie, wird es erst recht augenfällig. Das Ziel, mehr Frauen für die politische Karriere zu begeistern, gibt es in allen Parteien seit vielen Jahren. In der Realität wurden bei den meisten Parteien dafür nötige Veränderungen aber nicht einmal halbherzig angegangen.

Die Parteien brauchen eine Generalrevision ihrer Organisation. Ihre Strukturen, ihre Ansprechhaltung sind altbacken und für viele Zielgruppen unattraktiv – auch für Frauen. Die Parteien werden Netzwerke im eigenen Umfeld stärken müssen. Möglicherweise sind die Vorfeldorganisation wie die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen oder die Frauen Union der CDU der Schlüssel für eine geschlechtergerechtere Entwicklung. Sie könnten gestärkt werden und mehr Einfluss in den Parteien bekommen. Wer in der nächsten, der 19. Wahlperiode einen akzeptablen Frauenanteil im Landtag sehen möchte, muss in der Arbeit der Parteien heute dafür den Grundstein legen.

 

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