Der Präsident des Landgerichts Hannover, Ralph Guise-Rübe, sieht bei allen Vorteilen der künstlichen Intelligenz (KI) auch eine Gefahr: „Wenn wir nicht aufpassen, könnten findige Leute versuchen, mit Hilfe der KI die außergerichtliche Streitschlichtung zu verbessern. Die Folge könnte sein, dass immer weniger Leute noch eine Klärung von Streitfragen vor Gericht anstreben. Das ist aber nicht gut für die Entwicklung unseres Rechtssystems“, sagt Guise-Rübe im Interview mit dem Politikjournal Rundblick.

Ralph Guise-Rübe, Präsident des Landgerichts Hannover, warnt vor den Risiken beim Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) im Rechtssystem. | Foto: Wallbaum, Canva

Die Qualität der Justiz hänge nämlich entscheidend davon ab, welche Erfahrungen die Richter im Umgang mit Rechtsnormen und ihrer Anwendung in einer sich verändernden Gesellschaft haben. „Wenn das System weiter gut funktionieren soll, brauchen wir eine Rechtsanwendung, die mit der Dynamik der Gesellschaft Schritt hält.“ Das drohe aber verloren zu gehen, wenn ein Großteil von Streitigkeiten über außergerichtliche Einigungen laufe, die maßgeblich von Prozessen der künstlichen Intelligenz unterstützt werden.

KI könnte Klagen vor Gericht minimieren

Guise-Rübe nennt als Beispiel aktuelle Trends unter dem Begriff „Legal Tech“, also einer Stärkung der Digitalisierung von Abläufen. Die KI habe derzeit schon die Fähigkeit, bei einem bestimmten Streitfall aus den schon getroffenen Urteilen und gesetzlichen Grundlagen eine Prognose über die Entscheidung herauszufiltern – und zwar mit einer Wahrscheinlichkeit von 70 Prozent. Auf Bundesebene werde derzeit diskutiert, ob es künftig nicht mehr im Belieben eines Richters liegen solle, eine Entscheidung zu veröffentlichen oder nicht – sondern dass dieses zwingend vorgeschrieben werden soll.

„Dann wird man über den Weg der künstlichen Intelligenz den Ausgang eines Rechtsstreits zu 90 Prozent vorhersagen können.“

Ralph Guise-Rübe

Wenn das aber geschehe, so mutmaßt Guise-Rübe, werde das Folgen für die Anwendung von KI haben: „Dann wird man über den Weg der künstlichen Intelligenz den Ausgang eines Rechtsstreits zu 90 Prozent vorhersagen können. Das heißt dann aber, dass der Anreiz, vor Gericht zu klagen und seinen Erfolg zu suchen, für die Parteien dann noch weiter abnehmen wird.“ Der Landgerichtspräsident sagt für diesen Fall voraus, dass sich ein schon vorhandener Trend noch verstärken werde: „Die Zahl der Zivilklagen nimmt weiter ab.“ So sinnvoll eine außergerichtliche Streitschlichtung sein könne, sie berge zwei Gefahren: Zum einen sei nicht klar, ob – trotz der Bezugnahme auf die KI – wirklich beide Seiten gerecht behandelt werden. Zum anderen, und das ist Guise-Rübes Kernargument, gehe Kompetenz bei den Richtern verloren. Je weniger Prozesse es gebe etwa im Wirtschaftsrecht, im Kartellrecht und in anderen Zivilstreitigkeiten, desto weniger routiniert seien die Richter, desto weniger könnten sie in ihren Urteilen auch auf der Höhe der Zeit sein.  

„Für Neuregelung der Strafmündigkeit“: Guise-Rübe wirbt für die Reform der Strafmündigkeits-Vorschriften. Bisher sind Kinder erst ab dem vollendeten 14. Lebensjahr strafmündig. „Die Fälle von 12- oder 13-Jährigen, die Straftaten begehen oder sogar morden, sollten uns nachdenklich stimmen“, sagt der Landgerichtspräsident. Er schlägt vor, eine Regel-Strafmündigkeit mit 12 oder 13 Jahren einzuführen – ergänzt mit der Vorgabe, in Einzelfällen auf Basis eines Gutachtens auch davon abweichen zu können.



Das Gutachten solle feststellen, ob der Betroffene ein Bewusstsein über das begangene Unrecht hat. Nachdenklich stimme auch die Tatsache, betont Guise-Rübe, dass viele kriminelle Banden Kinder unter 14 Jahren einsetzen, um Diebstähle oder Einbrüche zu begehen. Würden die Täter geschnappt, seien sie dann oft nicht strafmündig. 

„Stellenzulagen sollte man umändern“: Der Landgerichtspräsident spricht sich dafür aus, die seit Jahren bestehenden Zulagen für Richter zu reformieren. Sie seien eingeführt worden, damit ältere Richter, die keine Aussicht auf eine Beförderung gehabt haben, noch eine leichte Aufbesserung ihres Gehalts erhalten können. Viel später erst habe man gemerkt, dass Richter mit solchen Zulagen damit auch ein höheres Statusamt erhalten, so im Wettbewerb um höhere Stellen bevorzugt sind gegenüber Richtern ohne derartige Vergünstigungen. „Die Besoldungsgruppe R1 Z schlägt dann die Besoldungsgruppe R1“. Wenn man diese Statusbedeutung abschaffe, würde dies laut Guise-Rübe die Stellenbewertungen vereinfachen und einen Bewerberansturm von Kandidaten mit Zulage eindämmen.