Fabian Feil leitet seit September 2021 als Präsident das Niedersächsische Landesgesundheitsamt. Zuvor war er im Sozialministerium für den Infektionsschutz und das Öffentliche Gesundheitswesen zuständig. Mit Niklas Kleinwächter spricht er über die aktuelle Corona-Lage, die Lehren aus der Pandemie und weitere Herausforderungen, denen sich seine Behörde zu stellen hat.

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Rundblick: Herr Feil, für den Sommer hatten wir Ruhe vor Corona erwartet. Jetzt steigen die Infektionszahlen wieder. Die Pandemie ist also noch nicht vorbei?

Feil: Überhaupt nicht, damit haben wir aber auch nicht gerechnet. Die Frage ist eher: Wie stark entwickelt sich die Welle und welcher Rhythmus wird bleiben? Irgendwann erwarten wir eine Saisonalität wie bei der Influenza, aber noch sind wir da nicht angekommen und haben mehrere Infektionswellen pro Jahr.

„Wir werden auch im Herbst einen Anstieg erleben.“

Rundblick: Bedeutet eine Sommerwelle, dass es im Herbst dann nicht so schlimm wird?

Feil: Wir werden auch im Herbst einen Anstieg erleben. Vorstellbar ist, dass es nach den Herbstferien wieder mehr Infektionen gibt. Entscheidend ist aber, wie stark sich das auf die Verläufe auswirkt. Für alle bleibt die empfohlene Impfung wichtig, um zumindest schwere Verläufe zu verhindern.

Rundblick: Und wie ist das beim Rest der Bevölkerung: Müssen wir uns demnächst auch wieder impfen lassen und jetzt perspektivisch mehrmals im Jahr?

Feil: Die Ständige Impfkommission empfiehlt noch nicht generell die vierte Impfung. Man muss sich auch genau die Mechanismen einer Impfung anschauen. Zuerst werden Antikörper gebildet, die dann eine Infektion erfassen und bekämpfen können. Diese Antikörper nehmen im Laufe der Zeit ab, dann kommt es auf das Langzeitgedächtnis des Immunsystems an. Es scheint so zu sein, dass das gut gelingt. Deshalb sieht es derzeit so aus, dass für die breite Bevölkerung keine vierte Impfung kommt.



Rundblick: Die Corona-Pandemie wird von manchen als Startpunkt eines „Jahrhunderts der Pandemien“ bezeichnet. Was ist da dran?

Feil: Zunächst einmal war die Corona-Pandemie nicht die erste Pandemie in diesem Jahrhundert. 2009 gab es die sogenannte Schweinegrippe, die uns aber nicht so schwer getroffen hat und deshalb nicht so wahrgenommen wurde. Meine Erwartung war, dass die nächste Pandemie erst in 20 Jahren folgt. Das hätte unserer Erfahrung aus dem 20. Jahrhundert entsprochen, in dem es drei Influenza-Pandemien gegeben hatte. Leider habe ich mich getäuscht und Corona kam schon zehn Jahre später. Es wird noch weitere Pandemien geben aber von einem „Jahrhundert der Pandemien“ gehe ich deshalb noch nicht aus.

Rundblick: Sind wir denn nun gewappnet für weitere Pandemien?

Feil: Ja, auf jeden Fall. Wir waren auch 2020 gar nicht so schlecht vorbereitet, wie es kolportiert wird. Was sich nun geändert hat, ist das Bewusstsein für mögliche Maßnahmen, die wir in unserem Instrumentenkoffer haben. Zwar standen diese Maßnahmen auch schon im Pandemieplan von 2016 – aber haben Sie sich vorstellen können, dass die Hannover-Messe abgesagt oder Schulen geschlossen werden?

„Es ist nicht von vornherein ein Politikversagen, wenn Menschen an Corona sterben. Denn wir können die Natur nicht vollkommen beherrschen.“

Rundblick: Wissen wir denn inzwischen genug darüber, wie sich diese Maßnahmen ausgewirkt haben?

Feil: Wir können besser einschätzen, wie sich Schulschließungen sowohl auf das Infektionsgeschehen als auch auf die Bildung und das soziale Miteinander auswirken. Aber welchen Einfluss einzelne Maßnahmen auf das Infektionsgeschehen haben, lässt sich kaum beziffern. Das System ist zu komplex. Man kann ja keinen großen Feldversuch durchführen, in dem man die Wirkung einzelner Maßnahmen selektiert betrachtet. Das wäre vielleicht wünschenswert, aber die Einflussfaktoren sind zu vielseitig.

Rundblick: Was bleibt von der Pandemie?

Feil: Die Maske beispielsweise wird wohl langfristig bleiben. Die ist zwar auch unangenehm, aber immer noch am wenigsten einschneidend und dennoch sehr effektiv. Dabei hat jeder für sich auch dazugelernt, dass der Mund-Nasen-Schutz beim Fahrradfahren wohl nicht notwendig ist, aber in der Straßenbahn durchaus auch immer noch hilfreich sein kann.

Rundblick: Gibt es darüber hinaus eine größere Lehre, die Sie aus der Pandemie gezogen haben?
Feil: Wir müssen lernen, damit zu leben, dass es Krankheiten gibt. Die Pandemie fühlte sich wie ein Kontrollverlust an, weil wir glauben, die Natur kontrollieren zu können. Es ist nicht von vornherein ein Politikversagen, wenn Menschen an Corona sterben. Denn wir können die Natur nicht vollkommen beherrschen. Viren und Bakterien sind auch wichtig für den Menschen und die Evolution.

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Rundblick: Nun kommen die Affenpocken. Steht uns die nächste Pandemie schon ins Haus?

Feil: Nein. In der Weise, wie die Affenpocken nun auftreten, ist das schon ein neues Phänomen. Aber wir wissen auch, dass das Virus nur über sehr engen Körperkontakt übertragen wird. Das ist schon eine andere Dimension als bei Corona. Die Prognose bleibt dennoch schwierig und auch die Kommunikation ist eine Herausforderung. Wir müssen darauf setzen, dass Menschen mit Symptomen diese ärztlich abklären lassen. Dazu müssen wir auch eine zielgruppenspezifische Ansprache finden, im aktuellen Fall Männer, die Sex mit Männern (MSM) haben, ohne damit zu diskriminieren. Wenn ich hier einmal nicht die richtigen Worte gefunden haben sollte, tut es mir leid. Entscheidend ist jedenfalls das individuelle Risikoverhalten und nicht die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe.

„Das Thema Klimawandel und Gesundheit wird uns noch zunehmend beschäftigen.“

Rundblick: Die Pandemie hat Ihre Behörde sehr beansprucht und in die öffentliche Wahrnehmung befördert. Was beschäftigt Sie denn darüber hinaus noch?

Feil: Was uns im Landesgesundheitsamt auszeichnet, ist die enge Zusammenarbeit von Epidemiologie, Hygiene und Laboren. Hervorzuheben ist da beispielsweise die neue Methode der Sequenzierung, die man auch beim Corona-Virus angewendet hat. Wir können in unseren Laboren etwa bei Krankheitsausbrüchen in Krankenhäusern die Proben untersuchen und durch Sequenzierung der Keime und Bakterien herausfinden, welche Fälle eines Ausbruchs zusammengehören. Dadurch lassen sich Gemeinsamkeiten feststellen, die Aufschluss über den Ursprung des Erregers geben. Das spielt zwar keine Rolle bei der akuten Therapie der Patienten, aber für die Prävention ist es relevant: Wie können wir in Zukunft verhindern, dass es zu derartigen Ausbrüchen kommt. Auch im Kampf gegen antibiotikaresistente Keime übernehmen wir eine sehr wichtige Rolle.

Rundblick: Welchen Herausforderungen stellen Sie sich außerdem noch?

Feil: Ich stelle mir die Frage, ob wir ausreichend für die ältere Generation tun. Ein Aspekt, den ich dabei herausstellen möchte, ist der Umgang mit dem Klimawandel. Da tun wir schon etwas, indem wir Alten- und Pflegeheime dabei beraten, wie sie bei großer Hitze reagieren sollten, um die Bewohner zu schützen. Aber das Thema Klimawandel und Gesundheit wird uns noch zunehmend beschäftigen.