Kultusminister Grant Hendrik Tonne erklärt, auf welchem Stand er die niedersächsischen Schulen im Prozess der Digitalisierung sieht, wie die Lehrer für die Digitalisierung begeistert werden können, und welche Hausaufgaben Land und Bund jetzt erledigen müssen. Mit dem SPD-Politiker sprach Martin Brüning.

Rundblick: Wenn man sich den Digitalisierungsgrad der Schulen in Niedersachsen anschaut, wo stehen wir aktuell auf einer Skala zwischen 1.0 und 4.0?

Tonne: Das ist landesweit sehr unterschiedlich. Wir haben viele spannende Projekte, bei denen sich Schulen auf den Weg gemacht haben. Und es gibt Schulen, bei denen es aus unterschiedlichsten Gründen noch schwierig ist. Das betrifft häufig den ländlichen Raum, wo es einfach am nötigen Anschluss fehlt. Die Digitalisierung entwickelt sich in einem Tempo, das uns durchaus vor Herausforderungen in der Umsetzung stellt. Wir brauchen jetzt zum Beispiel eine klare Verständigung mit den kommunalen Spitzenverbänden darüber, wie die Ausstattung der Schulen aussehen soll und wie diese halbwegs einheitlich gestaltet werden kann. Da muss es ein Mindestlevel geben. Vor kurzem wollte ein Träger einer kleinen Schule einen Computerraum einrichten. Das war 1995 bestimmt eine sehr gute Idee – aber nicht mehr für das Jahr 2018.

Rundblick: Braucht man denn 2018 keinen Computerraum mehr?

Tonne: Es geht ja nicht mehr darum, die digitalen Geräte zu separieren, sondern sie in den Unterricht zu implementieren. Deshalb müssen wir über Cloudlösungen und eine sinnvolle Nutzung von mobilen Endgeräten sprechen. Dabei liegt die Betonung auf sinnvoll. Nicht alles im Unterricht muss sich um die Geräte drehen.

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Rundblick: „Bring your own device” lautet dabei häufig das Zauberwort, also: Bring Dein eigenes Gerät mit. Stellt das aber nicht Eltern, die sich kein angemessenes Smartphone oder Tablet leisten können, vor neue Probleme?

Tonne: Auch diese Frage wird man jetzt beantworten müssen. Wir brauchen einen Mechanismus, durch den Chancengleichheit und Teilhabe bei der Ausstattung gewahrt bleiben. Es muss für die Eltern leistbar und machbar sein. Wir haben solche Systeme bereits heute schon, zum Beispiel bei Schulbüchern. Warum sollte es dieselben Möglichkeiten nicht auch bei den mobilen Endgeräten geben? Und es können natürlich durch die Nutzung mobiler Endgeräte auch Kosten wegfallen, zum Beispiel für Schulbücher oder für die teuren Taschenrechner. Komplizierte Rechnungen gehen auch auf einer App auf dem Smartphone.

Rundblick: Damit es überhaupt soweit kommt, braucht es die entsprechenden Vorbereitungen bei Land und Bund. Was sind die nächsten Schritte?

Tonne: Wir dürfen uns nichts vormachen: Das Thema digitales Lernen ist ein riesiges Rad, das wir drehen müssen. Und jedem ist klar, dass im Jahr 2019 nicht einfach alles fertig ist und läuft. Jetzt geht es darum, zu klären, wer was in welchen Abschnitten umsetzen kann. Der Bund muss klar machen, was er sich unter dem Digitalpakt vorstellt und wann es wofür entsprechende Mittel geben wird. Dabei sollten wir auch über eine Legislaturperiode hinaus denken. Und bei uns im Land läuft gerade eine Abfrage an den Schulen zur technischen Ausstattung und deren Nutzung. Diese Informationen sollen uns dann einen halbwegs soliden Überblick verschaffen. Für uns steht fest: wir wollen verstärkt auf die Nutzung digitaler Medien setzen. Aber dann muss auch die Teilhabe aller Schulen ermöglicht werden. Es darf keine Spaltung des Landes geben, weil viele Glück gehabt haben und einige Pech. Dafür müssen wir jetzt unsere Hausaufgaben machen, um einmal in der Schulsprache zu bleiben.

„Es funtioniert nicht par ordre de mufti“

Rundblick: Am Ende müssen die Lehrer in den Klassenzimmern auch in der Lage sein, alles umzusetzen. Aber nicht jede Lehrkraft wird so schnell ein Experte in digitaler Bildung…

Tonne: Allein deshalb lässt sich das nicht von einem auf das andere Schuljahr umsetzen. Es funktioniert nicht par ordre de mufti. Ich kenne es doch von mir selbst, dass man sich eine bestimmte Arbeitsweise angewöhnt hat. Bei Neuerungen dauert es dann manchmal ein wenig bis zur Bereitschaft, sich darauf einzulassen. Wir müssen bei den Lehrkräften dafür werben und deutlich machen, dass die Nutzung digitaler Endgeräte eine Erleichterung und eine Bereicherung sein kann. Es gibt bereits ein ordentliches Angebot an Fort- und Weiterbildungen, von denen jährlich im Schnitt rund 20.000 Lehrkräfte Gebrauch machen. Daran müssen wir anknüpfen. Außerdem müssen wir diejenigen Lehrkräfte stärken, die mit großer Begeisterung voranschreiten. Und zuletzt müssen wir diese technischen Entwicklungen natürlich auch sinnvoll in den Studien- und Prüfungsordnungen verankern.

Rundblick: Wir reden allerdings von einem komplexen System mit 70.000 Lehrern in Niedersachsen. Kann man da mit dem Tempo der Digitalisierung überhaupt mithalten oder ist nicht von Anfang klar, dass man immer hinterherhinken wird?

Tonne: Ich würde es nicht so düster malen. Es wird kein Selbstläufer, das ist klar. Aber es kommt doch jetzt darauf an, die Arbeit, die wir vor uns haben, sinnvoll zu strukturieren und es nicht dem Zufall zu überlassen. Aktuell läuft es gut in einzelnen Schulen, die besonders engagiert sind und in diesem Feld besonders motivierte Lehrkräfte haben. Aber unsere politische Aufgabe ist es jetzt, die Schulen zu unterstützen, die noch nicht so weit sind.

„Auftrag von Schule ist mehr als Wissensvermittlung“

Rundblick: Wenn wir mal ganz weit in die Zukunft schauen: Kann die Digitalisierung sogar ein Rezept gegen den Lehrermangel sein? Können wir das Lehren und Lernen zum Teil ins Home-Office verlagern?

Tonne: Niemand weiß, was die Zukunft letztlich bringt, aber ich würde gerne ein paar Eckpfeiler einziehen. Zum einen will ich keine Digitalisierung der Schule. Ich möchte die Lehrkraft nicht durch einen Roboter ersetzen. Denn der Auftrag von Schule ist mehr als die reine Wissensvermittlung, und dafür braucht man Menschen, die das möglich machen. Es ist aber durchaus ein berechtigter Ansatz zu prüfen, wo man Lehrkräfte durch die Digitalisierung im Alltag entlasten kann. Und die Verknüpfung von E-Learning und Präsenzveranstaltungen kann zum Beispiel in Insel- oder Berufsschulen Sinn ergeben.