Die EU-Kommission hat gestern beschlossen, Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu verklagen. Im Streit um die Umsetzung der sogenannten Habitat-Richtlinie ist damit nun die nächste Stufe der Eskalation erreicht, die am Ende vor allem für Niedersachsen teuer werden kann. Der Bundesrepublik wird vorgeworfen, die sogenannten FFH-Gebiete (Flora-Fauna-Habitat) nicht ausreichend benannt und gesichert zu haben. In Niedersachsen gilt das noch für 33 von 385 Gebieten, wie das Politikjournal Rundblick am Montag berichtet. Der Schutz bei 26 von 77 Vogelschutzgebieten ist ebenfalls noch offen. 

„Wir nehmen die Klage sehr ernst“, erklärte Christian Budde, Sprecher des Niedersächsischen Umweltministeriums, auf Rundblick-Anfrage. Angesichts des bereits geplanten weiteren Vorgehens erwarte Umweltminister Olaf Lies (SPD) allerdings, dass eine Strafzahlung noch abgewendet werden kann. „Wir sind zuversichtlich, dass bis zum Sommer eine qualitativ hochwertige Ausweisung der FFH-Gebiete abgeschlossen sein wird“, sagte Budde.


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Die EU-Kommission teilte gestern mit, dass in Deutschland eine „bedeutende Anzahl von Gebieten“ noch nicht gesichert und vielfach die „Erhaltungsziele nicht hinreichend quantifiziert und messbar“ seien. Die Frist für die Vollendung der notwendigen Maßnahmen sei in einigen Fällen vor mehr als zehn Jahren abgelaufen. 2015 eröffnete die EU daher ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland, 2019 folgte ein erstes Aufforderungsschreiben und vor gut einem Jahr die mit Gründen versehenen Stellungnahme – also so etwas wie die letzte Warnung vor der Klage.

In dem mehr als 100 Seiten starken Schriftstück wurde damals detailliert aufgelistet, wie das Verfahren bisher abgelaufen ist, welche Argumente ausgetauscht wurden und weshalb die EU-Kommission trotz der Bewegung an ihrer Auffassung festhält, dass die Bundesrepublik ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen ist. Dass die Lage erst wird, war also hinlänglich bekannt.

Foto: nkw

Unter den Bundesländern hinkt Niedersachsen seit Jahren besonders weit zurück bei der Umsetzung der Habitat-Richtlinie von 1992. Da die Bundesregierung eine mögliche Strafzahlung an die wenigen säumigen Länder weiterreichen darf, drohen explizit Niedersachsen daher hohe Kosten. Umweltminister Lies hat daher schon vor einem Jahr die unteren Naturschutzbehörden in den Landkreisen angewiesen, die Sicherung der Gebiete bis Oktober 2020 abzuschließen. Die letzten Landkreise, in denen das noch immer nicht geschehen ist, wurden nun Anfang Februar erneut angewiesen, bis spätestens zur Sommerpause alle benötigten Verordnungen zu beschließen.

Mit der jüngsten Weisung hat das Umweltministerium die Landkreise an die kurze Leine genommen. Alle zwei Wochen müssen die Naturschutzbehörden an das Ministerium melden, wie es um die Fortschritte bestellt ist. Der Minister verwies zudem darauf hin, dass notfalls Sondersitzungen der Kreistage einberufen werden könnten, damit die Beschlüsse auf jeden Fall noch vor der Kommunalwahl im September herbeigeführt werden können.

Wie geht es nun weiter? Mit der Klageerhebung beginnt zunächst ein knapp anderthalbjähriges Verfahren vor dem EuGH, das schließlich zuerst zu einem Feststellungsurteil führt. Der Gerichtshof könnte dann also formal feststellen, dass Deutschland tatsächlich gegen die Umsetzung der Habitat-Richtlinie verstoßen hat. Nach diesem Urteil öffnet sich dann ein weiteres Zeitfenster, in dem die Bundesrepublik die Möglichkeit hat, zügig nachzubessern und die Auflagen der Richtlinie doch noch zu erfüllen. In diesem Fall könnten Strafzahlungen abgewendet werden. Ein Sanktionsverfahren würde sich allerdings anschließen, falls die EU-Kommission auch ein Jahr nach dem Feststellungsurteil mit der Umsetzung in Deutschland noch nicht zufrieden ist. Bis zu einem Urteilsspruch kann es hier allerdings bis zu drei Jahre dauern.

Würde der EuGH dann aber gegen die Bundesrepublik urteilen, würde es teuer: Für die Bundesrepublik ergäbe sich nach aktueller Rechnung ein Pauschalbetrag von bestenfalls 4800 Euro, schlimmstenfalls 96.000 Euro, die für jeden Tag zwischen dem ersten und dem zweiten Urteilsspruch zu zahlen wären. Hinzu käme ein tägliches Zwangsgeld, das Deutschland so lange entrichten muss, bis die Habitat-Richtlinie schließlich doch umgesetzt ist. Dieses changiert nach der aktuellen Berechnungstabelle irgendwo zwischen 14.000 Euro und 863.000 Euro, wobei bei dieser Fallkonstellation von der höheren Summe auszugehen sein dürfte.

Von Niklas Kleinwächter