Das Bürgerhaus in Hannover-Misburg, ein Betonbau im Charme der sechziger Jahre, ist bis auf den letzten Platz gefüllt, die Luft drinnen könnte stickiger nicht sein. Der AfD-Landesverband Niedersachsen hat zur Mitglieder-Vollversammlung geladen, damit die Landesliste für die Bundestagswahl aufgestellt werden kann. Rund 2300 Niedersachsen gehören dieser Partei an, und nach Misburg kommen 420 von ihnen – das sind fast 20 Prozent, eine gute Beteiligung angesichts der Tatsache, dass Niedersachsen ein großes Flächenland ist. Viel war im Vorfeld dieses Treffens am zurückliegenden Wochenende spekuliert worden. Kommt es zur Spaltung der Partei, zu einem großen Schlagabtausch und Kräftemessen, womöglich gar zu einem lähmenden Wirrwarr um Satzungs- und Geschäftsordnungsfragen?

Das Podium: Parteitag der niedersächsischen AfD in Hannover  -  Foto: KW

Das Podium: Parteitag der niedersächsischen AfD in Hannover – Foto: KW

Nichts von alledem passiert, alles läuft geordnet ab. Dabei hätte die Dramatik kurz vor dem Treffen nicht größer sein können. Mittwoch sagt das Landesschiedsgericht den Termin für Sonnabend ab, Freitag kippt das Bundesschiedsgericht das wieder, begleitet wird das von wüsten E-Mails, gegenseitigen Beschimpfungen und Unterstellungen. Das hätte Begleitmusik für eine Entscheidungsschlacht sein können. Doch das Lager der Kritiker des umstrittenen Landesvorsitzenden Armin Paul Hampel (59) erscheint an diesem Wochenende plötzlich enorm geschwächt. Wortführer der Kreisvorstände aus Osterholz, Stade, Göttingen und Ostfriesland  sind gar nicht erst erschienen – viele von ihnen deshalb, weil das kontraproduktiv für ihre Argumentation gewesen wäre. Wenn man meint, viele Mitglieder seien wegen des Satzungsstreits von einer sicheren Absage ausgegangen und hätten deshalb ihre Hotels zur Wochenmitte storniert, dann kann man eben schlecht trotzdem beim Parteitag auftrumpfen wollen. Andere von Hampels Gegnern sind doch nach Misburg gekommen. Aber sie bleiben an diesem Wochenende in der klaren Minderheit und werden am Ende Opfer der vorherrschenden Machtverhältnisse. Jens Krause aus dem Kreis Harburg, den viele Hampel-Kritiker für ihren stärksten Vertreter halten, versucht vorsichtig einen letzten Versöhnungsversuch und kandidiert für Platz drei. Würde Hampel  ihm aus der Position der Stärke heraus die Hand reichen und seine Kandidatur unterstützen? Krause scheitert deutlich, schafft es unter fünf Bewerbern nicht mal in die Stichwahl. Der Friedensschluss fällt aus.

Die Delegierten: Parteitag der niedersächsischen AfD in Hannover  -  Foto: KW

Die Delegierten: Parteitag der niedersächsischen AfD in Hannover – Foto: KW

Das Hampel-Lager drückt hier, in der Heimat des ohnehin Hampel-treuen Kreisverbandes Hannover, seine Leute gnadenlos durch. Anfangs stellt noch Gerhard Vierfuß aus dem Ammerland den Antrag, wegen formaler Mängel die Versammlung zu verschieben. Doch er kann nicht mal ausreden, erntet „Aufhören, aufhören“-Zwischenrufe und zieht anschließend gerade mal 30 Stimmen auf seine Seite. Die überwältigende Mehrheit aber will von Satzungsbedenken nichts hören. Dann spricht Gastredner Alexander Gauland aus Brandenburg, auch ein Hampel-Anhänger, und heizt kräftig ein: Man solle „auch künftig Mohrenköpfe kaufen können“ und „den Zigeuner-Baron im Theater ansehen und nicht den Sinti-Fürsten“. Donnernder Applaus ertönt, solche Wahlkampfsprüche sind hier jetzt also gefragt. Als sich wenig später Hampel bei der Wahl des Spitzenkandidaten vorstellt, zieht er einen großen Bogen mit viel Pathos und markigen Worten. Der frühere ARD-Journalist erzählt, wie er 1990 Helmut Kohl nach Moskau begleiten durfte und der damalige Kanzler im Flugzeug – über Ostpreußen, der Heimat seiner Mutter – auf Deutschlands Einheit angestoßen habe. „Lassen Sie uns einen deutschen Traum träumen“, ruft Hampel in den Saal und schwört die Zuhörer förmlich auf eine große politische Kehrtwende ein. Die Leute stehen auf und applaudieren begeistert. Man könnte fast meinen, als sei Hampel damals nicht als begleitender Journalist, sondern als gestaltender Minister in Kohls Umfeld aktiv gewesen. Später dann, als Hampel auf die Antifa-Demonstranten schimpft, die vor der Tür stehen und denen man „eine Phalanx von AfD-Männern gegenüberstellen“ solle, erregt er wieder kräftigen Beifall. Zackig, laut und überaus selbstbewusst – oft auch im Befehlston: So trifft Hampel den Nerv seiner Zuhörer.

AfD-Spitzenkandidat Armin Paul Hampel  -  Foto: KW

AfD-Spitzenkandidat Armin Paul Hampel – Foto: KW

Dabei fallen schon ein paar kritische Sätze, wenn auch nur vereinzelt. Zwei von vornherein aussichtslose Gegenkandidaten treten für Platz eins der Landesliste gegen Hampel an, und der eine,  Kurt-Dieter Presche (78) aus Harburg, hat einen großväterlichen Rat an den Vorsitzenden: „Es ist nicht richtig, die Leute mit Verschwörungstheorien kaltzustellen. Das werden Sie sich, Herr Hampel, auch im stillen Kämmerlein eingestehen“, mahnt er. Presches Vorwurf hat sogar einen höchstaktuellen Anlass: Hampel war kurz vorher ans Mikrophon getreten und hatte voller Empörung berichtet, die Wahlurnen seien „plötzlich verschwunden“ – und der Vorsitzende machte dafür Leute verantwortlich, die die Partei „zerstören“ wollten. Tatsächlich, stellte sich nach einer halben Stunde heraus, waren die Wahlurnen doch da – die Zählkommission hatte sie wohl nur nicht auf Anhieb gefunden.

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Die Mitglieder aber verzeihen Hampel den Fauxpas mit den Wahlurnen – wie sie überhaupt so einiges hinnehmen, das an anderen Tagen vielleicht hinterfragt worden wäre. Hinter dem hannoverschen Diplomingenieur und Unternehmer Jörn König, der nach Hampel auf Platz zwei nominiert wird, tritt für Position drei der frühere Bundeswehr-Pilot Thomas Ehrhorn aus Celle an, der unverhohlen in der Zuwanderung „den Fortbestand der Nation“ gefährdet sieht und im Bundestag „die mediale Volksverdummung entlarven“ will. Hier im Saal sitzen überwiegend Männer, grauhaarige zudem, und die meisten fühlen sich wie im Kampf um die Rückkehr zur guten alten Zeit. Doch Ehrhorns extremistischer Zungenschlag hätte sonst vielleicht sogar hier eine Debatte entfacht. Heute aber werden sie widerspruchslos hingenommen. Dafür fragt man Kandidaten, die zu ihren privaten Verhältnissen nichts gesagt haben, ausdrücklich, warum sie denn keine Kinder hätten. Und sehr gern wird über die Vergangenheit bei der Bundeswehr oder bei Burschenschaften an Universitäten geredet. Das schafft Zusammenhalt an diesem Wochenende.

Dabei gibt es schon einige, die darüber nachdenken, ob die Aufstellung der Landesliste in den kommenden Wochen nicht angefochten werden könnte. Die Landeswahlleiterin Ulrike Sachs hat mitgeteilt, dass sie nur die wahlrechtlichen Vorgaben prüfen wird – und die sind keinesfalls so detailgenau wie das Satzungsrecht der AfD. Aber ein paar formale Mängel könnte es schon geben: Dass die Kandidaten sich sieben Minuten lang vorstellen durften, nicht zehn, wie eigentlich vorgegeben. Dass kurz vor den Abstimmungen Siegfried Reichert aus Hannover-Lehrte in einem eigens für ihn hinzugefügten Tagesordnungspunkt nach vorn ging und den Mitgliedern ins Gewissen redete, sie sollten bloß niemand wählen, der womöglich die AfD von innen zerstören wolle. Oder dass das Tagungspräsidium allen Kandidaten ein polizeiliches Führungszeugnis abverlangen wollte, obwohl das doch gar nicht so vorgeschrieben ist. Ob etwas von diesen Merkwürdigkeiten so schwerwiegend sein kann, dass der Landeswahlausschuss am Ende der AfD Niedersachsen die Zulassung zur Bundestagswahl verwehren wird? Erst in ein paar Monaten wird man es wissen. (kw)