Einer der bekanntesten und schillerndsten Politiker der Linken in Deutschland steht womöglich vor einer landespolitischen Karriere in Niedersachsen: Die Partei diskutiert derzeit intern über den Vorschlag, den Bundestagsabgeordneten Diether Dehm (66) zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl im Januar 2018 zu küren. „Ich bin gefragt worden, ob ich Spitzenkandidat für die Landtagswahl werden soll – und ich bin offen für Argumente. Ich will keine Tür zuschlagen“, sagte Dehm am Mittwoch dem Rundblick. Entschieden, fügte er hinzu, sei aber noch nichts. Dehm, der mit Musikmanagement ein großes Vermögen angehäuft hat, gehört seit elf Jahren dem Bundestag an. Bis 2010 war er auch Linken-Vorsitzender in Niedersachsen. Er ist immer wieder mit spektakulären Aussagen und Aktionen aufgefallen. Derzeit ermittelt die Staatsanwaltschaft Fulda gegen ihn, weil er einen Flüchtling nach Deutschland geschmuggelt haben soll. Im Februar wurde bekannt, dass er den früheren RAF-Terroristen Christian Klar bei sich beschäftigt hatte.

"Pragmatiker und Brückenbauer": Liegt Dehms politische Zukunft in Niedersachsen? - Foto: Linksfraktion

„Pragmatiker und Brückenbauer“: Liegt Dehms politische Zukunft in Niedersachsen? – Foto: Linksfraktion

Der Linken-Landesverband hat rund 2500 Mitglieder, Vorsitzende sind der Bundestagsabgeordnete Herbert Behrens aus Osterholz und Anja Stoeck aus Harburg. Wie die Zukunft von Dehm aussieht, klärt die Partei im kommenden Februar, wenn die Landesliste für die Bundestagswahl im September 2017 aufgestellt wird, und wenige Monate später im Mai beim Beschluss über die Liste für die Landtagswahl. Dehm ist führender Vertreter der „sozialistischen Linken“, die im hiesigen Landesverband die klar dominierende Kraft ist. Er hat eine Nähe zu Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht. Die Gruppe „Forum demokratischer Sozialismus“, zu der auch Gregor Gysi gerechnet wird und die meisten der Ost-Landesverbände, ist in Niedersachsen kaum noch innerparteilich präsent. Als Leitfiguren für den Landtagswahlkampf wird neben Dehm vielleicht noch der Oldenburger Hans-Henning Adler geschätzt, aber andere wie der frühere Landtagsabgeordnete Patrick Humke aus Göttingen haben sich längst ins Abseits manövriert. Es herrscht ein Mangel an starken Figuren.

Eine Zeitlang wurde darüber diskutiert, dass Dehm die Spitzenkandidatur für den Landtag anpeilen soll und Herbert Behrens die für den Bundestag. Nun soll es aber den klaren Wunsch der Bundestagsfraktionsspitze um Wagenknecht und Dietmar Bartsch geben, Dehm möge wieder für den Bundestag antreten. Da es nur schwer vorstellbar ist, dass der Politiker für beide Listen auf Position eins kandidiert, wirken Teile der Landespartei derzeit verunsichert und warten auf eine Klärung – vor allem zwischen Dehm und Behrens. Behrens schärft derzeit sein Profil als Vorsitzender des Bundestags-Untersuchungsausschusses zur VW-Abgasaffäre. Dehm will sich, obgleich er zum linken Flügel gerechnet wird, als Pragmatiker und Brückenbauer betätigen. „Ich bin seit Jahrzehnten mit Stephan Weil befreundet und seit einigen Jahren auch mit Christian Wulff“, sagte er dem Rundblick. Er stehe für „ein undogmatisches Herangehen an die Probleme“, schließe ein Interesse an einem Ministeramt „kategorisch aus“ und wolle „den zu kurz Gekommenen zu einem sozialen Aufbruch“ verhelfen.

Dehm wird zugetraut, dass er nach einem entsprechenden Wahlergebnis auf SPD und Grüne zugehen würde und für eine rot-rot-grüne Zusammenarbeit werben dürfte. Diese Kooperation könnte auch ein Koalitionsvertrag sein, wobei hier die Schwierigkeit bestünde, dass die Linkspartei im Fall von Verhandlungen diese nicht ohne die Vertreter von Gewerkschaften und Sozialverbänden führen will. Eine näherliegende Tolerierung könnte an wenige symbolische Projekte geknüpft werden – und in der Linkspartei wird einem wie Dehm zugetraut, dass er auch den linken Rand seiner Partei von dann notwendigen Kompromissen überzeugen könnte. Einen ähnlichen Plan hatte die Linkspartei übrigens schon für die Zeit nach der Landtagswahl 2013. Wäre sie damals wieder in den Landtag gekommen und als Mehrheitsbeschaffer für Rot-Grün benötigt worden, so lautete ein ernstgemeinter Plan der Linken-Führung von damals, die heutige Bundestagsfraktionschefin Sahra Wagenknecht als Ministerkandidatin nach Hannover zu holen.

Bei der Kommunalwahl hatte die Linkspartei landesweit 3,3 Prozent erhalten. Das ist zwar noch weit von der Fünfprozenthürde entfernt, die bei der Landtagswahl übersprungen werden muss – aber es war ein Zuwachs gegenüber der Kommunalwahl 2011 um 0,7 Punkte. Darin sehen viele in der Partei einen Hoffnungsschimmer. (kw)