„Die Regionen wissen am besten, wie die EU-Fördergelder eingesetzt werden sollten“
Mit Milliardensummen fördert die Europäische Union seit 30 Jahren eine gleichmäßige Entwicklung in allen Mitgliedstaaten. Nun steht die sogenannte Kohäsionspolitik auf dem Prüfstand. Auf Initiative von Niedersachsen, Sachsen und dem Deutschen Landkreistag (DLT) drängen deutsche Delegierte des Europäischen Ausschusses der Regionen (AdR) darauf, ländliche Räume in der zukünftigen Kohäsions- und der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) gezielt zu stärken. Sie warnen vor einer Vernachlässigung dieser Gebiete durch die Europäische Kommission und das Parlament. Niedersachsens Europa-Staatssekretär Matthias Wunderling-Weilbier erläutert die Initiative im Gespräch mit Niklas Kleinwächter.
Rundblick: Herr Staatssekretär, wozu braucht es überhaupt die Kohäsionspolitik?
Wunderling-Weilbier: Die Kohäsionspolitik ist das richtige Instrument, um eine gleichmäßige und nachhaltige Entwicklung der Regionen in der gesamten EU sicherzustellen. Dafür setzen wir uns auf verschiedenen Wegen ein: Ministerin Wiebke Osigus tut dies ganz gezielt über die Europaministerkonferenz (EMK) der Länder und die Landesvertretung in Brüssel, ich über den AdR. Das Ziel der Kohäsionsmittel ist es seit 1994, wirtschaftlich schwächere Regionen zu stärken sowie den sozialen wie territorialen Zusammenhalt der gesamten Union zu gewährleisten. Deshalb müssen auch stärker entwickelte Regionen einbezogen werden. Das war und ist umstritten. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung belegt, dass alle Regionen der EU von der Mittelverteilung profitiert haben, der gesamte Binnenmarkt hat sich weiterentwickelt. Wenn in wirtschaftlich schwächeren Regionen neue Strukturen aufgebaut werden müssen, gelingt das häufig über das Knowhow aus den bereits erfolgreichen Regionen. Es geht um die Wirtschaftskraft Europas. Wir müssen mit den USA oder China mithalten.
„In den EU-Verträgen ist explizit festgehalten, dass neben den ländlichen Gebieten auch jene Gebiete, die vom industriellen Wandel betroffen sind, gefördert werden sollen.“
Rundblick: In der Kritik steht nun aber die Verteilung der Mittel. Eine Studie der Hertie-Stiftung kommt zu dem Schluss, dass aktuell vor allem die ohnehin schon wohlhabenden Regionen und Bevölkerungsgruppen von der Kohäsionspolitik profitieren – grob gesagt geht mehr Geld in den Westen, obwohl es im Osten eher gebraucht wird. Oder ist Niedersachsen wirtschaftlich so schwach, dass es genauso unterstützt werden muss wie osteuropäische Staaten?
Wunderling-Weilbier: Da müssen wir differenzieren – mal am Beispiel von Niedersachsen: Es ist insgesamt gesehen wirtschaftlich nicht schwach. Wir unterscheiden bei der Verteilung der Fördermittel aber in zwei Regionen. Es gibt die sogenannte „Übergangsregion“ von Celle über Lüneburg bis Cuxhaven, in der die Antragsteller einen höheren Fördersatz erhalten können als im Rest des Landes. Den Vorschlag der Autoren dieser Studie, die Kohäsionsmittel künftig nur noch in die schwächeren Länder zu geben, halte ich für einen Fehler. Die wirtschaftliche Entwicklung muss überall in der EU vorangetrieben werden, auch bei uns in Niedersachsen. Alle Regionen stehen vor großen Herausforderungen. Deshalb brauchen wir gerade auch die starken Player als wichtige Impulsgeber. In den EU-Verträgen ist explizit festgehalten, dass neben den ländlichen Gebieten auch jene Gebiete, die vom industriellen Wandel betroffen sind, gefördert werden sollen. Und diese Regionen gibt es auch in Niedersachsen. Es gilt also, die aktuellen Transformationsprozesse zu berücksichtigen, beispielsweise den Ausbau der Wasserstoffwirtschaft oder der Erneuerbaren Energien oder den Betrieb des einzigen deutschen Tiefwasserhafens in Wilhelmshaven. Davon sind vielfach die Regionen betroffen. Grundsätzlich geht es in solchen Veränderungsprozessen nicht nur um wirtschaftliche Belange, sondern in allererster Linie um die Menschen, die dort leben. Die müssen wir im Blick behalten.
„Wir können hier in Niedersachsen viel besser im Blick behalten, welche Förderrichtlinie funktioniert und wo nachgesteuert werden muss.“
Rundblick: Sie haben kürzlich vor einer Zentralisierung der Mittelverteilung gewarnt. Warum wäre es nicht klug, wenn die Fördergelder in Berlin verteilt werden?
Wunderling-Weilbier: Derzeit treibt Wiebke Osigus und mich die große Sorge um, wie es mit der Kohäsionspolitik ab 2028 weitergeht. Es ist jetzt an der neuen EU-Kommission, einen Vorschlag für den kommenden mehrjährigen Finanzrahmen zu unterbreiten. Die Kohäsionsmittel machen derzeit rund ein Drittel des EU-Budgets aus. Die Signale, die wir dabei nun empfangen, beispielsweise hinsichtlich einer zentralisierten Mittelverteilung, passen uns nicht. Ich bin fest davon überzeugt: Die Zukunft Europas wird von der Zukunft der Regionen abhängen. Deshalb ist es auch entscheidend, dass wir vor Ort darüber entscheiden. Das kann nicht zentralistisch organisiert werden. Die Regionen wissen nämlich am besten, wie die Gelder klug eingesetzt werden können. Wir können hier in Niedersachsen viel besser im Blick behalten, welche Förderrichtlinie funktioniert und wo nachgesteuert werden muss, wenn ein Förderangebot mit der Nachfrage vor Ort nicht übereinstimmt.
Rundblick: Welche Fehlentwicklungen gilt es aus Ihrer Sicht sonst noch zu verhindern?
Wunderling-Weilbier: Entscheidend ist natürlich die Höhe der Mittel, die künftig für die Regionalförderung zur Verfügung stehen. Wenn man im ELER, also im Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums, die Mittel zukünftig verstärkt dafür nutzen möchte, eine nachhaltige und resiliente Landwirtschaft zu fördern, dann ist das zwar ein lobenswertes Ziel. Aber die Dorfentwicklung und andere strukturwirksame Fördermaßnahmen zur Stärkung unserer ländlichen Räume dürfen darunter nicht leiden. Soll die Agrarförderung ausgeweitet werden, muss also der Topf insgesamt größer werden. Sie reichen von einer stärkeren Eigenständigkeit und mehr Gewicht strukturpolitischer Elemente im ELER bis zum Integrieren einer Förderachse für die Entwicklung ländlicher Räume in den Strukturfonds. Darüber tauscht sich unser Haus mit dem Niedersächsischen Umwelt- und Landwirtschaftsministerium aus.
Rundblick: Der Europäische Rechnungshof rügt, dass es bei der Verteilung der Fördergelder eine hohe Fehlerquote gebe. Die Prüfbehörden vor Ort und bei der EU versagten zu häufig, heißt es im jüngsten Bericht. Muss man da genauer hinschauen, ob das Geld auch wirklich an die Richtigen geht?
Wunderling-Weilbier: Für Niedersachsen kann ich mit Fug und Recht behaupten, dass die Kontrolle gut funktioniert. Wir überprüfen genau, wie mit den Geldern umgegangen wird. Das Europaministerium fungiert in dem Gefüge als Verwaltungsbehörde und hat ein Verwaltungs- sowie Kontrollsystem eigens für den Einsatz von EU-Mitteln aufgesetzt. Wir übernehmen auch das Monitoring des Mittelabflusses. Andere Ressorts sind bei der Verteilung der Gelder und der Ausgestaltung der Förderrichtlinien beteiligt. Die niedersächsische Förder- und Investitionsbank, die N-Bank, erstellt schließlich den Bescheid. Das System funktioniert hier sehr gut.
Rundblick: Dieses System klingt aber auch kompliziert. Geht das nicht auch mit weniger Behörden und weniger Bürokratie?
Wunderling-Weilbier: Die Bürokratie im Haus der EU ist manchmal gigantisch. Das kann so nicht bleiben, es muss einfacher werden – auch das Fördern in Niedersachsen. Dafür macht sich vor allem auch Ministerin Osigus immer wieder stark. Das Europa- und Regionalministerium ist dazu im Gespräch mit den Antragstellern und anderen Stakeholdern, um zu schauen, wo genau sich etwas verändern muss. Diese Veränderungen sollen dann ab 2028 im neuen Förderrahmen erkennbar werden.
Dieser Artikel erschien am 19.09.2024 in der Ausgabe #163.
Karrieren, Krisen & Kontroversen
Meilensteine der niedersächsischen Landespolitik
Jetzt vorbestellen