Im Schatten des aufkommenden Bundestags- und Kommunalwahlkampfs spitzt sich in Niedersachsen eine wissenschaftliche Auseinandersetzung über die richtige Finanz- und Wirtschaftspolitik zu. Vor wenigen Tagen hatte Finanzminister Reinhold Hilbers (CDU) den früheren Chefvolkswirt des Bundesfinanzministeriums, Ludger Schuknecht, zu einer Diskussionsveranstaltung eingeladen. Beide warnten vor unbeherrschbarer Staatsverschuldung und einer überbordenden Aktivität des Staates. Vor allem nach der Ende der Corona-Krise, die eine hohe Kreditaufnahme von Bund und Ländern erforderlich macht, werde ein Umsteuern unausweichlich sein, meinte Schuknecht – und Hilbers unterstützte dessen Position ausdrücklich.

Keynes-Gesellschaft hält Schuknecht-Thesen für „unbewiesen und unplausibel“ – Foto: TomPhotos/GettyImages

Nun hat die seit Jahren in Niedersachsen sehr rege Keynes-Gesellschaft, die das Gegenstück einer betont nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik vertritt, auf die Veröffentlichung von Schuknechts Thesen im Politikjournal Rundblick reagiert. Arno Brandt (Lüneburg) und Torsten Windels (Hannover) von der Keynes-Gesellschaft werfen Hilbers und Schuknecht vor, falsche Vorbilder und hinkende Vergleiche zu wählen.

Replik auf Thesen des Ökonomen Schuknecht

In einer längeren Abhandlung bewerten Brandt und Windels die im Politikjournal Rundblick erläuterten Schuknecht-Thesen. Das fängt an mit der Haltung, eine hohe Staatsquote (also ein hoher Anteil staatlicher Ausgaben am Bruttoinlandsprodukt) behindere das kreative Unternehmertum. Die beiden Keynes-Anhänger meinen, das sei „unbewiesen und unplausibel“. Skandinavische Länder etwa hätten eine hohe Staatsquote, ohne dass dort Wachstumsprobleme sichtbar seien. Unter den Ländern mit niedriger Staatsquote seien dynamische Volkswirtschaften wie Irland und Australien, aber auch schwache wie Japan. Schweden und Österreich hätten sowohl hohe Staatsquoten als auch hohe Zuwachsraten beim Bruttoinlandsprodukt – maßgeblich sei ein Mix aus Wirtschaftsstruktur, Kultur, industriellen Beziehungen und staatlichen Institutionen.

Der Ökonom Dani Rodrik habe ermittelt, dass man die größten und stärksten Staatsapparate in den fortgeschrittensten Ländern finde. Dass Schuknecht nun Südkorea als beispielhaft hinstelle, sei „mehr als problematisch“, denn das Land sei erst seit Ende der achtziger Jahre demokratisch geprägt, jahrelang zuvor habe eine „autoritäre, zielgerichtete Staatslenkung“ den Sprung zum höheren Wachstum bewirkt. Zweifel hegen Brandt und Windels auch an Schuknechts Aussage, in Südkorea mit dem geringeren Staatssektor sei die Einkommensverteilung ähnlich der in Deutschland. Tatsächlich seien die obersten zehn Prozent in Südkorea erheblich reicher als hierzulande – im Vergleich zu den Einkommen der untersten zehn Prozent.

Sozialpolitik nur für „wirklich Bedürftige“?

Ablehnend steht die Keynes-Gesellschaft auch der Empfehlung von Schuknecht gegenüber, die Sozialpolitik solle sich wie in Südkorea nur auf die „wirklich Bedürftigen“ beziehen. Das zweifelten sie an, sagen Brandt und Windels, denn nach OECD-Angaben liege in Südkorea der Anteil der Menschen über 65, die unter der Armutsgrenze liegen, bei 43,4 Prozent (Wert von 2018), in Deutschland hingegen bei zehn Prozent (Wert von 2017). Sie zitieren zudem den Ökonomen Joseph Stiglitz, der die Haltung vertritt, soziale Sicherheit habe einen wachstumsfördernden Effekt, da die Menschen riskanter seien, wenn sie sich auf ein soziales Netz verlassen könnten, das sie im Ernstfall auffange.

Die vor allem von Hilbers stets wiederholte Mahnung, Staatsschulden müssten irgendwann zurückgezahlt werden, teilen Brandt und Windels ebenfalls nicht. Sie entgegnen, Staaten seien auf Dauer angelegt, Anleihen liefen irgendwann aus – der Staat könne aber neue Anleihen ausgeben. Fremdkapital sei nötig, um die Startbedingungen für Investitionen zu ermöglichen. So baue die Wirtschaft darauf, dass die Infrastruktur ausreichend vorhanden sei und öffentliche Institutionen (etwa für Bildung) funktionieren, damit die Voraussetzungen für erfolgreiches wirtschaftliches Handeln gewährleistet sind. Langsam setze sich die Erkenntnis durch, so meinen die beiden Keynes-Anhänger, dass man nicht allein auf Selbstorganisationskräfte des Marktes setzen könne.

Payandeh fordert mehr Investitionen:

Der DGB-Landesvorsitzende Mehrdad Payandeh hat kurz nach Veröffentlichung der Thesen von Brandt und Windels noch einmal dazu aufgerufen, die Niedrigzinsphase zu nutzen und jahrzehntelang aufgeschobene Infrastruktur-Investitionen jetzt zügig nachzuholen. „Die anderen Länder um uns herum tun das, sie verbessern damit die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Wirtschaft – und bei uns in Deutschland wird über die Schuldenbremse gesprochen. Das passt nicht zusammen“, sagte Payandeh im Rundblick-Podcast mit Martin Brüning.

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Der Begriff „Schulden“ lege die Assoziation zu, es gehe um Schuld oder Sünde. Da hier aber von Krediten die Rede ist, die für Investitionen dienen und nicht verschwendet würden, sei daran nichts Verwerfliches. Der Staat solle gerade jetzt investieren, da sich andere Marktteilnehmer in der Krise zurückhielten. „Wenn sich aber alle zurückhalten und auf die anderen warten, passiert nichts und wir sinken in eine Depression“, betonte Payandeh. Er regt an, einen „Niedersachsens-Fonds“ zu schaffen, der eigenständig Kredite aufnehmen und für landesbezogene oder kommunale Investitionen einsetzen kann. „Das schafft die Möglichkeit, unabhängig vom Zyklus der Wahlperioden größere Vorhaben anzuschieben.“

Von Klaus Wallbaum