Gerade erleben wir praktizierte Medienpluralität in Niedersachsen: Die landespolitisch Interessierten haben seit gestern die Wahl, welcher von zwei brandaktuellen Umfragen sie eher glauben wollen – ist es die von Infratest Dimap, vom NDR präsentiert, oder die von Forsa, die mehrere niedersächsische Zeitungsverlage gemeinsam in Auftrag gegeben haben? Die Unterschiede in den Ergebnissen sind nicht groß. Sie sind eher klein, aber nicht unbedeutend. Beim NDR baut die SPD ihren Vorsprung gegenüber der CDU auf vier Prozentpunkte aus, bei den Zeitungsverlagen verknappt sich dieser Vorsprung um einen auf drei Prozentpunkte. Beim NDR büßen die Grünen drei Prozentpunkte ein, bei den Zeitungsverlagen bleiben sie stabil bei 22 Prozent.

Wer gewinnt dazu? Wer verliert in der Wählergunst? | Foto: Gettyimages/bortonia

Das sind ja nur Umfragen, und die sind nicht weiter wichtig? Weit gefehlt. Umfragen sind für die Wahlkämpfer eine Droge, ein Aufputschmittel (oder, wenn sie nichts Gutes verheißen, ein Medikament mit lähmenden Nebenwirkungen). So betrachtet, sind beide Umfragen trotz ihrer Unterschiede im Detail für SPD und CDU fünf Wochen vor dem Wahltag eine schlechte Nachricht. Für die CDU deshalb, weil ihr Spitzenkandidat Bernd Althusmann dringend Rückenwind bräuchte, damit auch intern die Skeptiker ruhig gestellt werden. Kann er es schaffen, den viel populäreren Stephan Weil zu überholen? Bisher sieht es nicht so aus, und das kann die Stimmung der CDU vermiesen.

Für die SPD sind diese Umfragen auch alles andere als gut. Würde die SPD in den Umfragen stark verlieren, so könnte das in Berlin als Alarmsignal verstanden werden und der dortigen SPD in den energiepolitischen Entscheidungen Dampf machen. So aber werden alle sagen: „Wozu die Aufregung? Stephan Weil liegt doch vorn!“ Und noch dazu: Alles spricht doch für Rot-Grün, zumal der Grünen-Spitzenkandidat Christian Meyer keine Gelegenheit auslässt, in den sozialen Medien über Schwarz-Grün herzuziehen. Der Druck, den die Niedersachsen-SPD gern bei den Genossen in Berlin entfalten möchte, wird durch diese Perspektive jedenfalls nicht verstärkt.

Bei Infratest Dimap gewinnt die SPD und kommt auf 31 Prozent, bei Forsa sackt sie unter die 30er Marke | Quelle: NDR / Infratest dimap

Kommt es denn vermutlich auch so, wie die Umfragen es vorhersagen? Da soll man sich nicht täuschen. Nichts gegen Infratest Dimap und Forsa, das sind langjährige und erfahrene Demoskopen, die schon deshalb eine gewisse Glaubwürdigkeit mitbringen, weil sie auch einen Ruf zu verteidigen haben. Und doch können sie nur eine Aussage wirklich abbilden: Was würden die Menschen, die sie fragen, wirklich ankreuzen, wenn sie jetzt ankreuzen müssten? Tatsächlich müssen sie aber gar nicht ankreuzen, sie können am Wahltag auch wegbleiben – aus Zweifel, aus Zorn oder auch weil sie denken, das Ergebnis werde sowieso schon ihren Erwartungen entsprechen.

Am Wahltag nämlich, am 9. Oktober, müssen die CDU-Anhänger morgens aufstehen und sagen: Ich wünsche mir Bernd Althusmann als neuen Ministerpräsidenten – und das für Schwarz-Grün. Nur: Sind denn die Christdemokraten schon für eine solche Machtperspektive bereit, und sind es die Grünen auch? Wenn die Bürger keine Chance für einen Regierungswechsel sehen, könnte es mit der Motivation für den Gang zum Wahllokal schwer werden. Am 9. Oktober müssen auch die SPD-Anhänger morgens aufstehen und sagen: Ich wünsche mir Stephan Weil weiter im Amt, trotz seines bald zehnjährigen Amtsjubiläums.



Nur: Was gibt ihnen die Sicherheit, dass die Weil-SPD an der Macht eine andere ist als die Olaf Scholz-SPD, zumal der Kanzler gerade mehrfach seine mangelhaften Fähigkeiten beweist und sich an die schlimmsten seiner Fehler später gar nicht mehr erinnern kann? Immerhin stehen doch Weil und Scholz in vielen Veranstaltungen derzeit Seit‘ an Seit‘ wie gute Freunde nebeneinander. Und die Grünen-Wähler? Können Sie sicher sein, dass die von ihnen gewählten Politiker wirklich unvoreingenommen die rot-grüne wie die schwarz-grüne Option prüfen werden – oder wählen sie am Ende doch nur Leute, denen die rot-grüne Befindlichkeit der Jahre 2013 bis 2017 als politische Zielvorstellung genügt?

Zum Abschluss noch ein Rat an den NDR: In seiner Umfrage sinken die Grünen auf 19 Prozent ab, liegen also unterhalb von 20 Prozent. Ob der NDR das als Grundlage für seine bevorstehende Entscheidung nimmt, doch nur ein Duell Weil-Althusmann zuzulassen und kein Triell Weil-Althusmann-Hamburg? Der Sender wäre gut beraten, alle drei einzuladen. Nur mal so ein Tipp von außen…