Niedersachsens Justizministerin Barbara Havliza (CDU) ist besorgt wegen der Zunahme von Anfeindungen gegen Amtsträger, Sicherheitskräfte und auch ehrenamtliche Mandatsträger. „Wir hatten in der Bundesrepublik schon öfter Situationen, in denen Aggressivität und Gewaltbereitschaft stärker ausgeprägt waren. Das gilt beispielsweise für die siebziger Jahre und das Wirken der RAF. Heute zeigt sich, dass Verschwörungstheorien und starke Ablehnung der staatlichen Institutionen wie ein wabernder Schleim durch die Bevölkerung ziehen. Viele Menschen haben Sorgen und Ängste, einige von ihnen suchen einfache Antworten und fallen auf extremistisches Gedankengut herein“, sagte die CDU-Politikerin im Podcast mit Rundblick-Redakteur Niklas Kleinwächter.

Justizministerin Barbara Havliza im Gespräch mit Rundblick-Redakteur Niklas Kleinwächter | Foto: Link

Ausdrücklich empfiehlt sie allen Amtsträgern, Hilfskräften und auch ehrenamtlichen Kommunalpolitikern, die angefeindet, angegriffen und beleidigt werden, diese Vorgänge ernst zu nehmen. „Viele schlucken das herunter und denken, es gehöre zum öffentlichen Amt dazu, beschimpft und attackiert zu werden. Sie merken dann erst im Nachhinein, wie psychisch belastend die Situation ist. Viele ehrenamtliche Kräfte halten das auf Dauer nicht aus – wollen ihre Familien und sich schützen und ziehen sich aus der Öffentlichkeit zurück. Das ist aber der falsche Weg.“

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Havliza fordert dazu auf, Anfeindungen der Polizei zu melden. „Die Ordnungskräfte können nur das verfolgen, von dem sie wissen, dass es geschehen ist.“ Die drei niedersächsischen Generalstaatsanwaltschaften haben eine Richtlinie erarbeitet, aus der klar wird, dass Verfahren wegen Beleidigung oder Bedrohung von Amtsträgern oder auch wegen antisemitischer Äußerungen nicht wegen Geringfügigkeit eingestellt werden sollen, sondern eine Aufarbeitung geschehen soll. In Göttingen ist eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft gebildet worden, die sich vor allem um Hass und Hetze im Netz kümmert und Täter verfolgt, die dort häufig anonym unterwegs sind.

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Seit 1. Juli 2020 habe es hier schon 560  Verfahren gegeben, die teilweise mit Strafbefehlen und Verurteilungen endeten. Die Justiz müsse aber erkennen, dass sie ohne erweiterte technische Möglichkeiten der Strafverfolgung an Grenzen stoße. Die „Verkehrsdatenspeicherung“ könne es erlauben, an die Hintermänner anonymer Angriffe im Netz zu gelangen – wenn man die Anbieter dazu bringen könne, die Daten länger als sieben Tage zu speichern. Bisher habe sich der Europäische Gerichtshof im Hinblick auf die deutschen Regelungen hierzu noch nicht klar geäußert, eine Festlegung sei aber zwingend. Solange der Staat hier nicht handlungsfähiger werde und die Gerichte härtere Mittel nicht erlaubten, fühlten sich die anonymen Akteure im Netz sicher.

„Ich rate allen: Behaltet Eure Erfahrungen nicht für Euch, redet darüber, holt Euch Unterstützung und Hilfe.“

Allen Amts- und Funktionsträgern, auch den Mitarbeitern von Rettungsdiensten, Feuerwehren und Ordnungsdiensten rät Havliza, einerseits vorsichtig zu bleiben, auf Aggressionen vorbereitet zu sein und Strategien der Deeskalation zu beherrschen. Falsch sei es hingegen, sich aus Angst vor Anfeindungen abzuschotten. „Ich rate allen: Behaltet Eure Erfahrungen nicht für Euch, redet darüber, holt Euch Unterstützung und Hilfe“, betont die Ministerin. Sie hoffe auch auf „eine Welle der Zivilcourage“.

Wenn im Kollegengespräch, an der Theke oder in einer Gruppe einige plötzlich Hassparolen und Hetze verbreiteten, solle es immer jemanden geben, der solche Aussagen unterbricht, nach den Gründen für den Radikalismus fragt oder klar widerspricht. „Nur, wenn das gewährleistet ist, fühlen sich auch Kommunalpolitiker in ihrem Wirken hinreichend unterstützt von einem Großteil der Bevölkerung“, betont die CDU-Politikerin. Was die Mitarbeiter im Justizdienst des Landes anbelangt, wurden im vergangenen Jahr 188 Übergriffe festgestellt.

Die Justizministerin richtet in diesem Zusammenhang noch einen Wunsch an das Bundesverfassungsgericht: Wenn man die Rechtsprechung des höchsten deutschen Gerichts in den vergangenen Jahren betrachte, falle auf, dass sich die Abwägung zwischen verbotener Beleidigung und erlaubter freier Meinungsäußerung stark zugunsten der freien Meinungsäußerung verschoben habe. Deren Grenzen seien „unglaublich weit gezogen worden“. Sie würde sich wünschen, dass das Bundesverfassungsgericht auch mal die Haltepunkte neu definiere und den Gerichten dadurch mehr Sicherheit gebe, bei Beleidigungen sachgerechte Entscheidungen zu treffen.