Kurz vor Weihnachten ist der hannoversche Journalist Helmut Rieger nach langer Krankheit im Alter von 88 Jahren gestorben. Er hatte im letzten Viertel des vergangenen Jahrhunderts die politische Szene in Niedersachsen derart intensiv beleuchtet und beschrieben, dass er von Anhängern, Kritikern und Rivalen gleichermaßen den Titel „der am besten informierte Journalist des Landes“ verliehen bekam.

Starb kurz vor Weihnachten: Der Journalist Helmut Rieger, hier im Bild mit dem damaligen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder – Foto: Udo Heuer

1953 startete er seinen Weg bei der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ), wurde dort in den sechziger Jahren Politikchef – und wechselte dann 1970 zum Rundblick, von 1974 bis zu seinem Ruhestand Ende 1993 war er dort der verantwortliche Mann. Er fand in diesem Medium, das sich sehr stark auf detaillierte landespolitische Neuigkeiten kaprizierte, den idealen Raum für die Selbstverwirklichung. Hans-Peter Sattler, der in jener Zeit Landespolitik-Redakteur der HAZ war und später Rieger beim Rundblick als Chefredakteur folgen sollte, beschrieb Riegers Rolle einst so: „Wer mit Rieger ,konnte‘, der übersprang einige Sprossen der Karriereleiter. Andere, unbedeutende Politiker, die oftmals nur aus rein regionalen Proporzgründen ein Ministeramt ergattert hatten, erkauften sich zumindest vorübergehend Schonung, indem sie Rieger fleißig mit Informationen belieferten.“ Rieger, schrieb Sattler, habe in seinen vielen Gesprächen mit Insidern „gleichsam nebenbei vieles erfahren, was eigentlich unter der Decke hätte bleiben sollen“. Tags darauf sei die Neuigkeit in der Welt gewesen – „und jedermann rätselte, woher Rieger das wohl schon wieder habe“.


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Sattler, der den Rundblick von 1994 an führte, ist vergangenen April, kurz vor Ostern, gestorben. Nun, kurz vor Weihnachten, folgte Rieger. In einem Jahr verliert die Rundblick-Redaktion zwei ihrer markantesten und prägendsten Vertreter. Sie standen für einen Journalismus, der in vielerlei Hinsicht heute als antiquiert oder unzeitgemäß erscheinen mag – auch deshalb, weil die Taktung zwischen der Nachricht und ihrer Verbreitung viel langsamer war als heute. Der Rundblick wurde per Post auf den Weg gebracht, und das Geschriebene war mindestens ein Tag alt, wenn es der Leser konsumieren konnte.

Da aber der mediale Konkurrenzdruck und die Aufgeregtheiten im Medienbetrieb weit geringer waren als sie es heute sind, konnten Rieger und später Sattler mit ihren Botschaften immer wieder hohe Aufmerksamkeit erzielen. Auf der anderen Seite stehen die beiden aber auch für journalistische Tugenden, die sie zu Vorbildern machen im Medienbetrieb. Das gilt gerade in Zeiten, in denen die Rufe nach „Haltungsjournalismus“ in der Branche immer lauter werden – und in denen manche meinen, mit Voreingenommenheit und politischen Kampfpositionen die Wirklichkeit besser beschreiben zu können als mit sachlicher, nüchterner und gründlicher recherchierter Abbildung der Realität.

Rieger war gefürchtet und geschätzt zugleich

Helmut Rieger, das geht auch aus Sattlers Beschreibung hervor, war ein zumindest ebenso gefürchteter wie geschätzter Journalist. Einer, von denen die Politiker meinten, sie müssten sich mit ihm gutstellen, wenn sie etwas erreichen wollten. Dass heute einzelne Medien, gar einzelne Journalisten eine solche Bedeutung haben können, gilt als irreal. Die Zeitungen verlieren Auflage, die Vielfalt von Fernseh- und Rundfunkangeboten nimmt immer mehr zu, der Einfluss der Medien geht einerseits zurück.

Andererseits wird für Politiker ein mediengerechtes Auftreten immer wichtiger. Ein kleiner Fehler kann sich aufbauschen zu einem gewaltigen Skandal. Aber dann sind es weniger die Enthüllungen im kleinen Detail, die eine vernichtende Wirkung entfachen können, sondern das, was „Medienhype“ genannt wird – eine irrationale Empörungswelle. Die Überbetonung von Fehlern zu Lasten der gründlichen Analyse aber war Rieger stets zuwider. Das wohl auch deshalb, weil sein Verständnis von Journalismus es mit sich brachte, dass er die Objekte seiner Beobachtung, die Politiker und Verwaltungsbeamten, sehr genau kannte. Mag er noch so gefürchtet gewesen sein – am Ende konnte Rieger seine Aufgabe nur wahrnehmen, weil die Informanten ihm auch vertrauten und wussten, dass er die Fakten richtig einordnen und bewerten konnte.

Einmal geriet auch Rieger in Versuchung

Wenn es also eine Lehre aus dem Wirken Riegers (und auch Sattlers) geben kann, dann diese: Guter Journalismus ist nur möglich, wenn der Journalist mit den ihm anvertrauten Informationen höchst verantwortungsbewusst umgeht. Wenn ihm klar ist, dass Verzerrungen Karrieren beenden und politische Abläufe prägen können. Genau das aber, die Einwirkung auf das Geschehen, hat der Journalist tunlichst zu vermeiden. Er ist ein Zeitzeuge und Beobachter, kein Mitgestalter – und schon gar keiner, der sich an politischen Inszenierungen beteiligt.

An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass Helmut Rieger mehr als einmal in Versuchung geraten ist. In seinem 1995 erschienenen Buch „Alles hat seine Zeit“, das auch autobiographische Züge hat, schildert er mehrere Versuche der SPD, vor allem aber der CDU, ihn für politische Aufgaben abzuwerben – als Chefredakteur der damals SPD-nahen „Hannoverschen Presse“ oder auch als CDU-Generalsekretär. Rieger sagte in beiden Fällen nicht gleich nein, sondern ließ sich auf Vertragsverhandlungen ein.

Einige Zeitzeugen wissen auch von Szenen zu berichten, in denen die landespolitische Lage höchst heikel war und Rieger bei politischen Strategiegesprächen dabei war, in denen die Anwesenheit von Journalisten eigentlich tabu sein sollte. Solchen Verlockungen war er immer wieder ausgesetzt. Etwa vor der Landtagswahl 1970, als die CDU mit der scharfen Abgrenzung gegenüber Überläufern aus der NPD haderte. 1994 leitete er ein Gutachtergremium zur Verwaltungsreform, zog sich aber zurück, als er spürte, wie wenig ernsthaft der Wille der Regierenden in dieser Sache war.

Eine Schlüsselposition kam Rieger 1976 zu, als dem SPD-Ministerpräsidentenkandidaten Helmut Kasimier in geheimer Wahl im Landtag drei Stimmen der SPD/FDP-Koalition fehlten. Waren es wegen der Gebietsreform enttäuschte SPD-Politiker? Oder doch Abgeordnete der FDP, denen die CDU später finanziell aus der Patsche half? Rieger, meinen viele, hat die Namen gekannt – aber er hat geschwiegen und nimmt sein Wissen nun mit in sein Grab. Der Fall wird wohl ewig ungeklärt bleiben.

Wer mit Rieger ,konnte‘, der übersprang einige Sprossen der Karriereleiter. Andere, unbedeutende Politiker, die oftmals nur aus rein regionalen Proporzgründen ein Ministeramt ergattert hatten, erkauften sich zumindest vorübergehend Schonung, indem sie Rieger fleißig mit Informationen belieferten.

Viele große Landespolitiker hatten ein sehr enges Verhältnis zu ihm, das gilt etwa für den CDU-Landesvorsitzenden Wilfried Hasselmann und den sozialdemokratischen Kultusminister und Vordenker der SPD-Linken, Peter von Oertzen. In einem Gespräch von vor gut zwei Jahren sagte Rieger, er schätze all jene, für die Politik und Machtstreben nicht das einzige und das wichtigste waren – sondern für die es immer auch um die politischen Inhalte und die Gestaltung der Gesellschaft gegangen sei. Er nannte von Oertzen und die einstige SPD-Schatzmeisterin Inge Wettig-Danielmeier. Rieger, der zeitlebens um seine Person nie großes Aufheben gemacht hat, sondern lieber im Hintergrund blieb, gehörte auch zu denen. Verlag und Redaktion des Politikjournals Rundblick werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren.


Die Beerdigung findet statt am Mittwoch, 8. Januar, um 13 Uhr in der Kapelle des Stadtfriedhofs Stöcken, Stöckener Straße 68, 30419 Hannover.