Der Ausbau der Offshore-Windenergieanlagen vor der deutschen Küste ist ins Stocken geraten. Zuletzt gingen 2020 zwei neue Windparks in der Nordsee in Betrieb, die die Gesamtkapazität der Hochsee-Stromproduktion auf 7,7 Gigawatt steigerten. Seitdem klafft eine Ausbaulücke. In Deutschland ist aktuell kein einziger Offshore-Windpark mehr im Bau – und das obwohl eine Studie der Strom- und Wasserstoffproduktion auf See ein riesiges Ausbaupotenzial bescheinigt. „Es ist viel mehr Offshore-Windkraft möglich, als wir uns in Deutschland bisher vorgenommen haben“, sagte Umweltminister Olaf Lies am Mittwoch über eine Untersuchung im Auftrag der Stiftung Offshore-Windenergie.

Die Studie des Branchenverbands kommt zu dem Ergebnis, dass die deutsche Offshore-Windkraft knapp 61 Gigawatt Strom erzeugen könnte. „Das würde in etwa die erzeugte Strommenge von 60 großen Kohlekraftwerken überflüssig machen“, sagte Lies. Damit die Offshore-Windenergie dieses Potenzial auch entfalten kann, ist laut Stiftungs-Geschäftsführerin Karin Würtz allerdings die „konsequente Ausnutzung aller im aktuellen Raumordnungsplan enthaltenen Potenziale inklusive des befristeten Vorranggebietes Schifffahrt“ notwendig. Die Produktionsmöglichkeiten in Küstenmeer (2 Gigawatt) und Doggerbank (4 bis 6 Gigawatt) seien dabei ausgeklammert worden. Die deutschen Stromerzeugungsanlagen kommen aktuell auf eine Netto-Nennleistung von insgesamt 229,2 Gigawatt. Die Windkraft ist dabei mit 62,7 Gigawatt zwar schon jetzt der größte Stromproduzent, doch der überwiegende Teil der Windräder steht auf dem Festland. Die Nordsee (6,7 Gigawatt) und die Ostsee (1,1 Gigawatt) spielen bei der Stromerzeugung noch kaum eine Rolle.  Die Bundesregierung will das ändern. Das Ausbauziel für die Offshore-Windenergie lautet 40 Gigawatt bis 2040. „Das ist schlicht nicht ausreichend“, kritisierte Lies und forderte die nächste Bundesregierung auf, die Zielmarke auf 60 Gigawatt zu erhöhen. „Jeder Offshore-Windpark, den wir schneller realisieren, ist ein riesiger Beitrag zum Erreichen der Klimaziele“, sagte der SPD-Politiker.

Foto: DOTI/Matthias Ibeler

Lies und Würtz hielten es für fraglich, dass Deutschland mit dem aktuellen Ausbautempo selbst das niedrigere Ausbauziel erreichen könne. „Neu genehmigte Offshore-Windparks brauchen aktuell sechs Jahre bis zur Umsetzung – hier droht uns die Zeit davonzulaufen“, mahnte die Geschäftsführerin der Offshore-Stiftung. Um 60 Gigawatt Strom zu produzieren, wären ungefähr 10.000 Windenergieanlagen auf See nötig. Derzeit gibt es dort gerade mal 1501 Windräder. Wenn der Offshore-Ausbau ein Marathon wäre, würde ihn Lies wie folgt beschreiben: „Wir sind immer noch in dem Pulk, der gar nicht richtig losgelaufen ist.“

Foto: Bundesregierung

Niedersachsen als Wasserstoff-Land: „Ein Teil der der erzeugten Energie könnte zur Produktion von grünem Wasserstoff eingesetzt werden und so einen substantiellen Beitrag zur Erreichung der deutschen Ziele in der Nationalen Wasserstoffstrategie bis 2040 leisten“, sagte Würtz. Den Berechnungen zufolge könnten hier jährlich bis zu 1,24 Tonnen grüner Wasserstoff produziert werden – das entspricht 44,2 Terrawattstunden. Wasserstoff ist nicht nur ein wichtiger Grundstoff für Chemieindustrie und Stahlherstellung. Er lässt sich mithilfe von Brennstoffzellen auch in Strom und Wärme umwandeln oder als Kraftstoff im Verkehr einsetzen. Grüner Wasserstoff ist frei von CO2. Er wird durch die Elektrolyse von Wasser hergestellt, wobei der dafür benötigte Strom ausschließlich aus erneuerbaren Quellen stammt. Der deutschlandweite Verbrauch von Wasserstoff liegt derzeit bei 55 Terrawattstunden. Bis 2050 könnte er Studien zufolge aber auf 170 bis 450 Terrawattstunden steigen. „Wir werden auch zukünftig immer auf Importe angewiesen sein, wenn wir den Gesamtbedarf an Wasserstoff in Deutschland betrachten. Da dürfen wir uns nichts vormachen“, sagte Dennis Kruse von der Deutsche WindGuard GmbH, die die Studie erstellt hat.

Lies betonte, dass der grüne Wasserstoff nicht nur für die Dekarbonisierung der Stahl- und Chemieindustrie sowie für das Erreichen der Klimaziele von Bedeutung ist. „Niedersachsen ist das Tor zur sicheren Klimaneutralität Deutschlands“, sagte der Umwelt- und Energieminister. Aufgrund seiner Seehäfen sowie der bereits vorhandenen Transport- und Speicherinfrastruktur biete der Nordwesten der Bundesrepublik ideale Voraussetzungen für die Ansiedlung einer Wasserstoffindustrie. Lies: „Der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft bietet über die gesamte Wertschöpfungskette vielfältige wirtschaftliche Chancen – vom Bau, der Installation und dem Betrieb der Offshore-Anlagen sowie der Elektrolyseure bis hin zur Wasserstoffverteilung, Wasserstoffspeicherung und Wasserstoffnutzung.“