Das ist tatsächlich ein ungewöhnliches Bild – selbst für den Staatsgerichtshof in Bückeburg, der schon manchen merkwürdigen Prozess erlebt hat. Da sitzt auf der einen Seite Staatskanzleichef Jörg Mielke, der höchste Beamte der Landesregierung, und direkt neben ihm der NPD-Landesvorsitzende Manfred Dammann aus dem Kreis Rotenburg-Wümme. Beide führen einen Prozess gegeneinander, aber sie würdigen sich keines Blickes.

Foto: kw; screenshot Twitter

Die rechtsextreme Splitterpartei, die ihre Bedeutung in den vergangenen Jahren mehr und mehr eingebüßt hat, fühlt sich von Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) in ihren politischen Rechten beschnitten. Auslöser sind Tweets, die Weil über Twitter während einer NPD-Demonstration im November vergangenen Jahres in Hannover abgesandt hatte. Mielke ist nun nach Bückeburg gekommen, um das Verhalten des Ministerpräsidenten zu verteidigen. Dammann schweigt, und an seiner Seite agiert der 34-jährige Anwalt Peter Richter aus dem Saarland, der bundesweit immer wieder auftritt, wenn die NPD in Rechtsstreitigkeiten verwickelt ist.


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Fast zwei Stunden lang verhandelt der Staatsgerichtshof über die Frage, ob Weil mit seinen Tweets zu weit gegangen ist. Es ging um eine NPD-Demonstration in Hannover Ende November 2019, die sich zunächst allgemeinen Themen widmete, dann aber kurz vor dem Start ihr Motto änderte: Die Partei protestierte jetzt gegen das gebührenfinanzierte öffentlich-rechtliche Fernsehen, besonders gegen den Beitrag eines freien Mitarbeiters des NDR, der den – inzwischen verstorbenen – früheren SS-Mann Karl M. interviewt hatte. Die NPD meinte, der Reporter habe journalistische Regeln missachtet, was dieser aber bestritt.

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Nicht nur beim Ministerpräsidenten schien es damals so zu sein, als richte sich die Demonstration zunehmend gegen den einen Reporter. In sozialen Medien kursierte die Parole „Rache für Karl“, worin man einen Aufruf zur Lynchjustiz sehen könnte. In diesem Umfeld äußerte Weil per Twitter zunächst sein Unverständnis über das OVG Lüneburg, das ein von der Polizei verhängtes Verbot der NPD-Demonstration aufgehoben hatte. Dann warb er für den Besuch einer Gegen-Demonstration. Zuvor schon hatte er die NPD-Aktivitäten als „perfide“ bezeichnet und behauptet, die Partei würde „unter dem Deckmantel der Versammlungsfreiheit“ gegen die Pressefreiheit demonstrieren.

Wenn ein Amtsträger vor einer Demonstration warnt oder zu einer Gegendemonstration aufruft, könnten Anhänger eingeschüchtert oder in eine Richtung gelenkt werden. Das darf er nicht.

In diesem Vorgehen sieht die NPD nun eine Beschränkung ihrer im Grundgesetz garantierten Rechte auf Chancengleichheit. „Wenn ein Amtsträger vor einer Demonstration warnt oder zu einer Gegendemonstration aufruft, könnten Anhänger eingeschüchtert oder in eine Richtung gelenkt werden. Das darf er nicht“, sagt NPD-Anwalt Richter und zitiert gleich mehrere Urteile, auch vom Bundesverfassungsgericht, die so zu deuten seien. Immerhin habe Weil nicht als SPD-Politiker gehandelt, sondern der Tweet hatte den Absender „MP Stephan Weil“, in mindestens einem Fall war dort auch noch das Landeswappen abgebildet. Damit hat er als Amtsträger agiert – und war einer Neutralitätspflicht in der Amtsausübung unterworfen.

Klären muss der Staatsgerichtshof nun, ob die NPD tatsächlich in ihren Rechten verletzt wurde – oder genauer: ob sie, nachdem das Bundesverfassungsgericht der Partei Anfang 2017 „Verfassungsfeindlichkeit“ bescheinigt hatte, überhaupt noch die gleichen Rechte beanspruchen darf wie andere Parteien. „Dazu gibt es bislang noch keine Rechtsprechung“, erklärt Staatsgerichtshofpräsident Thomas Smollich. Die ganze Republik wird also nach Bückeburg schauen, wenn der Staatsgerichtshof am 24. November ein Urteil in diesem Rechtsstreit sprechen wird.

Das Bundesverfassungsgericht selbst hat 2017 erklärt, dass die NPD von jeder Behinderung ihrer politischen Aktivität frei bleiben soll.

Die Landesregierung hatte zunächst argumentiert, mit dem Titel „verfassungsfeindlich“ könne die NPD höchstens noch eingeschränkt ihre Rechte als Partei beanspruchen. In der Verhandlung wiederholt Mielke diese Position nicht mehr – zumal auch NPD-Anwalt Richter wieder mehrere Gerichtsentscheidungen zitieren konnte, die der Partei trotz der negativen Titulierung noch weitgehende Ansprüche zusicherten: auf öffentliche Versammlungshallen, Parteienfinanzierung und auch auf Bankkonten.

„Das Bundesverfassungsgericht selbst hat 2017 erklärt, dass die NPD von jeder Behinderung ihrer politischen Aktivität frei bleiben soll“, betont Richter. Solange die NPD nicht verboten sei, habe sie die Rechte wie jede andere Partei auch. Mielke widerspricht an dieser Stelle und sieht „Abstufungen“. Gerechtfertigt sei das Auftreten von Weil in dem konkreten Fall auch wegen der Gefahr gewesen, die durch die Aufrufe „Rache für Karl“ ausgegangen seien. Hier habe eine enorme Zuspitzung gedroht, und Weil habe in seinen Tweets deutlich geantwortet: „Auf einen groben Klotz kommt ein grober Keil.“

Das Recht auf einen verbalen ,Gegenschlag‘ besteht eigentlich nicht.

Ob Mielkes Position den Staatsgerichtshof überzeugt, ist jedoch fraglich. Gerichtspräsident Smollich sagt, eine Amtsperson habe die Pflicht zur Sachlichkeit in ihren Aussagen: „Das Recht auf einen verbalen ,Gegenschlag‘ besteht eigentlich nicht.“ Auch NPD-Anwalt Richter sieht es so. Er meint aus den bisherigen Urteilen sogar herauszulesen, dass Aufrufe zur Teilnahme an Gegendemonstrationen weit über das Ziel des Zulässigen hinausgehen. Der Thüringer Verfassungsgerichtshof habe 2014 entschieden, dass ein solcher Aufruf durch einen Amtsträger eine Partei nicht nur in ihren Rechten berühre, sondern diese sogar ausdrücklich verletze.

Auch Mielke zitiert Thüringer Entscheidungen – sieht aber ausdrücklich sehr weitgehende Meinungsäußerungen von Amtsträgern als inzwischen gerechtfertigt an. Das sähen auch die Gerichte so. Der Spielraum für derartige Auftritte sei größer geworden, weil sich der Meinungsdiskurs gewandelt habe. Im Übrigen müsse man doch berücksichtigen, dass ein Tweet im Meinungskonzert nur eine Kurzzeit-Wirkung habe. Dort werde so viel geäußert, dass das meiste nach Minuten schon wieder in den Hintergrund der Aufmerksamkeit trete. Im Übrigen, fügt Mielke hinzu, habe die NPD in ihrer Demonstration die Pressefreiheit angegriffen, da sei es die Aufgabe des Ministerpräsidenten gewesen, sich schützend davor zu stellen. „Stimmt nicht“, entgegnet NPD-Anwalt Richter: „Es wurde gegen einen journalistischen Beitrag protestiert, nicht gegen die Pressefreiheit an sich.“

Der Staatsgerichtshof braucht noch Zeit für die Urteilsfindung. Verkündet wird es dann fast genau ein Jahr nach der NPD-Demonstration in Hannover. (kw)