Den Handwerksbetrieben geht der Nachwuchs aus. Laut einer landesweiten Umfrage der Landesvertretung der Handwerkskammern Niedersachsen (LHN) haben bislang nur 60 Prozent der Betriebe alle ihre Ausbildungsplätze besetzen können. „Bei 40 Prozent der Betriebe geht noch etwas“, sagt der LHN-Vorsitzende Karl-Wilhelm Steinmann.

LHN-Hauptgeschäftsführerin Hildegard Sander und Präsident Karl-Wilhelm Steinmann stellen die Ergebnisse einer aktuellen Ausbildungsumfrage vor. / Foto: Christian Wilhelm Link

Speziell in den Friseurbetrieben gebe es viele offene Lehrstellen. „Die Friseure mussten wegen Corona schließen und haben jetzt einen erheblichen Nachholbedarf“, erläutert Steinmann. Großen Bedarf an Auszubildenden gebe es auch im Metallbau, bei den Maurern und Betonbauern, bei den Elektrotechnikern, den Malern und Lackierern, den Installateuren und Heizungsbauern sowie den Zimmerern und Tischlern. Außerdem würden auch überdurchschnittlich viele Kraftfahrzeugwerkstätten noch nach Auszubildenden suchen.

Landesweit rund 1400 Ausbildungsbetriebe aus den unterschiedlichsten Gewerken hatten sich an der LHN-Umfrage beteiligt, die bis Ende Juli lief. Die Befragung zeigt, dass sich viele Betriebe bemühen, die Ausbildung durch individuelle „Bonbons“ zu versüßen: 86 Prozent der befragten Unternehmen bieten ihren Auszubildenden demnach frühzeitig eine Bleibeperspektive nach Ausbildungsabschluss an. 45 Prozent unterstützen die Auszubildenden mit Nachhilfeangeboten.

„Die Corona-Krise hat den Ausbildungsmarkt schwer getroffen.“

Karl-Wilhelm Steinmann, LHN-Vorsitzender

36 Prozent werben mit weiteren Zusatzqualifikationen wie etwa dem Berufsabitur, bei dem neben dem Gesellenbrief auch gleich die Fachhochschulreife erreicht wird. Und einige Betriebe finanzieren ihren Lehrlingen sogar den Führerschein, stellen ihnen Fahrräder oder Autos zur Verfügung oder unterstützen bei der Wohnungssuche.

Doch trotz aller Bemühungen ist die Lage angespannt. „Die Corona-Krise hat den Ausbildungsmarkt schwer getroffen“, stellt Steinmann fest. Die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge war 2020 um elf Prozent eingebrochen. Im Vergleich zum Vorjahr gibt es 2021 zwar ein Plus von 4,8 Prozent. „Doch wir haben noch nicht das erreicht, was wir vor der Corona-Zeit hatten. Es ist noch viel zu tun“, sagt Steinmann. Der LHN-Chef sieht Niedersachsen mit der akademischen und beruflichen Bildung grundsätzlich hervorragend aufgestellt. Die Bundesagentur für Arbeit habe aber erst kürzlich darauf hingewiesen, dass sich immer mehr junge Menschen für eine weiterführende Schule oder ein Studium entscheiden. „Es müssen deswegen größere Anstrengungen unternommen werden, um die zweite Säule zu stärken, damit keine Schieflage entsteht“, sagt Steinmann. Die LHN stellt deswegen sieben Forderungen an die Politik und die Bildungsverantwortlichen:

Berufliche Orientierung ausbauen

„Die Abbrecherzahlen im Studium, aber auch in der Ausbildung müssen reduziert werden“, sagt Steinmann. Nach Angaben der LHN liege die Abbrecherquote bei den Azubis derzeit bei elf Prozent, bei den Studierenden werden keine Zahlen dazu erhoben. Um die Quote zu reduzieren, muss aus Sicht der Handwerkskammern eine bessere berufliche Orientierung her. Von der Landesregierung fordert der LHN-Chef dazu ganz konkret die Einrichtung eines speziellen Referats zur Berufsorientierung.

Digitale Berufsorientierungsformate
verbessern

Die digitale Ideen-Expo 2021 hat im Juli zwar mehr als 70.000 Schüler, Lehrkräfte, Eltern und Unternehmen erreicht. Doch in der Breite sollten die digitalen Werkzeuge für Berufsorientierung aus Sicht der LHN noch weiter professionalisiert werden, sagen die Handwerkskammern. Dazu erforderlich seien eine leistungsfähige Breitbandanbindung, eine zeitgemäße technische Ausstattung und eine funktionierende Systemadministration, die nicht die Lehrkräfte belastet.

Zusammenarbeit mit Schulen
intensivieren

„Ausbildungsbotschafter, also junge Ausbildende, die von ihren Ausbildungsleben berichten, müssen intensiver in den Schulen eingesetzt werden“, sagt Steinmann. Die LHN schlägt vor, dass das Format vollumgänglich in die Berufsorientierung eingebunden, durch das Land finanziert und mit den Kammern organisiert werden.

Im Betrieb von Heike Pascheit betreut Ausbildungsmentor Marcel (Mitte) den derzeit einzigen Azubi Marlon. „Es ist mir eine Herzensangelegenheit, unsere Jugend und Nachfolger mit guten Impulsen in die Zukunft zu entlassen“, sagt die Geschäftsführerin der Pascheit EMG GmBH in Hannover. / Foto: Christian Wilhelm Link

Schulpraktika hervorheben

„Schulpraktika müssen wieder in vollem Umfang möglich sein“, fordert der LHN-Chef. Zudem müsse der Wert des Praktikums in seiner Bedeutung für die Berufswahlentscheidung deutlicher hervorgehoben werden. Die jüngste Umfrage habe gezeigt: 95 Prozent der befragten Betriebe schätzen Schülerpraktika zum persönlichen und praktischen Erleben einer Handwerksausbildung als wichtig ein, 70 Prozent sogar als „besonders relevant“.  „Handwerk muss erlebt werden“, betont Steinmann. 

Sprachförderung stärken

Bei vielen Auszubildenden fehlen laut den Handwerkskammern wichtige sprachlogische Kompetenzen. „Das gilt durchaus auch für Muttersprachler. Hier müssen wir mehr tun“, sagt Steinmann. „Insbesondere die berufsspezifische Sprache wird nicht so einfach bei der Ausbildung mitvermittelt“, weiß LHN-Bildungsreferent Tobias Röder. Die Sprachförderung müsse deswegen bereits vor der Ausbildung stattfinden. Vorbild für Niedersachsen könne hier Bayern sein wo es schon entsprechende Angebote gibt.

Azubi-Ticket einführen

Für Studierende gehört das Semesterticket wie selbstverständlich zum Studium dazu. Auszubildende schauen bislang jedoch in die Röhre. Die LHN fordert deswegen die Einführung eines landkreisübergreifenden Azubi-Tickets, um die Ausbildung attraktiver zu machen. Aus Sicht der Handwerkskammern reicht es nicht aus, wenn einzelne Verkehrsverbünde entsprechende Angebote machen. „Nur wenn ein Azubi-Ticket vom Wohnort zum Ausbildungsbetrieb, zur Berufsschule und zur überbetrieblichen Berufsstätte nutzbar ist, ist es ein echter Mehrwert“, sagt Steinmann.

Berufsschulen besser ausstatten

Bei der Ausbildungsförderung muss das Land mehr Geld in die Hand nehmen, fordert die LHN. Berufsschulen und überbetrieblichen Bildungsstätten müssten besser finanziert werden. „Das Kultusministerium hat an dieser Stelle erste Schritte unternommen, weiß aber auch, dass dieses erst ein Anfang sein kann“, sagt Steinmann.