Insgesamt 2481 Fälle von Clan-Kriminalität wurden 2021 in Niedersachsen erfasst – die meisten in Oldenburg. | Foto: GettyImages/Matto Matteo

Vermehrte Fälle von Clan-Kriminalität stellen Niedersachsens Strafverfolgungsbehörden vor neue Herausforderungen. So stiegen die Fallzahlen 2021 fast um die Hälfte an. Den Anstieg begründeten Polizei und Justiz unter anderem mit häufigeren, niedrigschwelligen Kontrollen. Für eine noch effektivere Strafverfolgung brauche es zeitgemäße Ermittlungsmethoden, zu denen auch ein leichterer Zugriff auf Verkehrsdaten gehöre, betonte gestern Justizministerin Barbara Havliza bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Innenministerium. Insbesondere die kurzfristige Speicherung von IP-Adressen ist aus Sicht von Havliza längst überfällig. „Die Ermittler benötigen mehr Befugnisse. Das, was geht, muss uns auch möglich gemacht werden. Mir fehlt das Verständnis für das lange Zögern in Deutschland“, sagte Havliza. Rückendeckung bekam sie dabei von Innenminister Boris Pistorius: „Wir brauchen Zugriff auf die IP-Adressen. Dafür ist auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Darüber wird in den nächsten Monaten viel zu reden sein.“

Auffällig ist doch, dass die Clans laut Angaben der Ministerien kaum Delikte der Organisierten Kriminalität begehen sollen. Da ist zu vermuten, dass das den Behörden einfach nicht bekannt ist.

Marco Genthe, innenpolitischer Sprecher der FDP

Von mehr als 472.000 Straftaten gingen insgesamt 2841 klar auf Clan-Kriminalität zurück, das entspricht einem Anteil von 0,6 Prozent. Richtungsweisend sei das Anfang dieses Jahres aktualisierte „Landesrahmenkonzept zur Bekämpfung krimineller Clanstrukturen in Niedersachsen“, erklärte die Ministerin. Einen entscheidenden Beitrag im Kampf gegen Clan-Kriminalität leisteten zudem die neu eingerichteten Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften in Braunschweig, Hildesheim, Stade und Osnabrück. In Niedersachsen gäbe es Schätzungen zu Folge einige wenige hundert Clans, wobei die genaue Zahl nicht bekannt, aber auch nicht aussagekräftig sei, so Pistorius. „Das ändert nichts am Lagebild. Zumal die Dunkelziffer bei Fällen von Clan-Kriminalität, so wie bei Straftaten von häuslicher Gewalt oder sexuellen Übergriffen, deutlich höher sein dürfe.“ Der innenpolitische Sprecher der FDP Niedersachsen, Marco Genthe, bezeichnete es später in einer Pressemitteilung als „beschämend“, dass keine genauen Zahlen bekannt seien. „Auffällig ist doch, dass die Clans laut Angaben der Ministerien kaum Delikte der Organisierten Kriminalität begehen sollen. Da ist zu vermuten, dass das den Behörden einfach nicht bekannt ist.“ 

Die Einschränkung von Mobilität ist ein wichtiger Baustein zur Bekämpfung von Clan-Kriminalität.

Axel Brockmann, Landespolizeipräsident

Eine Herausforderung für die Ermittler: Die Clan-Kriminalität umfasst nahezu sämtliche Deliktsarten, von Diebstählen bis hin zu Fälschungsdelikten. In etwa jedem dritten Fall handelte es sich um sogenannte Rohheitsdelikte, unter die Körperverletzungen, Raubdelikte und weitere Straftaten gegen die persönliche Freiheit fallen. Gerade den Verkehrskontrollen komme eine besondere Bedeutung zu, so Landespolizeipräsident Axel Brockmann. „Die Einschränkung von Mobilität ist ein wichtiger Baustein zur Bekämpfung von Clan-Kriminalität“, sagte Brockmann. Gerade das Auto sei oft Statussymbol und bringe die Haltung zum Ausdruck: „Wir stehen über dem Gesetz.“ In dieses Bild passt auch die Zunahme von massiven Anfeindungen und Gewalt gegen Polizeibeamte – auch abseits des Dienstes. So sei beispielsweise ein Beamter bei seinem Abendspaziergang von zwei maskierten Männern bedroht worden. Die mutmaßlichen Täter seien inzwischen identifiziert worden, die Ermittlungen dauerten an, schilderte Brockmann aus der Praxis. 

Auffällig im Ausmaß von Clan-Kriminalität sind insbesondere die regionalen Unterschiede. So hat sich die Anzahl der Fälle in Oldenburg mehr als verdoppelt. „Dort gibt es insbesondere viele Fälle aus dem Bereich der Betäubungsmittelkriminalität“, sagte Landespolizeipräsident Axel Brockmann. Die wenigsten Fälle gab es 2021 in Braunschweig. Brennpunkte waren insbesondere die Region Hannover, Osnabrück, Göttingen und die Landkreise rund um Bremen. Die Tatverdächtigen sind zum Großteil männlich, zwischen 18 und 40 Jahre alt und überwiegend in Deutschland geboren. Zudem dominieren Täter mit türkischer, rumänischer, libanesischer oder syrischer Staatsangehörigkeit. Die Erfassung der Nationalitäten geht dem stellvertretenden Vorsitzenden der CDU-Landtagsfraktion Uwe Schünemann noch nicht weit genug. Nur wenn man die Familienstrukturen, Ethnien und Motive dahinter „schonungslos umfassend“ analysiere, könne die Clan-Kriminalität auch wirksam bekämpft werden.