Zwei Jahre nach der Einrichtung der Schwerpunktstaatsanwaltschaft gegen „Hatespeech“ zieht Niedersachsens Justizministerin Barbara Havliza eine positive Bilanz. Die sogenannte „Zentralstelle zur Bekämpfung von Hasskriminalität im Internet“ (ZHIN) mit Sitz in Göttingen hat laut Justizministerium in den vergangenen zwölf Monaten 1136 neue Verfahren aufgenommen, was einer Verfünffachung im Vergleich zum Vorjahreszeitraum entspricht. Eine Ursache für die steigende Zahl von Verfahren sei das neue Meldeportal, das im vergangenen Jahr eingerichtet wurde. Über eine zentrale Internetplattform konnten so zunächst Medienunternehmen und seit März dieses Jahres auch Privatpersonen Hasskommentare und andere mögliche Straftaten im Internet melden.

Stellen die ZHIN-Jahresbilanz vor (von links): Frank-Michael Laue, Barbara Havliza, Detlev Rust und Christian Lauenstein. | Foto: Kleinwächter

„Die ZHIN bekommt immer mehr zu tun“, sagte Havliza am Dienstag bei einer Pressekonferenz in Hannover. Gemeinsam mit dem Braunschweiger Generalstaatsanwalt Detlev Rust und dem Leiter des ZHIN, Oberstaatsanwalt Frank-Michael Laue, stellte sie die Arbeit der Schwerpunktstaatsanwaltschaft vor. Rust betonte die Bedeutung einer Anzeige durch Betroffene – denn nur in diesem Fall könnten die Behörden auch tätig werden. „Wer sich beleidigt fühlt, soll das bitte anzeigen“, appellierte er.

Zentralstelle in Göttingen für Hasskommentare zuständig

Im ZHIN arbeiten neben Laue noch drei weitere Staatsanwälte, zwei unterstützende Kräfte sowie ein Informatiker. Havliza bezeichnete das Team als „stark spezialisierte Kollegen“, die darauf geschult seien, Hasskommentare als solche zu erkennen. Eine wichtige Aufgabe der Zentralstelle ist es auch, eine Vereinheitlichung in der Bewertung von Hasskommentaren im Netz herzustellen. So werden Beurteilungen und Urteile untereinander ausgetauscht, damit künftig in allen Landesteilen vergleichbare Einschätzungen möglich werden. Diese Abstimmung geschieht sowohl zwischen den Schwerpunktstaatsanwaltschaften anderer Bundesländer als auch innerhalb des Landes Niedersachsen im Austausch mit den zuständigen Experten, die es in allen zehn Staatsanwaltschaften inzwischen gibt. Vereinheitlichte Entscheidungen sollen auch Frust bei den Betroffenen vermeiden.


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Die Zentralstelle ist zudem für die „bedeutsamen“ Fälle von Hasskriminalität zuständig, also beispielsweise dann, wenn Amts- und Mandatsträger betroffen sind, wenn eine besonders hohe Zahl von Kommentaren vorliegt oder wenn die Kommentare eine gewisse Qualität erhalten. Die erfolgreiche Arbeit der ZHIN habe sich kürzlich auch anhand eines Fernsehbeitrags der Satiresendung von Jan Böhmermann im ZDF gezeigt – und zwar in der Gestalt, dass Niedersachsen dabei keine Erwähnung fand, erklärte die Ministerin. Das Team rund um den ZDF-Moderator Böhmermann hatte in verschiedenen Bundesländern Hasskommentare im Internet gemeldet und anschließend angeprangert, dass in einigen Fällen keine Reaktionen der Behörden folgten oder die Verfahren rasch wieder eingestellt wurden. Auch in Niedersachsen wurde ein Fall zur Anzeige gebracht; ein Mann aus dem Emsland stehe deshalb nun in Lingen vor Gericht, sagte Havliza.

Meta bemüht sich um Zusammenarbeit mit Ermittlern

Doch die Ermittler stehen auch vor Herausforderungen, wie Generalstaatsanwalt Rust darlegte. Zum einen sei es eine schwierige Angelegenheit, die Grenzen der freien Meinungsäußerung in einem freien Land zu bestimmen. Durch höchstrichterliche Rechtsprechung werde dies immer weiter ausdefiniert, erklärte Rust. Eine sehr sorgfältige Prüfung sei notwendig. Zudem habe die Rechtsprechung gezeigt, dass gerade Personen des öffentlichen Lebens sich so manches sagen lassen müssten, was man gemeinhin schon als Unding bezeichnen würde. Ein weiteres Hindernis für die Arbeit der Ermittler sei die Anonymität im Netz. Um sanktionieren zu können, müsse ein Täter klar benannt werden, erklärte der Generalstaatsanwalt. Viele Provider arbeiteten allerdings nicht oder nur bedingt mit der Justiz zusammen. Ein besonders negatives Beispiel stellt dabei die Chat-Plattform Telegram dar, die bei Querdenkern und Terroristen beliebt ist, weil sie explizit nicht mit Behörden kooperiert und das auch offen so benennt. Meta, das Unternehmen zu dem Facebook und Instagram gehören, bemühe sich hingegen zumindest um Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden.

Allerdings ende die Kooperation häufig an dem Punkt, an dem eine Tat nur in Deutschland, nicht aber in den USA strafbar sei, erklärte ZHIN-Leiter Laue. Ein Beispiel dafür wäre etwa das Zeigen von Hakenkreuzen. Justizministerin Havliza beklagt an dieser Stelle, dass durch die Beschneidung der Meldepflicht im Netzwerkdurchsetzungsgesetz den deutschen Justizbehörden die Hände gebunden seien. Im März wurde festgestellt, dass der entsprechende Paragraph gegen EU-Recht verstößt. Havliza bezeichnete dies als Rückschritt und hofft auf die baldige Verabschiedung des „Digital Service Act“ auf EU-Ebene.

Havliza bezeichnete dies als Rückschritt und setzt auf das „Digital Service Act“ auf EU-Ebene, das am Dienstag vom EU-Parlament angenommen wurde. Das Gesetz soll Bürger und deren Grundrechte im Internet besser schützen und insbesondere Hass und politische Radikalisierung eindämmen, erklärte die Kommission am Dienstag. Zudem werden Plattformen, die von mehr als zehn Prozent der EU-Bürger genutzt werden, einer strengeren Beaufsichtigung unterstellt.