Die großen Verlierer des Rechtsstreits zwischen der EU-Kommission und der Bundesregierung in Bezug auf die Ausweisung der nitratbelasteten „roten Gebiete“ werden in Niedersachsen wohl die Grünlandbetriebe sein. Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD) hat die Abgeordneten des niedersächsischen Landtags gestern über die Systematik unterrichtet, mit der das Land die neue Gebietskulisse erstellt hat, die vom Bund nun an die EU gemeldet werden muss.

Für Unzufriedenheit unter den Abgeordneten sorgte dabei der Umstand, dass nun im Gegensatz zur vorherigen Gebietskulisse mehr als 150.000 Hektar Grünland betroffen sein werden. Die vorherige Modellierung des Landes hatte diese Betriebe noch ausgeschlossen und dies fachlich begründet. Da eine Grünlandfläche nicht geerntet werde, gelangten von dort aus auch keine unverbrauchten Nitratrückstände ins Grundwasser, wurde argumentiert. Weil die Europäische Kommission allerdings den „emissionsbasierten Ansatz“ (also die Bezugnahme auf die Stoffe, die auf den Boden kommen) in Gänze ablehnt, spielt diese Betrachtung wohl vorerst keine Rolle mehr.

Für Grünflächen gelten strengere Bewirtschaftungsauflagen

Gerade in Niedersachsen hatte man jahrelang allerdings versucht, das Verursacherprinzip stärker zu betonen und deshalb darauf zu achten, wo aktuell Düngemittel auf den Boden kommen, statt sklavisch darauf zu schauen, wo das Grundwasser durch unsachgemäße Düngung vor Jahrzehnten verunreinigt worden sein mag. Durch dieses Verfahren war es Niedersachsen gelungen, die roten Gebiete auf eine Agrarfläche von etwa 645.400 Hektar zu verringern. Doch dieses Ergebnis hat die EU nach Mitteilung von Lies nun gestoppt. Die zwischenzeitlich vom Umweltministerium durch Kombination zweier Berechnungsverfahren ermittelte Gebietskulisse bemisst nun 655.800 Hektar landwirtschaftlicher Fläche, zu der eben auch Grünland gerechnet wird. Für diese Fläche gelten strengere Bewirtschaftungsauflagen.

Der Umweltminister betonte allerdings, dass es sich dabei immer noch um eine deutliche Verringerung im Vergleich zu der eigentlichen Ausgangsgröße handelt, die sich aus der rein immissionsbasierten Abgrenzung ergibt, also aus der Orientierung ausschließlich an der Grundwasserqualität. Würde man diese allein auf Grundwasser-Messstellendaten basierende Karte zugrunde legen, wären rund 1.065.800 Hektar betroffen. Ob das neue Abgrenzungsverfahren mit dem Resultat 655.800 Hektar so aber vom Landeskabinett gebilligt und an den Bund gemeldet wird, hängt noch von der Entscheidung der EU-Kommission ab.

„Minister Lies ist mit seiner Strategie der nitratsensiblen Gebiete auf ganzer Linie gescheitert.“

Hermann Grupe

Bei den Umwelt- und Agrarpolitikern sorgte die Unterrichtung durch den Umweltminister für Unmut. „Minister Lies ist mit seiner Strategie der nitratsensiblen Gebiete auf ganzer Linie gescheitert“, sagte FDP-Agrarpolitiker Hermann Grupe. Die Erfolge der Landwirte beim Einsparen von Düngemitteln in den vergangenen Jahren würden nicht ausreichend beachtet, die Landwirtschaft dadurch massiv geschädigt, meinte er. Miriam Staudte von den Grünen erklärte, dass sich nun räche, dass jahrzehntelang nicht gehandelt worden sei.

In der CDU-Landtagsfraktion ärgert man sich vor allem über die Regelungen zum Grünland. „Wer aus Umweltschutzgründen aus Grünland ein rotes Gebiet macht, der hindert auch Elektroautos daran, in eine Umweltzone zu fahren“, frotzelte der CDU-Umweltpolitiker Martin Bäumer. Sein Fraktionskollege und Agrarpolitiker Helmut Dammann-Tamke ergänzte: „Dass Grünland jetzt Teil der Kulisse wird, ist falsch.“ Die Abgeordneten setzen nun auf die Zusage des Umweltministers, dass die Düngeverordnung angepasst wird und die Auflagen für Betriebe in den roten Gebieten nach den Nutzungsarten variiert werden können. 

„Dass Grünland jetzt Teil der Kulisse wird, ist falsch.“

Helmut Dammann-Tamke

Insgesamt vier Kritikpunkte hatte die EU-Kommission am bisherigen deutschen Vorgehen geäußert, wie Minister Lies erklärte. So akzeptiert es die EU nicht, dass rot markierte Grundwasser-Messstellen außerhalb der Gebietskulisse liegen können. Außerdem hat die rapide Verkleinerung von Gebietskulissen in einigen Bundesländern die Skepsis der Kommission genährt. Hinzu kommt, dass die 16 deutschen Bundesländer nahezu 16 unterschiedliche Methoden verwendet haben, um ihre roten Gebiete auszuweisen. Außerdem hat Brüssel festgestellt, dass die Emissionsmodellierung mit der Nitratrichtlinie nicht vereinbar sei.

Die EU hat nun festgelegt, dass eine Modellierung aufgrund der Emission, also orientiert an den Dünge-Einträgen, nicht angewendet werden darf – maßgeblich dürften allein die Grundwasser-Messstellen sein. Außerdem dürften die Ergebnisse zwischen den Ländern künftig nicht zu stark abweichen. Das von der EU vorgegebene Ziel ist deshalb nun ein einheitliches Verfahren zur Ausweisung der nitratsensiblen Gebiete. Wie Umweltminister Lies gestern erklärte, habe die Bundesrepublik dafür jetzt bis 2024 Zeit. Bis dahin muss das Messstellennetz so ausgebaut werden, dass es sich für ein sogenanntes „geostatistisches Regionalisierungsverfahren“ eignet. Bis spätestens 2028 müssen die Gebietskulissen dann nach diesem Verfahren ermittelt werden. 

Kritik am Zeitpunkt der Unterrichtung:

Dass Umweltminister Olaf Lies zunächst am Dienstag den Düngebeirat über die neue Gebietskulisse informiert hat, bevor er dann am Mittwoch die Abgeordneten ins Bild setzte, handelte ihm scharfe Kritik ein. „Dieser Umgang ist dem Thema überhaupt nicht angemessen“, rügte Hermann Grupe (FDP). Helmut Dammann-Tamke sagte: „Es wäre zu wünschen, dass die Parlamentarier diese so wichtigen Informationen als erstes erhalten.“ Der Düngebeirat habe Karten gezeigt bekommen, woraufhin sich Fotos davon in kürzester Zeit verbreiteten – doch die zuständigen Abgeordneten seien nicht sprechfähig gewesen, kritisierte der CDU-Politiker in der Plenarsitzung des Landtags. Dem anschließend tagenden Umweltausschuss gegenüber erklärte Lies, er habe großes Verständnis für die Kritik, er bedauere und nehme das auf sich.