Ein aufregendes politisches Jahr liegt hinter uns. Die Corona-Pandemie schien schon besiegt, dann kehrte sie zurück. Die Bundestagswahl brachte überraschende Erkenntnisse, und einmal mehr fühlten sich Demokraten herausgefordert, die Demokratie zu verteidigen. Das Politikjournal Rundblick hat mehrere Journalistinnen zu einem Presseclub eingeladen, um Bilanz zu ziehen und den Ausblick auf 2022 zu wagen. Gäste von Rundblick-Redakteurin Audrey-Lynn Struck sind Mandy Sarti (Neue Presse), Claudia Wohlsperger (NDR) und Anne Beelte-Altwig (Politikjournal Rundblick). Das ganze Gespräch gibt es hier im Presseclub-Podcast nach zuhören.

Presseclub-Podcast: Audrey-Lynn Struck lässt mit ihren Gästen Mandy Sarti, Claudia Wohlsperger und Anne Beelte-Altwig das Jahr 2021 Revue passieren. | Foto: Kleinwächter

Audrey-Lynn Struck: Ein turbulentes Jahr liegt hinter uns. Was waren Eure kuriosesten oder interessantesten journalistischen Erlebnisse 2021?

Mandy Sarti: Im Sommer hatte ich ein Interview mit Finanzminister Hilbers geführt, in dem er die dritte Fachkraft in den Kindertagesstätten noch ausgeschlossen hatte. Zwei Tage später entschied die Koalition, dass genau diese Fachkraft stufenweise eingeführt wird. Da wurde mir mal wieder deutlich, wie stark unterschiedliche Richtungen in der Koalition miteinander ringen. Außerdem mangelt es offenbar immer wieder mal an guter Abstimmung.

Audrey-Lynn Struck, Rundblick-Redakteurin und Podcast-Moderatorin | Foto: Kleinwächter

Claudia Wohlsperger: Ich war auf dem Fliegerhorst Wunstorf, als dort die zurückgekehrten Soldaten aus Afghanistan empfangen wurden. Das war aus einem besonderen Grund für mich außergewöhnlich: Wir hatten ein Fernsehteam, ein Hörfunkteam, Kameraleute und einen Übertragungswagen für die Live-Schalte vor Ort – also all das, was wir früher, vor der Corona-Zeit, öfter mobilisiert hatten. Ich merkte am Zusammenspiel aller Beteiligten vom NDR, dass wir noch wie früher als Team arbeiten– etwas, das in der Corona-Zeit mit vielen Homeoffice-Phasen nur selten so möglich war.  

Mandy Sarti: Mal rauskommen und etwas anderes sehen als den Corona-Alltag, das genieße ich auch. Die Corona-Zeit mit den schnellen, sich in jedem Moment verändernden Nachrichten hat schon unsere Arbeitsweise geprägt. Es blieb zunehmend weniger Raum für Kreativität.

Claudia Wohlsperger: Gefühlt ist das ein Kreislauf seit vielen Monaten: Kommt eine neue Verordnung, bleibt alles so oder wird noch ein Detail im Nachhinein verändert… Zwischendurch war das Informationsbedürfnis der Leute geringer, jetzt aber, nach steigenden Inzidenzen, steigt das Interesse wieder an. Bemerkbar macht sich aktuell aber auch eine wachsende Gereiztheit der Politiker. 

Rundblick-Reporterin Anne Beelte-Altwig | Foto: Kleinwächter

Anne Beelte-Altwig: Mein interessantestes Erlebnis in diesem Jahr war die Begegnung mit Schulleitern und Lehrern, die über die Digitalisierung berichteten und erklärten, wie wahnsinnig lange es gedauert hat, bis sie endlich einen W-LAN-Anschluss für ihre Schule bekommen haben. Dabei dürfte Corona die Entwicklung eher noch beschleunigt haben.

Mandy Sarti: Bei alldem müssen wir darauf achten, dass wir nicht diejenigen verlieren, die ohnehin die Benachteiligten sind – weil sie ein mittelloses Elternhaus haben oder zuhause keine gute Möglichkeiten zum Rückzug haben. Wenn es dann um Homeschooling geht, sind sie schnell die Gekniffenen.

Anne Beelte-Altwig: Aber ich glaube schon, dass man vor allem auch in der Schule im Unterricht die neuen digitalen Geräte gut zur Unterstützung des Unterrichts einsetzen kann.

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Audrey-Lynn Struck: Nun haben wir ja eine neue Bundesregierung. Wird mit ihr vieles besser? Was glaubt Ihr?

Mandy Sarti: Was die Digitalisierung angeht – hoffentlich. Es steht ja einiges dazu im Koalitionsvertrag. Was mir gefällt, ist die Konzentration der neuen Regierung auf Familien und Kinder, und auch der feministische Ansatz in der Außenpolitik.

Claudia Wohlsperger: Die neue Bundesregierung wird mit sehr hohen Erwartungen zu kämpfen haben. Wer meint, jetzt komme Karl Lauterbach und die Pandemie werde besiegt, der irrt sicher. Die Pandemie wird uns noch über viele Jahre beschäftigen, befürchte ich.

Audrey-Lynn Struck: Aber Lauterbach ist ein Fachmann. Er ist für eine Impfpflicht. Wie seht Ihr das?

Mandy Sarti: In anderen Ländern ist die Impfquote viel höher. Wir müssen nachziehen. An der Pflicht führt kein Weg vorbei.

NDR-Reporterin Claudia Wohlsperger | Foto: Kleinwächter

Claudia Wohlsperger: Ohne die schlimmen Bilder aus den überfüllten Intensivstationen, die es in Portugal und Italien gegeben hat, geht es offenbar nicht. Das hat viele Menschen dort emotional angesprochen. Eine Impfpflicht in Deutschland ist wohl auch deshalb sinnvoll, weil dann die Impfgegner, die aus ihrer Haltung nie einen Hehl gemacht hatten, gesichtswahrend eine Impfung über sich ergehen lassen können. Es gibt Berichte aus den Niederlanden und den USA, wo Leute vermummt zum Impfen gegangen sind, weil sie partout nicht erkannt werden wollten.

Anne Beelte-Altwig: Es gibt durchaus große Ängste der Impfgegner, die man ernst nehmen muss. Aufklärung tut Not.

Audrey-Lynn Struck: Das Problem liegt tiefer, wenn wir etwa die Filterblasen der sozialen Medien betrachten, die gut geeignet sind, die eigenen Vorurteile immer wieder aufs Neue bestätigt zu bekommen.

Mandy Sarti: Mich enttäuscht vor allem, wie wenig Vertrauen in die Wissenschaft besteht. Man muss Medienkompetenz vermitteln und erklären, wie man Quellen einschätzen und bewerten muss.

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Audrey-Lynn Struck: Wäre denn ein eigenes Lehrfach „Lerne für’s Leben“ sinnvoll – ein Fach, das alles Mögliche vermittelt: Kochen, Steuererklärung schreiben, Umgehen mit Medien…?

Anne Beelte-Altwig: Erwägenswert ist das auf jeden Fall, denn unser aktueller Bildungskanon stammt noch aus einer anderen Zeit, als den Menschen andere Fähigkeiten abverlangt wurden als heute.

Audrey-Lynn Struck: Nochmal zurück zu Corona. Was haltet Ihr von der „Weihnachtsruhe“, die das Kabinett verhängt hat?

Claudia Wohlsperger: Als Ministerpräsident Weil in der Pressekonferenz am 10. Dezember begonnen hatte, das Vorhaben zu erklären, war ich ganz beeindruckt von seiner Ernsthaftigkeit. Dann fügte er die einzelnen Maßnahmen hinzu – Kontaktbeschränkungen bei 25 Personen, Schließung von Diskotheken. Da dachte ich: Na, das ist im Vergleich zu den großen Ankündigungen ein paar Minuten zuvor doch ein bisschen zahnlos.

Mandy Sarti, Landespolitische Korrespondentin der Neuen Presse | Foto: Kleinwächter

Mandy Sarti: So ging es mir auch. Zumal vieles von dem, was jetzt als Neuerung verkauft wird, in der Praxis doch schon längst umgesetzt wird. Viele Diskotheken etwa hatten schon nach den bisherigen Regeln gar keinen Sinn mehr darin gesehen, weiter offen zu haben.

Audrey-Lynn Struck: Meint Ihr, diese Vorgänge werden Auswirkungen auf die Landtagswahl haben?

Claudia Wohlsperger: In Niedersachsen wurde schon bei der Bundestagswahl sehr viel SPD-lastiger gewählt als in anderen Ländern, das ist das eine. Außerdem dürften viele sagen: Man kann Stephan Weil wählen, der uns beständig durch die Pandemie geführt hat.

Mandy Sarti: Hinzu kommt, dass sich Weil und Althusmann nicht wesentlich unterscheiden, sie gehören zur gleichen Generation. Die CDU wirkt auf mich viel konservativer und älter als die anderen Parteien. Wer aber neue Wähler gewinnen will, muss sich verjüngen. Das ist der SPD auf Bundesebene gelungen, und Grüne und FDP haben auch solche Ansätze.