Mit scharfen Worten kritisiert der bayerische Wildbiologe Ulrich Wotschikowsky die Pläne der niedersächsischen Landesregierung zum künftigen Umgang mit dem Wolf. Die Debatte sei „bestimmt von Populismus und durchtränkt von Unkenntnis über das Tier“, sagte er im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick. Dazu würden den Bürgern Handlungskonzepte versprochen, deren Umsetzung mit den Vorschriften in Konflikt geraten könne. Konkret geht es um das Versprechen von SPD und CDU, Deichgebiete zu wolfsfreien Zonen zu erklären, und die Ankündigung von Umweltminister Olaf Lies, Abschussquoten nach dem Vorbild Frankreichs einrichten zu wollen. „Diese Maßnahmen schaffen keine Abhilfe, sondern verschlimmern das Problem noch“, sagte Wotschikowsky. Er ist studierter Förster und beim Verein Wildbiologische Gesellschaft München Ansprechpartner zu den Themen Wolf und Luchs. Jetzt ist er Teil der 39-köpfigen Expertenkommission „Large Carnivore Initiative for Europe“ (LCIE), in der Wissenschaftler aus ganz Europa gemeinsam über Lösungsmöglichkeiten zum Umgang mit Raubtieren wie dem Wolf diskutieren. „Auch wir haben stundenlang beraten, ob Sperrzonen und Quoten ein gangbarer Weg wären“, sagt Wotschikowsky. „Und sind zu dem Schluss gekommen, dass beides weder die Probleme lösen noch die Akzeptanz für den Wolf erhöhen kann.“

Schweden stellt Minderheit über den Wolf

Dafür gebe es mehrere Gründe, die sich am Beispiel zweier europäischer Länder beobachten ließen. Da wäre etwa Schweden, das seinen gesamten Norden frei von Wölfen hält. Denn dort leben die Samen, ein indigenes Volk, dessen Hauptwirtschaftszweig seit mehreren Jahrhunderten die Rentierzucht ist. Die ohnehin schon durch äußere Einflüsse bedrohte Zucht würde durch den Wolf noch stärker unter Druck geraten. „Es ist eine respektable Position, wenn die schwedische Regierung beschließt, dass das Überleben der Samen wichtiger ist als der Wolf“, sagt Wotschikowsky. Doch rechtlich gesehen sei der Abschuss von jährlich etwa 20 Wölfen illegal. „Diese Praxis steht im Widerspruch mit der europäischen Habitat-Richtlinie, deshalb hat die EU auch ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Schweden eingeleitet.“


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Darüber hinaus seien einzelne wolfsfreie Zonen wie etwa an der Küste schlicht unpraktikabel. „In der Regel lassen sich Wölfe dort nicht nieder, denn es gibt kaum Wald und damit nur wenig Unterschlupf“, sagt Wotschikowsky. Wolle man aber sicherstellen, dass sich dort keine Wölfe aufhielten, so müsste das Tier ins Jagdrecht aufgenommen und mit großem Aufwand verfolgt werden. „Das steht in überhaupt keinem Verhältnis dazu, was der Wolf anrichtet.“ Viel sinnvoller sei es daher, die bedrohten Herdentiere zu schützen. „Man muss Schafe gegen Beutegreifer schützen, so steht es im Tierschutzgesetz. Das ist im Übrigen lange vor der Rückkehr des Wolfes im Hinblick auf wilde Hunde beschlossen worden“, sagt Wotschikowsky. Er empfiehlt daher an den Deichen den Einsatz von Schäfern und Herdenschutzhunden sowie einen Nachtpferch mit solidem Zaun. „Natürlich ist das aufwendig, aber wenn unsere Gesellschaft den Wolf ebenso behalten will wie die Schafszucht, dann darf der Schäfer nicht auf den Kosten sitzen bleiben.“

70 Wölfe könne den gleichen Schaden anrichten wie 100

Besonders ärgern den Wolfsexperten aber die Ankündigungen aus der deutschen Politik, eine Abschussquote nach dem Vorbild Frankreichs einführen zu wollen. „Was dort getan wird, ist völlig verfehlt und verschlimmert das Problem noch.“ Denn die französischen Jäger achteten nicht darauf, ob sie ein Jungtier oder ein Elterntier schössen, einen Rüden oder eine Fähe. „Das zerstört Rudelstrukturen und ändert am Verhalten der Wölfe gar nichts.“ Denn 70 Wölfe könnten den gleichen Schaden anrichten wie 100. Darüber hinaus sei der günstige Erhaltungszustand noch längst nicht erreicht. „Polen und Deutschland teilen sich eine Population, die etwa 60 Rudel umfasst, also rund 360 erwachsene Tiere“, sagt Wotschikowsky. Um aber einen von der EU geforderten, günstigen Erhaltungszustand zu erreichen, müssten es 1000 erwachsene Tiere sein. Und auch dann gebe es noch ein Kriterium: Der Wolf müsse sich in Deutschland überall da angesiedelt haben, wo er günstige Bedingungen vorfindet. „Aber er kann ja gar nicht nach NRW, Thüringen oder Bayern kommen, wenn er im Norden schon totgeschossen wird.“