Stefan Wenzel | Foto: Grüne

Bundesweit versuchen die Grünen unter ihrem Kanzlerkandidaten Robert Habeck ein Profil für bürgerliche Wähler zu gewinnen. In Niedersachsen aber, einem schon fast traditionell linken Landesverband, droht Mitte Dezember die Aufstellung einer stark links geprägten Landesliste für die Bundestagswahl. Jetzt hat sich ein führender Vertreter des Realo-Flügels mit einer deutlichen Warnung hervorgewagt. Der frühere Fraktionsvorsitzende im Landtag und jetzige Parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Stefan Wenzel, appellierte im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick an die „demokratische Kultur in der Partei“. Basisdemokratische Entscheidungen seien wichtig – gerade bei der Aufstellungsversammlung für die Bundestags-Landesliste, zu der sich Grünen-Vertreter am 14. Dezember in Hannover treffen. Wenzels Kritik zielt auf die sogenannten „Regionalkonferenzen“, die im Vorfeld des 14. Dezember tagen und Empfehlungen festlegen. Das, so meint Wenzel, widerspricht der Satzung der Grünen.

Viola von Cramon | Foto: Büro Viola von Cramon

Im Hintergrund geschieht ein Kräftemessen bei den Grünen: In den „Regionalkonferenzen“ sind Vertreter der Kreisvorstände und die mittlere Funktionsträgerebene der Grünen maßgeblich, hier gibt es eine starke linke Prägung. Jeder Kreisverband entsendet, unabhängig von der Größe, zwei Vertreter. Die Delegierten, die dann die Entscheidung in der Landesvertreterversammlung fällen, unterscheiden sich oft von den Teilnehmern der Regionalkonferenzen, bei ihnen darf eine größere Themenbreite erwartet werden. Nun hatte die Regionalkonferenz für Süd-Niedersachsen mit einer Empfehlung klar Position bezogen: Unter den ersten neun Plätzen auf der Landesliste, die als relativ „sicher“ gelten, sollten Karoline Otte (Göttingen) und Helge Limburg (Holzminden) rangieren – beides Vertreter der Linken-Strömung, obwohl Limburg als pragmatischer Kopf gilt. Ausdrücklich nicht empfohlen wurde die frühere Europa-Abgeordnete Viola von Cramon (Göttingen), die wegen ihrer fachlichen Qualifikationen (sie hat hervorragende Kontakte in die Ukraine) als politisches Schwergewicht unter den niedersächsischen Grünen gilt. Ginge es nun also nach der Empfehlung der Regionalkonferenz Süd-Niedersachsen, so dürfte von Cramon nicht für einen der ersten neun Plätze antreten – denn da ist ja für die Region nach der Empfehlung nun Otte gesetzt. Gerade auf dem linken Flügel der Grünen wird die These vertreten, dass diese Regionalkonferenz-Voten „schon verbindlich“ für die Listenaufstellung sein sollten. Das heißt: Die Linken erwarten von Viola von Cramon, nicht für die ersten neun Plätze ihren Hut in den Ring zu werfen.

Timon Dzienus | Foto: Grüne Jugend

Dem widerspricht Wenzel nun deutlich: Die Regionalkonferenzen stünden nicht in der Satzung der Grünen, also hätten sie „auch keine Relevanz für Wahlen“, sagte Wenzel dem Politikjournal Rundblick. Gerade im Unterschied zu SPD und CDU hätten die Grünen immer die basisdemokratischen Entscheidungen der Aufstellungsversammlungen hochgehalten – und dabei müsse es auch künftig bleiben. Tatsächlich hat die SPD vier Bezirke, die CDU acht Bezirksverbände. In beiden Parteien wird in der Regel die Reihenfolge der regionalen Verteilung auf den Landeslisten für Bundestag und Landtag vorab so ausgetüftelt, dass es in der entscheidenden Aufstellungsversammlung dann so gut wie gar keine Kampfkandidaturen und Veränderungen mehr gibt. Laut Wenzel widerspricht das dem basisdemokratischen Ansatz der Grünen und solle vermieden werden.

Wenzel spricht dabei aus Erfahrung. Vor der Bundestagswahl 2017 war es gerade mal gelungen, einen Realo-Bewerber auf Rang sechs zu platzieren – den einstigen Verdi-Chef Frank Bsirske. Der tritt nun nicht mehr an. Wenzel selbst kam 2021 auf Position zehn – und der Platz war damals noch ausreichend für einen Erfolg. Die stille Hoffnung der Realos ist es nun wohl, wenigstens von Cramon auf einen vorderen Platz zu hieven, zumal auch der Realo Ottmar von Holtz (Hildesheim) bei der Regionalkonferenz-Empfehlung nicht viel Rückenwind erhielt. Wenzels Warnung vor dem Gewicht der Regionalkonferenzen zielt vermutlich auch noch auf Hannover. Der frühere Grüne-Jugend-Bundessprecher Timon Dzienus, für radikal linke Positionen bekannt, möchte auch gern auf einen sicheren Listenplatz, also unter den ersten neun Rängen. Seine Chancen wären größer, wenn die Regionalkonferenz Hannover ihn dabei gezielt unterstützen würde. Das ist nicht ausgeschlossen, obwohl zu dieser Konferenz bisher noch nicht eingeladen wurde. Für die Realos ist vor allem Dzienus ein „rotes Tuch“ – und für jegliche mögliche Pläne, nach der Bundestagswahl Schwarz-Grün anzupeilen, wären Abgeordnete wie Dzienus wohl eine starke Belastung. Damit auch für Robert Habeck. Es wird erwartet, dass es in der Landesdelegiertenversammlung zu einer Kampfkandidatur zwischen Dzienus und dem Grünen-Landesvorsitzenden Alaa Alhamwi (Oldenburg) kommen wird. Beide, Dzienus und Alhamwi, sind Newcomer, da sie bisher nicht im Bundestag waren. Unter den ersten zehn Plätzen sind zwei für die Newcomer reserviert – einer davon dürfte aber an Lena Gumnior (Verden) fallen, der andere an einen Mann.