Der Berliner Wirtschaftswissenschaftler und Medizin-Experte Professor Reinhard Busse hat mit scharfen Worten die Krankenhauslandschaft in Deutschland und besonders auch in Niedersachsen kritisiert. Sein Vortrag, den er kürzlich vor dem „Ersatzkassenforum“ in Hannover hielt, gipfelte in einer drastischen Einschätzung: Je kleiner das Krankenhaus ist, in dem ein Herzinfarktpatient behandelt wird, desto größer ist das Risiko, dass er dort verstirbt. Deutschland leide darunter, dass es zu viele Krankenhäuser gibt, in denen das Personal überfordert ist – denn immer noch würden viel zu viele Patienten, die sich in der Notaufnahme melden, in eine Klinik eingewiesen. Dabei sei der Weg anderer Länder viel besser, die sich im Zweifel eher für eine ambulante Versorgung entscheiden.

Die Krankenhausplanung geschehe primär zum Schutze der Krankenhäuser und nicht zum Schutze der Patienten, meint der Medizin-Experte Professor Reinhard Busse   – Foto: Foto: JazzIRT / Getty Images

Busse lobte das „Beispiel Dänemark“: Im nördlichen Nachbarland sei die Gesundheitspolitik radikal umgestellt worden, die 56 auf das Land verteilten Kliniken seien geschlossen und 22 neue geschaffen worden – viele davon nicht per Umbau, sondern Neubau. Kommunalpolitiker seien für diesen Schritt gewonnen worden, weil die Reform mit einer Modernisierung einherging. Auf Niedersachsen übertragen, wo es gegenwärtig noch 182 Kliniken gibt, würde die Umstellung nach Busses Berechnung acht Milliarden Euro kosten. Auf zehn Jahre gestreckt und mit Landeszuschüssen begleitet lasse sich das aber sehr wohl darstellen.

Unsere Krankenhausplanung geschieht primär zum Schutze der Krankenhäuser und nicht zum Schutze der Patienten.

Nach Einschätzung des in Hameln geborenen und hier aufgewachsenen Wissenschaftlers, der in Berlin das „Gesundheitsökonomische Zentrum“ leitet, leidet die deutsche Gesundheitspolitik an einem falschen Ansatz: „Unsere Krankenhausplanung geschieht primär zum Schutze der Krankenhäuser und nicht zum Schutze der Patienten.“ Das erklärte Busse so kürzlich auch in einem Interview mit dem Nachrichtendienst „Medscape“. Seine These mit der höheren Todesgefahr in kleinen Kliniken begründet er so: 2017 hätten 449, also gut ein Drittel aller deutschen Krankenhäuser keinen Computertomographen, 805 (also fast zwei Drittel) keine Koronarangiographie (Röntgenuntersuchung bei der Herzkatheter-Untersuchung) gehabt. In Niedersachsen betreffe das erste 39 Prozent aller Kliniken, das zweite 63 Prozent.

In Dänemark sterben weniger Infarktpatienten

Trotzdem seien auch dort Patienten, die einen Herzinfarkt erlitten hatten, aufgenommen worden – statt sie in eine einige Kilometer entfernte, aber dafür besser ausgestattete Klinik zu überweisen. Nun habe aber eine Untersuchung gravierende Unterschiede gezeigt: In den 54 deutschen Kliniken, die durchschnittlich mehr als 600 Infarktpatienten pro Jahr behandeln, sei die Sterblichkeit zwischen 2009 und 2014 um rund 30 Prozent geringer gewesen als in den 763 deutschen Krankenhäusern, die weniger als 50 Infarktpatienten im Jahr aufgenommen haben. Auch der Unterschied zwischen den vielen deutschen und den wenigen großen dänischen Kliniken an sich sei auffällig.

In Dänemark sterben pro 100 aufgenommenen Patienten, die älter als 45 sind, im Schnitt vier, in Deutschland aber 7,7. In dänischen Kliniken seien im Übrigen nachts stets ein Facharzt anwesend – während in deutschen Krankenhäusern „drei Fachärzte zuhause sitzen und mit dem Pieper in der Tasche auf eine Benachrichtigung warten“.


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Prof. Busse kritisiert außerdem den typisch deutschen Trend, im Zweifel die Menschen sofort ins Krankenhaus einzuweisen. In den Kliniken würden hierzulande zweimal so viele Patienten mit Herzinsuffizienz stationär behandelt wie im EU-Vergleich (bezogen auf die EU-Mitgliederzahl 2004), bei Rückenschmerzen und bei Hypertonie (Bluthochdruck) seien es sogar dreimal so viele. Der Trend, über die Notaufnahme ins Krankenhaus zu kommen, habe in den vergangenen sieben Jahren sogar enorm zugenommen. Dringend rät der Medizin-Experte dazu, die Qualität der Krankenhäuser stärker in den Blick zu nehmen und zu hinterfragen, ob Kliniken mit wenig Fallzahlen in bestimmten Bereichen überhaupt noch lohnenswert sind. „Das Prinzip, dass jedes Haus alles darf und meint, alles auch zu können, kann nicht mehr der Maßstab sein.“