Die Covid-19-Pandemie hat zu einem historischen Rückgang der abgeschlossenen Ausbildungsverträge geführt. 2020 gab es in Deutschland erstmals seit Beginn der Statistik weniger als 500.000 neue Azubis. Auch in Niedersachsen fiel der Rückgang mit 9,5 Prozent sehr deutlich aus. Doch die duale Ausbildung steckt nicht erst seit Corona in einer Krise.

Die Weichensteller 2021 bei der Preisverleihung vor Komatsu in Hannover (von links): Andrea Kück, Martin Häusler, Stephan Oppermann, Thorsten Pahl, Jan Meiners. Foto: Alexander Spiering

„Die duale Ausbildung kommt zunehmend in eine Sandwich-Position aus demografisch bedingtem Nachwuchsmangel auf der einen Seite und einem Studienhype auf der anderen Seite“, mahnt Niedersachsenmetall-Hauptgeschäftsführer Volker Schmidt. Auch Landeshandwerkskammer-Präsident Karl-Wilhelm Steinmann warnt vor einer „Schieflage“ auf dem Ausbildungssektor. „Aktuell müssen vor allem größere Anstrengungen unternommen werden, um die exzellente berufliche Bildung zu stärken“, sagt Steinmann. „Es wird vielfach übersehen, dass Berufsschulen wie kaum eine andere Schulform permanent die Innovationen der ausbildenden Betriebe nachvollziehen und unterstützen müssen. Dafür müssen sie auch von der Politik in die Lage versetzt werden, diesen Anpassungsprozess zu leisten. Und das heißt: Moderne Ausstattung, Breitbandanschluss und vor allem genügend Lehrkräfte mit entsprechender Qualifikation“, betont Schmidt.

Kultusminister Grant Hendrik Tonne ist Schirmherr der Aktion „Weichensteller“. Foto: Alexander Spiering

Doch nicht nur die Zahl der Auszubildenden ist rückläufig, auch die Berufsschullehrer werden weniger. 2020 unterrichten nur noch 14.522 Lehrkräfte an den berufsbildenden Schulen in Niedersachsen. 2010 waren es noch 16.378. Ein weiterer Trend: Während um die Jahrtausendwende noch drei von fünf Berufsschullehrern männlich waren, gibt es dort seit 2013 nun deutlich mehr weibliche als männliche Lehrkräfte. „Das System der dualen Ausbildung steht für eine immens hohe Qualität mit allerbesten Chancen, wie es für die eigenen Zukunft weitergeht. Das hält auch locker Schritt mit universitärer Ausbildung“, sagt Kultusminister Grant Hendrik Tonne. Damit dieses Niveau weiterhin gehalten werden kann, steht für den SPD-Politiker fest: „Wenn sich Gesellschaft verändert, dann muss sich auch Schule verändern. Es ist Unterricht am Puls der Zeit gefragt.“

Wie so ein Unterricht aussehen kann, zeigen die Gewinner des Preises „Weichensteller 2021“. Mit der neuen Auszeichnung hat die niedersächsische Metall- und Elektro-Industrie erstmals Lehrkräfte aus ganz Niedersachsen für ihr außergewöhnliches Engagement belohnt. Als Schirmherr überreichte Kultusminister Tonne die mit insgesamt 9000 Euro dotierte Auszeichnung an die Berufsschullehrkräfte. „Dieser Preis soll die Wertschätzung gegenüber denen deutlich machen, die tagtäglich eine richtig gute Arbeit machen und stellvertretend für viele andere stehen“, sagte Tonne und betonte: „Wir brauchen Weichensteller, die nicht nur das Fachliche vermitteln können, sondern auch menschlich für die Schüler da sind.“

Das sind die Preisträger:

„Weichenstellerin“ Andrea Kück. Foto: Alexander Spiering

Andrea Kück, BBS Schiffdorf

Mit 3D-Druckern und Roboterarmen bereitet Andrea Kück an der Max-Eyth-Schule in Schiffdorf (Landkreis Cuxhaven) ihre Schüler auf den digitalisierten Arbeitsmarkt vor. „Ich unterrichte gerne etwas offener. Für mich ist es wichtig, dass man die Schüler aufgreift – auch wenn das nicht das ist, was man geplant ist“, sagt die gelernte Ingenieurin und Quereinsteigerin im BBS-Kollegium, die sich eher als „Lernbegleiterin“ versteht. „Die Schüler, die zu uns kommen, haben schon eine Vorliebe für Technik und sind schnell zu motivieren“, sagt Kück, die seit 2015 im Schuldienst ist. „In der Schule hat man auch viele Freiheiten und kann mit den Schülern die neuesten Errungenschaften erarbeiten“, sagt die Physik-, IT- und Techniklehrerin. Die insgesamt 15 3D-Drucker der BBS Schiffdorf etwa erlauben ganz unterschiedliche Druckverfahren. „Der Schokoladendrucker ist das Highlight“, sagt Kück und lacht.

Der Roboterarm namens „Panda“ der Firma Emika GmbH kann auch im Unterricht eingesetzt werden. Foto: Hersteller

Bei ihr und den Schülern sind aber auch die Roboterarme aus dem Programm „Robonatives“ beliebt, deren Anschaffung über die Landesinitiative n-21 möglich war. „Bei der Bedienung gibt es verschiedene Niveaustufen“, erläutert die Lehrerin. Die Schüler können die Robotergehirn zum Beispiel selbst programmieren oder die Bewegungsabläufe per App steuern. „Wenn die Schüler an einem Beispiel lernen, dann bekommen sie auch schnell ein Gefühl für die Systematik“, weiß Kück aus Erfahrung. Und wenn ihre Schützlinge motiviert sind, ist es die Lehrerin auch: „Am meisten Freude macht es mir, zu sehen, wie sich die Schüler über die Jahre hinweg entwickeln.“


„Weichensteller“ Jan Meiners. Foto: Alexander Spiering

Jan Meiners, BBS Ammerland

Um die Wurst geht es im Unterricht von Jan Meiners. Er unterrichtet Metall- und Konstruktionstechnik an der BBS Ammerland, wo er ein alteingesessenes Schulprojekt auf ein ganz neues Level gehoben hat. „Er fördert die intensive Zusammenarbeit zwischen Berufsschule und Betrieb und macht mit dem Projekt Grillbau den Auszubildenden die Ausbildung zusätzlich ‚schmackhaft‘“, lobt Nordmetall-Geschäftsführer Peter Golinski. Das Prinzip ist ganz einfach: „Die Schüler bauen in den Ausbildungsbetrieben einen Grill und wir machen im Unterricht die Planungen dafür“, erläutert Meiners. Zeit, Kosten und Maschineneinsatz werden im Vorfeld festgelegt. Wer den tollsten Grill baut, bekommt nicht automatisch die beste Note. „Ich vergleiche das Ist-Produkt mit den Planungen. Hauptsache ist, dass die Schüler ihre vorher festgelegten Meilensteine erreicht haben und die Ausführung stimmt“, sagt Meiners. Alles andere wäre auch unfair. „Jede Firma hat andere Möglichkeiten, jeder Auszubildende hat andere Stärken. Bei 20 verschiedenen Schülern kommen da 20 verschiedene Grillgeräte heraus.“

 Die Ergebnisse können sich sehen lassen. Viele der von den Schülern gefertigten Grillgeräte könnten auch in der Verkaufsfläche des nächsten Baumarkts stehen. Manchmal kommen aber auch ganz spektakuläre Kreationen heraus. Meiners erinnert sich etwa an einen Azubi, der seinen Grill in den Motorraum eines Autos einbaute. Ein anderer Schüler habe die Ladefläche eines Milchkannen-Transporters zu einem Grill umfunktioniert. „Innerhalb von 10 Minuten hat er 160 Würste warm gekriegt“, sagt der Berufsschullehrer. Ihren Grill dürfen die Schüler nach einer feierlichen Präsentation, bei der auch Vertreter von Betrieben und Innung mit dabei sind, mit nach Hause nehmen. Meiners: „Für mich am schönsten ist, wenn ich Schüler habe, die sagen: Ich bin auf das, was ich gebaut habe, stolz.“


Die „Weichensteller“ Thorsten Pahl (von links), Stephan Oppermann und Martin Häusler. Foto: Alexander Spiering

„Energy Harvesting“, BBS Holzminden

Was die Projektgruppe „Energy Harvesting“ an der Georg-von-Langen-Schule in Holzminden anfertigt, landet dagegen häufig im Verkauf. „Wir wollen keine Projekte zum Wegschmeißen machen“, sagt Lehrer Stephan Oppermann. So habe die Schülergenossenschaft der BBS Holzminden etwa einen Grill im Angebot, den die Schülerfirma seit 2008 verkauft. „Es gab Jahre, da haben wir mit den Schülern über 30 Grills produziert“, sagt Oppermann, der Fachpraxis Metall unterrichtet.

Der Grillgeräte-Bau ist die Keimzelle von „Energy Harvesting“, wie der Wirtschaft- und Sportlehrer Martin Häusler erklärt. 2013 habe man sich nämlich mit der Frage beschäftigt, wie man Energie vom Grill zurückgewinnen könnte. In der Folge entstanden diverse Projekte um Energie zu produzieren, zu sparen oder zurückzugewinnen. Der große Durchbruch war der „Energy-Floor“, mit dem die Holzmindener bei der Ideen-Expo 2019 auf sich aufmerksam machten. Der Fußboden, der beim Betreten Strom erzeugt, schaffte es sogar ins Fernsehen. 2020 siegten die BBS-Schüler bei der Pro7-Tüftlershow „Das Ding des Jahres“.

Die BBS Holzminden mit ihrem „Energy Floor“ bei der IdeenExpo 2019. Foto: NiedersachsenMetall

„Lernen als Erfolgserlebnis – so motiviert man den Fachkräftenachwuchs von morgen“, lobt Klaus Kirchheim von der Stiftung Niedersachsenmetall das Lehrkräfte-Trio. Wie die Motivation am besten gelingt, weiß Maschinenbaulehrer Thorsten Pahl: „Die Schüler haben Ideen und wir als Lehrer haben die Aufgabe das zu steuern. Wir bleiben im Hintergrund, denn wir wollen ja nicht, dass es unser Projekt wird.“ Und Häusler ergänzt: „Wenn man als Moderator da sein will, braucht man Ruhe. Man darf nicht zu früh eingreifen.“