Es steht nicht gut um jene Bürger der Landeshauptstadt Hannover, die mit Überzeugung dafür eintreten, die „Hindenburgstraße“ in der Oststadt weiterhin so zu benennen. Für diese Fragen ist der Stadtbezirksrat zuständig, ein eigentlich nicht sehr einflussreiches Gremium der Kommunalpolitik, das in speziellen Fragen wie solchen Namensgebungen aber eine ihrer wenigen Kompetenzen auskosten kann – und dabei eine gewaltige Wirkung zu entfachen vermag. Die Mehrheit von SPD, Grünen und Linken in dem Gremium will am 22. Februar den endgültigen Beschluss fassen. Damit wäre dann eine Jahre andauernde Kontroverse beendet. Aber wäre das auch eine kluge Entscheidung? Hier fünf Gründe, die gegen die Umbenennung sprechen.

Hindenburg ist eine zwiespältige Figur: Paul von Hindenburg (1847 bis 1934) ist eine umstrittene historische Figur. Im Ersten Weltkrieg galt er als Kriegsheld, fällte auch gravierende strategische Fehlentscheidungen– hat aber dann 1918 maßgeblich zur Einstellung der Kampfhandlungen beigetragen. Er schob die Verantwortung dafür der jungen Demokratie zu, deren Vertreter den Friedensvertrag absegnen mussten und die in der Folge zu Hassobjekten der Republikfeinde wurden. Nach Friedrich Eberts Tod wurde er Reichspräsident und verkörperte in seiner ruhigen Art, die an einen Fels in der Brandung erinnerte, die Sehnsüchte vieler Deutschen nach einem idealen Staatsoberhaupt in unruhigen Zeiten. Als die radikalen Kräfte links und rechts so stark wurden, dass sie jede demokratische Regierung verhindern konnten, berief Hindenburg Kanzler, die ihm und nicht dem Reichstag verpflichtet waren – und versuchte lange, Hitler als Kanzler zu verhindern. Vielleicht hätte er hier noch entschlossener agieren, die demokratischen Kräfte stärker beteiligen müssen. Vermutlich hätte er ahnen können oder müssen, wie gefährlich Hitlers Bewegung zu werden drohte. Alles in allem ist der Vorwurf, Hindenburg wäre der zielstrebige Wegbereiter des Untergangs der Weimarer Republik gewesen, unberechtigt. Seine Rolle ist bis heute zwiespältig.

Geschichte lässt sich nicht auslöschen: Wer junge Menschen über die Gefahren für die Demokratie aufklären will, muss gerade die Figuren näher beleuchten, die an der Grenze zwischen Demokratie und Diktatur stehen, die falsche Erwartungen haben, sich verrennen, den Überblick verlieren oder Situationen fehlinterpretieren. Das alles trifft für Hindenburg zu, daher lohnt eine intensive Auseinandersetzung mit seiner Person. Nichts wäre geeigneter als ein Straßenname, sinnvollerweise ergänzt mit Hinweisschildern und Tafeln, den Anstoß für die historische Hindenburg-Vermittlung zu geben. Die Gefahr ist groß, dass bei einer schlichten Straßenumbenennung die umstrittene Figur einfach ausgeblendet und vergessen wird. Wir haben das schon erlebt, als der Platz vor dem Landtag den Namen des ersten Ministerpräsidenten Hinrich-Wilhelm Kopf einbüßte. Eine Kopf-Büste wurde nach dem Umbau aus dem Landtag entfernt. Für die Umbenennung gab es gute Gründe, zumal Kopfs Rolle im Zweiten Weltkrieg Anlass für Zweifel an seiner Integrität bietet. Aber umso zwingender wäre es, die Auseinandersetzung mit Kopf massiv zu fördern. Das ist bisher nicht geschehen.

Hindenburg hat einen Hannover-Bezug: In vielen deutschen Städten gibt es nach Hindenburg benannte Straßen und Plätze. In Hannover hat das eine besondere Bedeutung, da der frühere Generalfeldmarschall hier lange Zeit gewohnt hat, auch vor seiner Wahl zum Reichspräsidenten 1925. Die Verehrung, die er in der Weimarer Republik erfuhr, spielte sich auch hier direkt vor seinem Wohnhaus ab. Das Wohnviertel ist lange Zeit auch „Hindenburg-Viertel“ genannt worden, einige Gaststätten tragen heute noch zur Erinnerung daran bei. Es gibt also viele in dem konkreten Ort fußende Gründe dafür, die Straße nach ihm zu benennen – denn nirgendwo lässt sich Geschichte besser vermitteln als an den Orten ihres Geschehens. Das gilt für den Bückeberg bei Hameln, der den Nazis als Kulisse für die deutschlandweiten Erntedankfeste diente und hoffentlich bald ein Lernort wird, ebenso wie für andere Stätten der Geschichte – und eben auch für die Gegend, in der Hindenburg gelebt hat, manche sagen „residiert“ hat.

Die Bürgermeinung ist eindeutig: Es hat mehrere Befragungen der Anwohner gegeben, und die Resultate waren stets klar – eine deutliche Mehrheit plädierte gegen die Umbenennung. Jetzt hatte die Stadt 333 von der Änderung der Adresse betroffene Anwohner angeschrieben. Der Rücklauf lag zwar nur bei einem Drittel, aber von den 110 Teilnehmern sprachen sich 106 für ein Festhalten an „Hindenburgstraße“ aus. Trotzdem lenkt die Mehrheit im Stadtbezirksrat bisher nicht ein. Nun kann man daran zweifeln, dass Anwohner das Recht haben sollten, über ihre Straßennamen wesentlich mitzuentscheiden. Hier aber geht es darum, eine seit Jahrzehnten bewährte Praxis zu ändern, ohne dass es neue Erkenntnisse über Hindenburg gäbe. Sicher, die Rolle des Reichspräsidenten wird von den Historikern mal kritischer, mal weniger kritisch beleuchtet. Aber zu einer grundlegenden Korrektur des Hindenburg-Bildes gab es bisher keinen Anlass. Hätte es ihn gegeben, wäre allerdings ebenfalls fraglich, ob das ein überzeugender Grund für die Namensänderung wäre. Dass nun Politiker den Straßennamen kippen wollen, deren Parteien sonst immer ganz vorn stehen, wenn es um die direkte Bürgerbeteiligung geht, weckt Zweifel an deren politischem Grundverständnis. Geschichtsschreibung ist keine Spielwiese für Politiker: Der Eindruck drängt sich auf, dass die Anhänger der Namensänderung ihren sehr begrenzten Entscheidungsspielraum im Stadtbezirksrat weidlich ausnutzen wollen für eine höchstumstrittene, Wellen schlagende Festlegung. So betreibt der Stadtbezirksrat Geschichtsschreibung und streicht kurz vor der Kommunalwahl seine Aktivität heraus. Getreu dem Motto: Seht her, wir haben etwas erreicht! Assistiert wird er von einem höchst zweifelhaften Gutachten der hannoverschen Stadtarchivare. Hier mischt sich das kurzfristige politisch-taktische Interesse mit Bestrebungen von Personen, denen der Name Hindenburg schon seit langem ein Dorn im Auge war und die jetzt eine günstige Gelegenheit sehen. Besser wäre es, die Politiker würden sich in solchen Fragen, die kulturell und historisch für ein Stadtviertel generationsübergreifend von Bedeutung sind, respektvoll zurückhalten.