Die seltsamen Personalentwicklungen im Haus von Europaministerin Wiebke Osigus
Sie war die Überraschung des Herbstes 2022: Als vor knapp zwei Jahren die Juristin und Landtagsabgeordnete Wiebke Osigus das Europaministerium übernahm, als Nachfolgerin der langgedienten Birgit Honé, waren die Erwartungen groß. Welche neuen Impulse würde die damals 41-jährige Sozialdemokratin setzen? Heute, zwei Jahre später, ist klar: Osigus sucht ihre Rolle noch, inhaltliche Botschaften werden mit ihr bisher nicht verbunden. Das Ministerium, das Europavertretung, Landesvertretung in Berlin und Regionalentwicklung vereint, hat einen äußerst fleißigen und sachkundigen Staatssekretär, Matthias Wunderling-Weilbier (61). Vor allem auf ihm lastet die Europapolitik. Aber die schon bei Bildung des Ministeriums 2017 oft gestellte Frage bleibt nach wie vor aktuell: Wozu braucht man eigentlich ein solches Ressort? Welche Neuerungen gehen davon aus?
Als wäre diese Unsicherheit nicht schon schlimm genug, mischen sich jetzt damit noch sonderbare Nachrichten zur Personalpolitik des Hauses. Es gab mindestens eine merkwürdige Stellenbesetzung und die abrupte Korrektur derselben. Im Haus wird über „Seilschaften“ gesprochen und über angebliche Pläne, bestimmte qualifizierte Bewerber trickreich vom Zugang zu höheren Positionen auszuschließen. Nicht alles fällt in die Verantwortung von Osigus, manche Entwicklungen begannen schon früher. Aber der Führungsebene des Ministeriums will es seit Monaten nicht gelingen, die Entwicklungen zu befrieden. Vielmehr eskaliert der Streit.
- Ausgangspunkt: die Z-Gruppe. Ende 2023 wurde im Ministerium die Referatsleitung für Kabinetts-, Landtagsangelegenheit und Strategie neu ausgeschrieben. Die frühere Studiendirektorin H., die bis kurz vorher im Kultusministerium tätig war, bewarb sich dafür. H. gehört der SPD an. Auch die Mitarbeiterin I., die den Grünen nahe steht, wollte die Stelle haben. I. wurde aber von der Hausspitze nicht für das Auswahlverfahren zugelassen, da sie zwar in der Landesvertretung in Berlin arbeitet, dorthin aber nur von einem anderen Ministerium abgeordnet worden sei. Dieser Vorgang wird von allerhand Merkwürdigkeiten begleitet: H. erhielt im April 2024 eine Beurteilung mit Bestnote, obwohl sie doch erst knapp drei Monate lang im Europaministerium tätig war – und ihre Beförderung nach A15 erst etwas mehr als ein Jahr zurückgelegen hatte. Rasch kam sie auf A16. Außerdem wurde H. schon mit der Wahrnehmung der Referatsleitung beauftragt, obwohl es doch die Mitinteressentin I. gegeben hatte. Dass I. deshalb ausgeschlossen wurde, weil sie nur zur Landesvertretung abgeordnet und nicht dorthin versetzt worden war, war auch für den Personalrat eine Überraschung, er sah darin einen Rechtsverstoß. Die Sache ging vor Gericht, weil I. sich nicht in ihr Schicksal fügte, sondern eine einstweilige Anordnung beantragte.
- Der Gerichtsbeschluss. Das Verwaltungsgericht Hannover entschied Mitte September 2024, dass H. von der Leitung des Referats entbunden werden muss – damit keine Fakten geschaffen werden, die H. im Bewerbungsverfahren bevorteilen. Die Richter beanstandeten auch, dass aus der ursprünglichen Ausschreibung nach Start des Besetzungsverfahrens das Justiziariat herausgeschnitten und an ein anderes Referat übertragen wurde. Man darf mutmaßen, dass auch das ein Schritt der Hausspitze mit dem Ziel war, H. zu protegieren. Denn H. ist keine Juristin, und wäre es bei der ursprünglichen Ausschreibung geblieben, hätte I. hier wohl einen Startvorteil gehabt. I. ist Volljuristin und wäre ohne Weiteres auch für das Justiziariat qualifiziert gewesen. Was tat nun das Ministerium, als das Gericht im September entschieden hatte? H. wurde von der Referatsleitung abberufen und als Referentin in ein anderes Referat versetzt. Gleichzeitig wurde das Verfahren der Besetzung der Referatsleitung gestoppt. Überraschend geschah das gleichzeitig auch in einem anderen Fall, im Personalreferat. Dort ist die Mitarbeiterin R. mit der Leitung beauftragt worden. Auch R. hatte eine Mitbewerberin, die derzeit in Berlin tätig ist. Eine Auswahlentscheidung zur Spitze des Personalreferats indes zieht sich bislang in die Länge, R. jedoch wurde zwischenzeitlich mit der Referatsleitung betraut. Sollten so also auch für R. Fakten geschaffen werden?
- Die „Südstadt-Bult-Achse“. Im Europaministerium herrscht inzwischen Aufregung, weil niemand genau weiß, wie es jetzt weitergeht. Sollten die Ausschreibungen gestoppt und neu gestartet werden, so wäre das wohl ein zweiter Versuch, I. auszugrenzen. Ein Signal, I. jetzt doch in das Bewerbungsverfahren einzubeziehen, gibt es von Ministerin Osigus bisher noch nicht. Eine Sprecherin der Ministerin erklärt auf Anfrage, in dem Verfahren gehe es ja nur um einstweiligen Rechtsschutz, das lasse keine Prognose für den Ausgang eines wiederholten Auswahlverfahrens zu. Derweil lästern Mitarbeiter des Ministeriums bereits über eine „Südstadt-Bult-Achse“. Sowohl H., als auch R., die beiden bisherigen kommissarischen Leiterinnen vom Strategie- und vom Personalreferat, sind engagiert im hannoverschen SPD-Ortsverein Südstadt-Bult. R. war früher Chefin der SPD-Fraktion im dortigen Bezirksrat. H. ist Vize-Vorsitzende des Ortsvereins – ebenso wie die frühere Büroleiterin von Ministerin Honé, die inzwischen in die Führung eines Kommunalverbandes gewechselt ist. Dieser SPD-Ortsverein zeichnet sich durch besonderes Geschick im Netzwerken aus, Vorstandsmitglieder waren oder sind hauptberuflich in verschiedenen Ministerien tätig. Nun heißt es, auch noch ein Beisitzer aus diesem Ortsvereinsvorstand sei von der Region Hannover ins Europaministerium abgeordnet worden, und zwar ins Umfeld von Osigus. Kritiker gestehen zwar ein, dass ein parteipolitisches Auswahlkriterium hinnehmbar und auch verständlich wäre beim Stab einer Ministerin – also beim persönlichen Büro, beim Pressesprecher und beim Büroleiter. Wenn sich das aber ausweite auf die Linie des Ministeriums, wie in diesem Fall, müsse es nach Eignung, Befähigung und Leistung gehen und nicht nach Parteibuch. Dass die CDU es in ihrer Regierungszeit zwischen 2017 und 2022 ähnlich handhabte und scharenweise Parteifreunde auf Linienpositionen im Wirtschaftsministerium platzierte, entschuldigt die aktuellen Vorgänge im Europaministerium wohl kaum. Merkwürdig an diesem Fall ist überdies, dass die Verbindungslinien zwischen einer einzigen SPD-Untergliederung in der Landeshauptstadt und dem Europaministerium derart stark ausgeprägt sind.
- Demotivierende Ausschreibungen. Hinweisgeber schildern, dass Mitarbeiter des Ministeriums nicht ausreichend beteiligt werden von der Hausleitung. Sobald neue Stellen ausgeschrieben werden, seien sie im Grunde schon besetzt – und häufig so, dass sich mögliche andere Interessenten nicht eingeladen fühlen. Ist jemand schon vorher ausgeguckt worden, so sind die Bewerbungsfristen äußerst kurz – oder es wird nur hausintern gesucht. Als die Leitung der Referatsgruppe Z besetzt werden musste, jener Strang, in dem auch H. und R. bisher Referate leiteten, hing die Ausschreibung genau sieben Tage lang – und zwar nur in der eigenen Einheit. Bedingung für die Interessenbekundung war dabei, dass man aktuell gerade ein Referat in diesem Verwaltungsstrang leitet. Am Ende blieb es angesichts dieser strengen Eingrenzung nur bei dem Bewerber, der von vornherein anvisiert worden war und die Stelle dann auch bekam.
- Fragwürdige Qualifikation. Zum Europaministerium gehören auch die vier Landesvertretungen in Hildesheim, Braunschweig, Oldenburg und Lüneburg. Aus Oldenburg sind im Jahr 2023 Mobbing-Vorwürfe innerhalb der Mitarbeiterschaft geäußert worden, die bis in die Spitze der Landesvertretung hineinragten. Wirbel gab es auch um einen umstrittenen Auftrag. So sollte sich die Behörde im Auftrag der Staatskanzlei 2023 engagieren, um eine Job-Messe für Flüchtlinge aus der Ukraine zu veranstalten – was angeblich auf Bedenken der Job-Center gestoßen war. Auch innerhalb der Landesvertretung Weser-Ems waren Vorwürfe laut geworden, bei der Besetzung von Stellen sei es häufiger nicht nach Qualifikation gegangen, sondern nach anderen Kriterien.
- Wachstum der Berliner Vertretung. Als der neue Leiter der Landesvertretung in Berlin, Axel Rienhoff, 2023 berufen wurde, hat man eine neue B4-Stelle für den ständigen Vertreter geschaffen. Es wurde Tobias Rohrberg, der den Grünen nahesteht, vorher in der Vertretung Baden-Württembergs gearbeitet hat und nun quasi als ständiger Repräsentant in Berlin agiert. Bevor er antrat, war er beim alten Arbeitgeber noch befördert worden – mit der Folge, das eine der CDU nahestehende Beamtin, die sich auch hätte bewerben können, im Auswahlverfahren keine Chance mehr hatte. Im Umfeld von Rohrberg wurden nun noch zwei Dienstposten geschaffen – für einen Referenten und einen Sachbearbeiter zu „Transformation von Wirtschaft, Verwaltung und Gesellschaft“. Zwar ist im Gegenzug offenbar geplant, andere offene Stellen nicht mehr zu besetzen. Kurzfristig aber werden in der Landesvertretung Bauarbeiten nötig, um die Mitarbeiter angemessen unterzubringen.
Dieser Artikel erschien am 21.10.2024 in der Ausgabe #183.
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