Sind Insekten Teil der Lösung für das Problem der globalen Lebensmittelknappheit? Mit dieser und anderen Fragen rund um das Essen von kleinen Krabbeltieren beschäftigen sich Forscher an der Tierärztlichen Hochschule Hannover (TiHo). In einer Veranstaltungsreihe der Volkswagenstiftung gaben sie vor geraumer Zeit schon Einblicke in ihre Erkenntnisse. „Informiert man sich im Internet über Insekten als Lebensmittel, sind die Aussagen häufig mit vielen Fragezeichen versehen“, beginnt Prof. Madeleine Plötz ihre Ausführungen. Immer wieder gehe es dabei um die Frage, ob man persönlich bereit wäre, ein Insekt zu essen – oder ob man sich davor ekelt.

Würden Sie das essen? Ekel ist kulturell bedingt, sagt Forscher Nils Grabowski von der TiHo Hannover. | Foto: GettyImages-ollo

„Ekel ist ein wichtiger Faktor, der uns vor Vergiftungen schützen soll“, erläuterte Plötz‘ Kollege Nils Grabowski, „der Stimulus ist aber kulturell bedingt.“ In Europa sei es völlig normal, Gemüse roh oder gekocht zu essen, doch schon bei Lebensmitteln aus dem Meer scheiden sich die Geister: Fisch ja, Muscheln eher nein – oder umgekehrt? Auch beim Fleisch würden deutliche Unterschiede gemacht zwischen Geflügel und Rind, in manchen Kulturen sei der Verzehr von Schweinefleisch undenkbar. An rohen Fisch in Form von Sushi hat sich Europa langsam gewöhnt, rohes Fleisch in Form von Mett ist für viele eine Delikatesse – in anderen Teilen der Welt wäre das undenkbar. Gleiches gilt für Käse und andere Milchprodukte. Und ob Spargel nun gut schmeckt oder nicht, sei auch in Niedersachsen alljährlich wieder ein gutes Gesprächsthema, meint Prof. Plötz. Grabowski glaubt, dass es sich in Europa eher durchsetzen wird, Insekten in weiterverarbeiteter Form zum Verzehr zu nutzen. Denkbar wäre beispielsweise ein Einsatz als Ergänzung in fleischfreien Burger-Patties, bei denen man dann die Insektenanteile nicht mehr erkennen kann.

„Der Proteinbedarf wird weiter steigen. Wir werden alternative Proteinquellen zu Fleisch und Milch erschließen müssen.“

Ob die Insekten nun aber gut ankommen, ist vielleicht eine nachrangige Frage, wenn es doch um etwas Größeres geht: den Kampf gegen den Welthunger. „Der Proteinbedarf wird weiter steigen“, erklärte Plötz. „Wir werden alternative Proteinquellen zu Fleisch und Milch erschließen müssen.“ Eine Alternative ist dabei schon länger im Gespräch. Die Leguminosen, also Hülsenfrüchte wie verschiedene Erbsen, Bohnen und Linsen, können als pflanzliche Proteinlieferanten einspringen, wenn die Aufzucht einer Kuh oder eines Schweins zu aufwendig ist, um die Welt zu ernähren.



Aber sind Insekten ein noch besserer, weil kostengünstiger Ersatz? Mit dem Mythos des billigen Nahrungsmittels räumten die Forscher zunächst auf: Dass Insekten in anderen Teilen der Welt nicht nur ein verlässlicher Proteinlieferant sind, sondern sogar gerne gegessen werden, drückt sich nämlich auch im Preis aus. In Thailand zahle man für das Kilo Heuschrecke 5,25 Euro, für ein Kilo Grillen mehr als 2 Euro und für die Riesenwanze werden 20 Cent pro Stück auf den Ladentisch gelegt, berichtete Grabowski. „Die Nachfrage in Thailand ist sogar so groß, dass Insekten aus Laos, Kambodscha und Myanmar importiert werden.“ Für ein Kilo Weberameisen werden sogar 6,70 Euro fällig – das hat auch etwas damit zu tun, wie aufwendig es ist, die Tiere zu fangen. Gerade bei Ameisen gestaltet sich das durchaus schwierig, die kleinen Krabbler wehren sich nämlich.

Wer auf Krustentiere oder Hausstaub allergisch ist, sollte auf Insekten-Snacks besser verzichten

Traditionell werden die Insekten in der Natur gefangen, beispielsweise mit Lichtfallen oder durch das Ausgraben ihrer Behausungen. Die moderne Verwertung geht allerdings in eine andere Richtung: die Zucht. Für den sicheren Genuss biete die kontrollierte Aufzucht mehr Sicherheit, erläuterten die Wissenschaftler, die sich an der TiHo auch damit beschäftigen, wie genau solche Farmen ausgestaltet werden müssen. Das neu gewonnene Wissen wird in der Praxis bald nachgefragt sein. Schließlich hat die EU bereits Mehlwürmer, Wanderheuschrecken und bald Heimchen als Nahrungsmittel zugelassen. Die veterinärmedizinische Überwachung ihrer Aufzucht bedarf nun fachkundiger Tiermediziner, die in Hannover ausgebildet werden.

Weitere Einsatzfelder der Insektenforscher sind übrigens in der Industrie und Pharma-Branche, weil Chitin als Werkstoff genutzt oder Öle aus Insekten gewonnen werden können. Bei der Zucht spielt Tierwohl dann auch für Insekten eine Rolle. So empfehlen die Wissenschaftler, die Tiere durch Erfrieren zu töten, da man inzwischen festgestellt hat, dass sogar die kleinen Krabbler durchaus Schmerz und Stress empfinden können – wenn auch anders als Säugetiere, Vögel oder Fische. „In einigen Phasen können bei einigen Arten einige Einflüsse Stress verursachen“, fasste Grabowski die Erkenntnisse kurz zusammen.



Für die weitere Verarbeitung zu genussfähigen Lebensmitteln raten die Forscher zunächst, sich an traditionellen Verfahren zu orientieren. So sei längst bekannt, dass ein sauberer Magen-Darm-Trakt bei den Insekten auch Genuss und Gesundheit schützt. Deshalb gelte: Tier fangen und dann fasten lassen, mit etwas Gutem füttern oder auspressen, bevor man sie tötet. Anschließend sollte man sie waschen und bei Bedarf trimmen – also von Beinen und Fühlern befreien. „Das ist dann eine gute Basis für die moderne Bearbeitung“, sagt Grabowski. Risiken durch Bakterien, Gifte oder Pestizide ließen sich durch diese gute Erzeugung und durchs Erhitzen vorm Verzehr vermeiden. Nur eine Warnung sprechen die Wissenschaftler aus: Wer auf Krustentiere oder Hausstaub allergisch ist, sollte auf Insekten-Snacks besser verzichten.