Darum geht es: Im Antisemitismus-Skandal wächst die Kritik an HAWK-Präsidentin Christiane Dienel. Ein Kommentar von Martin Brüning:

Geht es im Skandal an der HAWK in Hildesheim derzeit zu allererst um Antisemitismus oder zunächst einmal um die Frage, wie mit dem Vorwurf des Antisemitismus überhaupt umzugehen ist? Hochschulpräsidentin Christiane Dienel hatte in den vergangenen Jahren vielfach Gelegenheit, etwas richtig zu machen. Erst gestern kam heraus, dass sie die erste Gelegenheit dazu schon im Sommer 2011 verstreichen ließ. In einem Brief an die Dekanin und, nachrichtlich, an Dienel machte die Organisation „Akademiker für Frieden im Nahen Osten“ die Hochschule darauf aufmerksam, dass in einem Seminar massiv anti-israelische Propaganda verbreitet werde. Beigefügt waren Zitate aus den Unterrichtsmaterialien. Diese reichen vom angeblichen israelischen „Völkermord“ in Gaza bis hin zu weltverschwörerischen Feststellungen, das Attentat vom 11. September 2001 sei ein „unglaublich obszönes und riesiges Lügengebäude“. Die Reaktion von Dekanin und Präsidentin auf das Schreiben: Keine.

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Das moralische oder auch Organisationsversagen der Hochschule hat sich bis zum heutigen Tag  fortgesetzt. Briefe wurden nicht beantwortet und die Hinweise der renommierten Religionspädagogin Rebecca Seidler wurden ebenso wenig ernst genommen wie das Gutachten der Amadeu Antonio Stiftung, die dem Seminar Antisemitismus attestierte. Und mit Tweets wie „Wer ist hier eigentlich die Hass-Fabrik“ in Richtung Israel goss Dienel zuletzt Ende Juli weiteres Öl ins Feuer. „Ich fühle mich verpflichtet, mich vor meine Hochschule zu stellen. Es geht schließlich auch um das Ansehen der HAWK“, sagte Dienel bei einer Podiumsdiskussion im September.

https://twitter.com/Dienel_HAWK/status/759163010648829952

Dem Ansehen der HAWK hat Dienel bisher wahrlich keinen Gefallen getan. Sie meint, noch vor der Hochschule stehen zu müssen – aber wer steht eigentlich noch hinter Dienel? Genau wie die Aufklärungsbemühungen der HAWK-Präsidentin entwickelt sich der Verlust des politischen Rückhalts für Dienel: scheibchenweise. Es ist ein deutlicher Fingerzeig, dass das Wissenschaftsministerium inzwischen eine Entscheidung über die Berufung, die sich ohnehin bereits auffällig lange hinzog, nicht vor dem Eintreffen des neuen Gutachtens der TU Berlin zum umstrittenen Seminar treffen will. Und es ist ebenso auffällig, dass selbst Politiker der Regierungskoalition nicht mehr bedingungslos hinter ihr stehen. Der SPD-Abgeordnete Michael Höntsch fordert eine öffentliche Erklärung Dienels, und auch beim grünen Koalitionspartner wird der Ton schärfer.

 

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Wer sich eingehender mit dem Antisemitismus-Skandal an der HAWK befasst, den ergreift Verwunderung, mit welchen Aussagen und welchem Umfeld er es dort zu tun bekommt. Es spielt inzwischen überhaupt keine Rolle mehr, ob Dienel die antisemitischen Ressentiments in dem Seminar geduldet oder jahrelang übersehen hat: Es hätten schon lange Konsequenzen gezogen werden müssen. Die außerplanmäßige Sitzung mit der betroffenen Fakultät am Nachmittag ist nur das Ende einer langen Kette von Versäumnissen und Fehlentscheidungen. Die Vorwürfe wiegen schwer.

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Christiane Dienel sollte nicht mehr abwarten, bis die Politik, unterstützt durch das Gutachten, Mitte November das Urteil fällt, sondern bereits jetzt die Konsequenzen ziehen: Ein Rücktritt wäre die bessere Lösung – für sie selbst und für die Hochschule.

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