Albert Hortmann-Scholten ist Unternehmensberater bei der Landwirtschaftskammer Niedersachsen. Im Gespräch mit Rundblick-Redakteur Niklas Kleinwächter erläutert er, warum sich die Krise der Schweine-haltenden Betriebe wohl nicht so schnell beenden lassen wird – und warum es seiner Ansicht nach nicht angemessen ist, dem Lebensmitteleinzelhandel (LEH) alleine die Schuld zu geben.

Albert Hortmann-Scholten ist Unternehmensberater bei der Landwirtschaftskammer Niedersachsen. Foto: LWK Niedersachsen

Rundblick: Herr Hortmann-Scholten, in den vergangenen Wochen folgte ein Krisengespräch zur Situation der Schweinefleisch-Industrie auf das andere. Worin genau liegt das Problem?

Hortmann-Scholten: Die Betriebe stecken in einer massiven Preis-Kosten-Falle: Niedrige Erlöse fallen mit stark steigenden Kosten zusammen. Wir sind auf einem Niedrigpreisniveau für Schlachtschweine angelangt, das es seit über 20 Jahren nicht mehr gab. Im Frühjahr hatte sich die Lage zwar kurzzeitig entspannt als pro Kilo Schlachtschwein immerhin 1,50 Euro gezahlt wurden, aber inzwischen sind wir wieder bei 1,25 Euro angelangt. Nach der Ernte erleben wir nun obendrein noch einen Kostenschub beim Futter. Diese Kombination verursacht derzeit Verluste in der Größenordnung von 50 bis 70 Euro pro Tier.

Rundblick: Wie kam es zu dieser Entwicklung?

Hortmann-Scholten: Das Erzeugerpreisniveau wird durch die Folgen der Corona-Pandemie gedrückt. Zu Beginn des Lockdowns im Februar 2020 gab es zwar zunächst beim Verbrauch noch einen Kompensationseffekt: Die Absatzverluste durch beispielsweise geschlossene Kantinen wurden dadurch aufgefangen, dass die Leute viele Lebensmittel gehamstert haben. Aber spätestens ab April 2020 wurde der Verbrauchsrückgang durch die Schließung von Gasstätten, Kantinen sowie ausgefallene Großveranstaltungen wie Fußballspiele oder Volksfeste nicht mehr anderweitig aufgefangen. Im Schnitt werden ein bis zwei Kilogramm Schweinefleisch weniger konsumiert. Dann kam hinzu, dass aufgrund von Corona-Fällen die größten Schlachtbetriebe wie beispielsweise Tönnies in Rheda-Wiedenbrück Monate gesperrt werden mussten. Das sorgte für ein Überangebot an Tieren, die nicht verarbeitet werden konnten. Das war aber nur der innerdeutsche Effekt, hinzu kommt ein veränderter Wettbewerb in Europa. Dänemark, die Niederlande und vor allem der größte EU-Schweinefleischproduzent Spanien drängen auf den deutschen Markt. Die leiden nämlich selber unter der Corona-Situation, wobei bei Spanien nun noch Konflikte mit dem asiatischen Absatzmarkt hinzukommen. Denn angeblich habe man dort Corona-Viren auf der Fleisch-Oberfläche oder in den spanischen Containern entdeckt, woraufhin Bestellungen storniert und keine neuen Verträge mehr abgeschlossen wurden. Für Deutschland ist der asiatische Markt derzeit aufgrund der Fälle von „afrikanischer Schweinepest“ bei Wildschweinen seit September 2020 obendrein auch gesperrt. Insgesamt lässt sich also sagen: Es gibt eindeutig zu viel Ware auf dem EU-Markt.

Rundblick: Sie sagten, dass auf der anderen Seite auch die Kosten in die Höhe geschnellt sind. Wie kam es dazu?

Hortmann-Scholten: Auch das hängt in gewisser Weise auch mit der Corona-Pandemie zusammen. Seit dem Herbst 2020 hat sich die Kostenentwicklung beschleunigt, was sich durch die globale Nachfrageentwicklung erklären lässt. Einige Staaten sind schneller durch die Pandemie gekommen, etwa China. Dort hat man die Tierbestände schnell wieder hochgefahren und dafür die Getreidemärkte weltweit leergekauft. Das hat die Futtermittel-Preise etwa für Getreide, Mais und Soja in die Höhe getrieben, was hier nun mit aller Macht auf alle Produktionszweige trifft. Im Mittel liegen die Preise derzeit 20 bis 25 Prozent über dem Preisniveau vom September 2020.

Wir raten den Landwirten, die ohnehin aufgeben wollen, nicht mehr auf die Beschlüsse der Politik zu warten, sondern jetzt zu beginnen, die Sauenhaltung auslaufen zu lassen.

Rundblick: Wie können die deutschen Betriebe aus dieser Preis-Kosten-Falle nun wieder hinausfinden?

Hortmann-Scholten: Wir als Landwirtschaftskammer sagen jetzt schon allen, dass sie nicht auf eine kurzfristige und schnelle Lösung hoffen sollen. Die Betriebe verbrennen derzeit Kapital. In der Ferkelaufzucht wird nicht einmal die Hälfte der Futterkosten erwirtschaftet. Je größer die Betriebe, desto mehr Geld wird verbrannt. Eine schnelle Marktbereinigung wird es nicht geben, dafür ist die Situation zu festgefahren. Die Gefrierlager sind noch immer voll mit Schweinefleisch, das auf die Vermarktung wartet. Die Nutztierhaltung befindet sich ja ohnehin in einem Umbruch, Stichwort: tierwohlgerechter Umbau und Borchert-Kommission. Wir raten den Landwirten, die ohnehin aufgeben wollen, nicht mehr auf die Beschlüsse der Politik zu warten, sondern jetzt zu beginnen, die Sauenhaltung auslaufen zu lassen. Ein Prozess, der schon früher begonnen hat, trifft die Betriebe jetzt mit voller Wucht. 2011 hatten wir noch 60 Millionen Schlachteinheiten in Deutschland, jetzt erwarten wir für 2021 weniger als 50 Millionen.

Rundblick: Was bedeuten diese Unwuchten für die Betriebe in Niedersachsen?

Hortmann-Scholten: Einen Rückgang der hiesigen Schweinebestände von knapp 8 Millionen, die wir derzeit pro Jahr haben, auf etwa 5 Millionen in gut zehn Jahren halte ich für nicht unwahrscheinlich. Bei den Betriebsarten muss man dann differenzieren: Bei den derzeit knapp 1600 Sauenhaltern ist von einer Halbierung der Anzahl der Betriebe auszugehen, bei den Mast-Betrieben vielleicht ein Rückgang um die 40 Prozent, weil diese häufig finanziell stabiler aufgestellt sind.

Foto: Anant Kasetsinsombut

Rundblick: Die Schweine-Bestände werden durch eine solche Entwicklung nun wohl so oder so abgebaut. Bei den Krisengesprächen von Politik und Landwirtschaft wurde zuletzt der Fokus aber verstärkt auf die Rolle des Einzelhandels gelegt. Was kann der ausrichten?

Hortmann-Scholten: Der Einfluss des Lebensmitteleinzelhandels (LEH) auf dieses Problem wird möglicherweise überschätzt. Er könnte zwar durch Werbemaßnahmen helfen, aber der Export gerade der Teilstücke wie Pfötchen, Speck und Fettwaren sowie Kopffleisch und Innereien, die hier nicht konsumiert werden, bleibt wichtig. Denn statistisch gesehen gingen bislang 50 Prozent vom Schwein in den Export, gut 20 Prozent in den Frischsektor und 30 Prozent in die Verarbeitung also beispielsweise Wurst oder Hamburger. Der Knackpunkt bleibt also der Export.

Rundblick: Und da bleibt aufgrund der ASP nach wie vor der größte Absatzmarkt Asien weg.

Hortmann-Scholten: Das stimmt, wobei ich das nur bedingt nachvollziehen kann. Bei Japan kann ich verstehen, dass man nicht Gefahr laufen möchte, die ASP ins Land zu holen. China hingegen hat die „afrikanische Schweinepest“ selbst schon längst flächendeckend im Land. Dort halte ich das alles für rein protektionistische Maßnahmen, um den eigenen Markt vor europäischer Konkurrenz zu schützen.