Wir erleben nicht nur die Krise der Volksparteien in Deutschland, sondern auch – weltweit – eine Krise der politischen Repräsentation. In manchen Ländern werden Schauspieler und Populisten zu neuen Präsidenten gewählt – und bei der Direktwahl der kommunalen Verwaltungschefs in Niedersachsen kommen auch Seiteneinsteiger zum Zuge. Ist das völlig normal oder steckt ein Problem dahinter? Im Rundblick-Gespräch äußert sich Landtagsvizepräsident Bernd Busemann zu der Problematik.

Rundblick: In Osnabrück hat eine engagierte ehrenamtliche Kommunalpolitikerin, Inhaberin von Nachhilfeschulen, die Landratswahlen gewonnen. Sie wird künftig einer Verwaltung mit etwa 1000 Mitarbeitern führen. Wird sie das können?

Busemann: Das weiß ich nicht, es wird sich zeigen. Was mir unabhängig von diesem Einzelfall auffällt, ist eine Verschiebung der Gewichte bei der Auswahl der Personen zur Führung von Kommunalverwaltungen. Bis 1996 hatten wir die sogenannte Zweigleisigkeit. Dem ehrenamtlichen Bürgermeister als obersten Repräsentanten stand der hauptamtliche Gemeindedirektor zur Seite, in der Regel jemand mit abgeschlossener Verwaltungsausbildung. Auf Kreisebene hatten wir den ehrenamtlichen Landrat und neben ihm den hauptamtlichen Oberkreisdirektor als Chef der Verwaltung. Er oder sein Vertreter musste ein Volljurist sein. Diese Vorgaben sind inzwischen abgeschafft, beide Funktionen sind in einer Person vereinigt – und seit 1996 entscheidet das Volk darüber, wer der geeignete Kandidat für die Position ist. Man vertraut also seither auf die Weisheit der Wähler, den Richtigen oder die Richtige für die Aufgabe zu finden. Leider haben sich die Maßstäbe für die Auswahl in jüngster Zeit offenbar verschoben.

Rundblick: Wie meinen Sie das?

Busemann: Die Wähler scheinen immer weniger auf die fachliche Eignung zu schauen – und mehr darauf, wie beliebt ein Kandidat ist, wie gut er auf Menschen zugehen kann, wie sympathisch er erscheint.

Nicht jeder Bürgermeister muss ein Jurist sein, aber es ist schon wichtig zu wissen, wie eine Verwaltung funktioniert und welche Strategien sie entwickeln kann, die Vorgaben der politischen Führung zu torpedieren.

Rundblick: Warum ist das aus Ihrer Sicht problematisch?

Busemann: Aus zwei Gründen. Erstens kann nicht jeder eine Verwaltung leiten. Nötig sind schon besondere Fähigkeiten, die man etwa in der Führung eines großen Unternehmens gelernt hat. Oder auch politische Kompetenz, also Erfahrung in der Aufgabe, über Netzwerke und Beharrlichkeit bestimmte Ziele Schritt für Schritt umsetzen zu können. Auch fachliche Kompetenz ist wichtig. Schließlich hat die Aufgabe viel mit Verwaltungsvollzug zu tun. Nicht jeder Bürgermeister muss ein Jurist sein, aber es ist schon wichtig zu wissen, wie eine Verwaltung funktioniert und welche Strategien sie entwickeln kann, die Vorgaben der politischen Führung zu torpedieren. Seiteneinsteiger, noch dazu ohne Behördenwissen, haben es da schwer.

Rundblick: Was kann denn schlimmstenfalls passieren, wenn ein unerfahrener Mensch plötzlich Landrat oder Bürgermeister wird?

Busemann: Er kann ausgebremst werden – durch Verzögerungsstrategien oder Blockaden. Wenn ein Verwaltungschef die Mitarbeiter nicht motivieren kann, steigt der Krankenstand, oder es passiert in der Behörde gar nichts. Wenn man dann nicht eine starke Partei im Rücken hat, die möglichst noch die Mehrheit im Kreistag oder Rat haben sollte, dann ist man schnell verloren – es droht dann auch der Vertrauensentzug dadurch, dass der Verwaltungschef für seinen Haushaltsentwurf nicht die nötige Unterstützung der Kommunalvertretung erhält. Oft flüchten Verwaltungschefs in solchen Situationen in die Strategie, gar nichts Schwieriges mehr zu entscheiden.

Rundblick: Also war die Abschaffung der alten Zweigleisigkeit ein Fehler?

Busemann: Ich hatte das damals mitbeschlossen, war aber schon seinerzeit sehr skeptisch. Das System funktioniert nur, wenn der Mann oder Frau an der Spitze eine natürliche Autorität ausstrahlt. Hat die Person das nicht, dann tanzen die Puppen auf dem Tisch. Nun denke ich nicht, dass man die Direktwahl der Bürgermeister und Landräte als Verwaltungschefs wieder abschaffen wird. Aber nötig wäre es schon, verstärkt auf die Bedeutung dieser Wahlen hinzuweisen.

Rundblick: Woran liegt es, dass bei Wahlen das sympathische Erscheinungsbild derzeit so entscheidend ist, die fachliche Kompetenz aber gar keine Rolle zu spielen scheint?

Dass die Wahlbeteiligung gerade bei Kommunalwahlen oft einbricht und oberflächliche Kriterien manchmal ausschlaggebender zu sein scheinen als inhaltliche Stärke, hat mit einer gewissen Sättigung in unserer Demokratie zu tun.

Busemann: Zunächst denke ich, dass die Wähler es den vielen tausenden ehrenamtlichen Kommunalpolitikern schuldig sind, ihre Arbeit für das Gemeinwesen ernst zu nehmen. Sie sollten deshalb auch zur Wahl gehen – und auch bei der Wahl von Bürgermeistern und Landräten sehr genau darauf achten, wem diese Aufgaben zuzutrauen sind. Dass aber die Wahlbeteiligung gerade bei Kommunalwahlen oft einbricht und oberflächliche Kriterien manchmal ausschlaggebender zu sein scheinen als inhaltliche Stärke, hat meiner Meinung nach mit einer gewissen Sättigung in unserer Demokratie zu tun. Große Probleme gibt es selten noch, in vielen Gegenden herrscht faktisch Vollbeschäftigung, die Infrastruktur ist ausgebaut. Die Zeiten, in denen starke Bürgermeister gebraucht wurden, um Wirtschaftsbetriebe anzusiedeln, Straßen zu bauen und den Städtebau zu planen, sind längst vorbei. Viele Wähler erwarten von ihren Verwaltungschefs, dass sie in Ruhe den guten Status quo verwalten und absichern. Sie wollen keinen Stress und keinen Aufbruch zu neuen Ufern. Sie wollen jemanden, von dem sie meinen, dass sie im Zweifel zu ihm einen guten Zugang finden können. Wieder andere interessiert eine Bürgermeisterwahl gar nicht, weil vermeintlich „die da oben sowieso alle gleich“ seien.


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Rundblick: Schuld sind also die Wähler?

Busemann: Nein, zunächst müssen sich die Parteien bemühen, attraktiver zu wirken. Sie müssen erkennen, dass ihre Bewerber auch bürgernah sein müssen und sympathisch. Aber das ist eben nicht das einzige, nicht das entscheidende. Es kommt auf überzeugende Angebote an – und darauf, dass genügend Menschen sich für ein politisches Amt interessieren. Nur sind dann im nächsten Schritt die Wähler auch nicht aus ihrer Verantwortung zu befreien. Sie sollen sich schon den Kopf darüber zerbrechen, wer an der Spitze stehen soll.